SILKE BEINSSEN-HESSE (Monash)
Zur Form eines parodistischen Romans.
Die literarischen Quellen von Grimmelshausens Simplicissimus
Christoffel
von Grimmelshausens großer 1668 erschienener Roman über die Welt des Dreißigjährigen Krieges gehört auch heute
nach fast drei einhalb Jahrhunderten noch zu den klassischen Werken der
Weltliteratur. Das beweist unter anderem die Vielzahl der Übersetzungen ins
Englische, die in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht wurden. Dass der Roman
heute vor allem als Zeitbild und als Abenteuerroman gelesen wird, ist schon
dadurch ersichtlich, dass mehrere der Übersetzer das sechste Buch, die
sogenannte Continuatio, die erst 1669, ein Jahr nach dem ersten Erscheinen des Simplicissimus Teutsch, veröffentlicht
wurde, nicht mitübersetzt haben. [1]
Mike Mitchell
rechtfertigt dieses Vorgehen folgendermaßen:
This [the continuation] is
certainly not an organic part of the novel, consisting as it does largely of
allegorical tales, fables and fantastic adventures, which do not contribute at
all to the vision of the original novel. [2]
Diese Begründung ist nur bedingt richtig. Wenn man
den Simplicissimus als realistischen
und humoristischen Zeit- und Abenteuerroman lesen möchte, und für den heutigen
Leser ist er wohl nur so attraktiv, wirkt die Continuatio störend. Carl August
von Bloedau schreibt dazu:
Werden schon die durch sieben
lange Kapitel ausgesponnenen phantastischen Mummelseeabentheuer als Fremdkörper
in der Handlung des Romans empfunden, so fallen die Reise nach Rußland und die
daran angehängten Erlebnisse, die Nachwirkung der Lektüre des dritten Teils des
Gusman und anderer Reisewerke völlig
aus dem Rahmen der Erzählung heraus; wir würden sie sehr gerne, wie das ganze
sechste Buch des Simplicissimus
vermissen.“ [3]
Aber Grimmelshausens Roman ist, meiner Überzeugung
nach, von ihm niemals als ausschließlich realistisches Werk konzipiert worden,
sondern wurde gleichzeitig auch auf einer zweiten, quasi philosophischen Ebene
entworfen, die das reale Geschehen kommentiert. [4] Obwohl diese für moderne Leser nicht mehr
direkt zugänglich ist, und nur für die gebildetsten unter den zeitgenössischen
jemals zugänglich war, ist sie auch heute noch für den Historiker, wie für den
Literaturwissenschaftler, von großem Interesse. [5]
Den Schlüssel
zu dieser zweiten Ebene bieten, wie ich glaube, eben jene vielen oft als
störend empfundenen Quellenfunde, die im Laufe der Jahre von Germanisten zu
Tage gefördert worden sind. Während
viele der verdienstvollen frühen Grimmelshausenforscher, darunter J. H. Scholte
und Arthur Bechtold[6], in solchen Quellen
hauptsächlich Aufschlüsse über historische Gegebenheiten und deren Beziehung
zur Biographie des Autors suchten, galt die Lebensarbeit von Günther Weydt,
unterstützt von seinen Schülern, den anspruchsvolleren literarischen Quellen.
An ihrer Verarbeitung ließ sich einerseits die überlegene Kunst des Simplicissimus-Dichters gegenüber
anderen Schriftstellern seiner Zeit demonstrieren, andrerseits ermöglichten sie
aber auch ein detailliertes Bild der Rezeption von einheimischen und
ausländischen Texten in der deutschsprachigen Literatur nach dem
Dreißigjährigen Krieg.
Aber die Fragen bleiben:
Warum drängte es den zwar belesenen wenn auch nicht gelehrten Dichter sich in
diesem Maße mit fremdem Gut zu schmücken? [7]
Er hatte doch den Krieg selbst erlebt; warum ließ er es sich nicht daran
genügen, seine Erlebnisse und Beobachtungen wiederzugeben? Selbst seinen
Schlachtbericht musste er aus der Arcadia
borgen. War es ein
Kompensationdrang? Wollte er auf einen Platz unter den Gelehrten der Zeit
pochen? Hans Peter Erlhoff deutet auf eine mögliche Erklärung indem er uns auf
das Interesse am Hermetischen im 17. Jahrhundert aufmerksam macht.
Grimmelshausen treibe, um mit Hans Blumenberg zu sprechen, „ein artistisches
Spiel um die Möglichkeit des Mitlesens von hintergründigem Sinn am
vordergründigen Text “, wie es der zeitgenössische Manierismus liebte, aber er
tue das nicht um „verborgene Geheimnisse zu offenbaren“, also nicht um Aussagen
zu machen.[8] Clemens Lugowski gehört zu den wenigen älteren
Germanisten, die die Möglichkeit eines unvollkommenen Verständnisses des Werkes
offen lassen.
Keiner von den vielen Versuchen,
das umstrittene Werk zu erschließen hat zu einem Ergebnis von befreiender
Einsichtigkeit geführt ... Alle Deutungsversuche sind von dem Glauben
ausgegangen, einen eindeutigen Totalsinn aus dem Roman herauslesen zu können.
Allen ist gemeinsam, dass sie gewisse Teile des Werkes, durch die sie gefährdet
werden, ausschließen, tadeln oder ignorieren. [9]
Also noch einmal die Frage: wozu wurden diese auf
unzählige Quellen bezogenen Parodien, Kontrafakturen, Montagen, Anspielungen
und dergleichen mehr hier herangetragen? [10]
Eine grundsätzliche Überlegung zu
den Möglichkeiten, die die Verwendung von identifizierbarem, geformtem Material
mit sich bringt, lässt mindestens drei erkennen: Die Quelle kann als Autorität
gelten. Dies war Jahrhunderte lang die gängigste Einstellung zu Quellen. Wenn
man sich auf die Meinung einer anerkannten Autorität berufen konnte, galt man
als glaubhaft. Ein zweiter und wohl auch heute noch der üblichste parodistische
Gebrauch von Quellen ist die Übertreibung oder Lächerlichmachung im Dienste der
Entlavung oder Berichtigung. Man kann sich darüberhinaus einen dritten Anlass,
vorgeformte Texte in ein literarisches Werk einzuarbeiten, vorstellen. Hier
würde es darum gehen, ein Geschehen in den räumlichen und zeitlichen
kulturellen Kosmos seiner Epoche einzuordnen. Auch in diesem Fall geht es um
die bedeutsame und aufschlussreiche Abweichung von der ursprünglichen Quelle.
Durch Abänderung von literarisch gefestigtem Erzählgut kann man z.B. zeigen,
dass die Kultur der eigenen Epoche anders ist als die früherer Jahrhunderte
oder umliegender Länder. Es handelt sich dabei nicht um Berichtigungen, sondern
um Differenzierungen. Einen vorwiegenden Quellengebrauch dieser Art vermuten
wir bei Grimmelshausen. Die Annahme wird jedoch erst glaubhaft, wenn die Summe
der Abweichungen von den Quellen, die der Dichter seinem Werk zugrundelegte, zu
sinnvollen und überzeugenden Ergebnissen führt.
Es
geht mir also in dieser Arbeit, und das muss betont werden, nicht um einen
Beitrag zur Quellengeschichte, sondern um eine Untersuchung zur Poetik. Unter
Quellen im engeren Sinn verstehe ich hier nicht die vielen stofflichen
Anleihen, die Grimmelshausen nachweislich oder vermutlich machte, sondern
Anspielungen auf strukturierte und aussagekräftige Werke. Mein Aufsatz wird die literarischen Quellen
des Simplicissimus-Romans, so weit sie wissenschaftlich erarbeitet worden sind,
möglichst vollständig heranziehen. Wo mit ziemlicher Sicherheit eine Quelle
vorliegt und die Anspielung auf diese Quelle zum Gesamtargument des Romans
beiträgt, habe ich sie als Möglichkeit gelten lassen. Es ist ohnehin oft schwer
zu bestimmen, was direkte Quelle war. Man kann z. B. nicht stichhaltig
beweisen, dass Grimmelshausen Wolframs Parzival
gelesen hat. Aber es ist durchaus möglich, dass er sich von Freunden und
Vorbeireisenden die Parzivalhandlung erzählen ließ, um sie dann schriftstellerisch
auszuwerten. Außerdem gab es zusammenfassende Sammelwerke von Erzählstoffen.[11]
Günther Weydt ist der Meinung, dass Grimmelshausen bei seinem Unternehmen sehr
wahrscheinlich von adligen Gönnern wie den Schauenburgs, die vermutlich dem
begabten Schaffner ihre Bibliotheken zur Verfügung stellten und sie vielleicht
sogar seinetwegen vergrößerten, wie auch von dem gebildeten Kreis, der sich um
solche Familien bildete, tatkräftig
unterstützt wurde. [12]
Eine
Jedermann Gestalt
Grimmelshausens Vorhaben
ist es, so soll hier behauptet werden, im Geiste der zeitgenössischen
Enzyklopädien (auf die des Garzoni wird gleich einleitend mit einem Zitat
aufmerksam gemacht) ein Gesamtbild seiner Epoche zu geben, nicht nur als
Schauplatz äußerer Ereignisse sondern auch, und hierauf konzentriert sich diese
Untersuchung, als Ort literarischer und geistiger Produktion. Um solches
überzeugend zu leisten müssen der Erzähler und der Autor autoritativ sein. [13]
Wie schon das Titelbild mit seinen verstreuten Masken andeutet, besitzt
Simplicissimus die quasi universale Erfahrung eines Jedermann, denn in diesem
früh-modernen Jahrhundert kommt es auf Initiative und Lebenserfahrung und nicht
mehr auf Adel oder auf kirchliche oder weltliche Autorität an. Simplicissimus
hat unzählige Masken getragen: er war Bauernsohn und Hirtenjunge,
Einsiedlerschüler, Page, Moralprediger, Hofnarr, Haus- und Pferdebursche, Zofe,
Schreiber, Jäger, Junker, Ehemann, Geschäftsmann, Arztgehilfe, Schauspieler,
Bube im Venusberg, Kranker, Kurpfuscher, Dragoner und Musketier, Merode Bruder,
Räuber, Pilger, Badegast, Bauer, Adeliger, Silvanus, Utopist, Fürstendiener,
Rudersklave, Einsiedler, Romanschreiber, Fabeldichter, Wallbruder, Alchemist,
aufschneiderischer Weltreisender, wilder Mann, Mystiker und Anchoret. Ähnlich
ist er auch in allen Elementen beheimatet. Der Eingangsspruch des Romans
berichtet:
Ich wurde durchs Fewer wie
Phoenix geborn.
Ich
flog durch die Lüffte! wurd doch nit verlorn,
Ich
wandert durchs Wasser, Ich raißt über Landt,
In
solchem Umbschwermen macht ich mir bekandt,
was mich offt betruebet und selten
ergetzt,
was war das? Ich habs in diß Buche
gesetzt,
damit sich der Leser gleich, wie
ich itzt thue,
entferne der Thorheit und lebe in
Rhue. [14]
Spielerisch illustriert der Roman den hier
beschriebenen Lebensweg. Die Geburt des Helden wird durch das Feuer der
Schlacht beschleunigt, zum Hexensabbat fliegt er durch die Lüfte, er
durchwandert die Wasserreiche, zu denen der Mummelsee führt, und er durchreist
einen großen Teil der damaligen Welt. Sein Wanderleben führt Simplicissimus
durch Deutschland und Frankreich, Russland, die Schweiz, Italien, die
Mittelmeerländer, schließlich sogar in den fernen Osten und die Südsee: hier
wieder die größtmögliche Ausweitung des Erlebnisbereiches. Auch mit fast allen
christlichen Strömungen der Zeit kommt Simplicissimus in Berührung. Im Laufe
des Krieges wechselt er von der protestantischen zur katholischen Seite; er ist
zeitweilig Eremit, Pilger und Mystiker, er wird von lutherischen und
reformierten Pfarrern belehrt, während sein Vater und erstes Vorbild als Wiedertäufer
mit papistischen Ideen galt; in Russland kommt er mit dem orthodoxen Glauben in
Berührung. Nicht allein das: durch den Schwank des Hanauer Gubernators ist
Simplicissimus auch in Hölle, Fegefeuer und Himmel gewesen. Er hat sich als
Teufel verkleidet und Jupiter gegenüber als Halbgott ausgegeben. Fast allen
Ständen hat er angehört, in Krieg und Frieden hat er gelebt, Mann und Frau,
Kind und betagter Weiser ist er gewesen. Günther Weydt hat in seinen
Untersuchungen gezeigt, daß der Held im Laufe des Romans auch die
astrologischen Häuser von Saturn über Mars, Sol, Jupiter, Venus, Merkur, Luna
und zuletzt wieder Saturn durchzieht. [15]
Er ist dazu jene Zwitterfigur des Titelkupfers, halb Mensch, halb aus
verschiedenen Arten zusammengesetztes Naturwesen, [16]
halb Mann, halb Frau, und in der Hand hält er das Buch der Welt, in dem in
ungeordnetem Durcheinander, auf seine Erlebnisse anspielend, Krone und Turm,
Würfel und Kanone, Narrenkappe und Segelschiff, Wickelkind und Becher, Kapaun
und Floh, Baum und Säbel, Stadt und Arzneibüchschen, Soldatenhut und anderes
mehr abgebildet sind. [17]
So umfassend die
Simplicissimusfigur in ihrer Erlebnisbreite ist, so allgemein ist sie auch
gehalten. Simplicissimus spricht die Sprache des Volkes. Der Wort- und
Bildschatz ist der vieler deutscher Gegenden und immer reicher, als der des
einzelnen einfachen Mannes. [18]
Er braucht außerdem den Fremdwortschatz des Gebildeten. Als Individuum vertritt
Simplicissimus das Volk. Sein Name, Simplicissimus, [19]
den er mit einem Schüler des Heiligen Antonius teilt, kann Verschiedenes
bedeuten: reiner Thor, Hofnarr, sündiger Narr im Sinne Brandts oder Murners
und, wie Heselhaus aufgewiesen hat, Heilkundiger.[20]
Im Gegensatz zu seinem
Helden, dessen einer Name viele Dinge bedeutet, verbirgt sich der Autor hinter
vielen Namen, die aus der immer neuen Zusammensetzung des einen Namens
entstehen: Christoffel von Grimmelshausen, Samuel Greifnson vom Hirschfelt,
German Schleifheim von Sulsfort, Melchior Sternfels von Fugsheim, und wenn man
die anderen simplicianischen Werke, die sich zu unserem Roman wie Fußnoten
verhalten, miteinbezieht, außerdem: Philarchus Grossus von Tromenheim, Michael
Regulin von Sehmsstorff, Erich Stainfels vom Grufensholm, Simon Leugfrisch vom
Hartenfels und Israel Fromschmit von Hugenfels. [21]
Sie sichern dem Autor einerseits Anonymität, geben dem Leser aber auch das
ungewisse Gefühl, dass an der Entstehung des Werkes viele beteiligt sind.
Dieser Eindruck wird durch den Wechsel der Erzählperspektiven innerhalb des
Romans noch weiter gefestigt. [22]
Der Berichtende ist der reife Einsiedler, aber er nimmt sich die Freiheit, das
Geschehen einmal mit überlegenem Humor von sich zu distanzieren, sich ein
anderes Mal mit dem jüngeren Simplicissimus in seinen vielen Verkleidungen zu
identifizieren, um sich dann wieder spielerisch im Zitat die Worte und
Meinungen Fremder aus fremder Perspektive scheinbar anzueignen.
Das Spiel um die
Identität des Erzählers dient vor allem dazu, die Allgemeingültigkeit der
Roman-Aussage zu etablieren und anschaulich zu machen. Aber sie hilft dem Autor
auch ein breites Bild seiner Epoche, die politisch und kulturell als
gesamteuropäisch verstanden werden muss, zu entwerfen. Es macht gleichfalls
möglich, die Zeit des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland und die Mentalität
der Menschen, die in diese Katastrophe hineingezogen wurden, anhand von
Vergleichen generalisierend zu beschreiben. Parallel mit dieser abstrahierenden
Ebene läuft jedoch stets die realistische Erzählung des Romans mit ihrem
liebenswürdigen, ganz individuellen und oft recht unberechenbaren Helden, der
sich während einer chaotischen Kriegsepoche in bestimmten genau beschriebenen
Orten und Gegenden aufhält und dort zufälliger Zeuge von berühmten wie weniger
bekannten Ereignissen wird. Grimmelshausens historische und örtliche Angaben
sind bis auf geringe Abweichungen (der Tod des Generals Götz wurde z.B.
vorverlegt) faktisch genau und richtig. Die meisten Forscher vermuten, dass er
vieles, was er beschreibt, selbst erlebt und gesehen hat oder sonst aus
Augenzeugenberichten erfuhr.
Spanier
gegen Franzosen: Die zweite Kriegsphase
Im Simplicissimus schildert Grimmelshausen die letzte und chaotischste
Phase des Dreißigjährigen Krieges, in der der religiöse und nationale
Idealismus, der am Anfang noch eine Rolle gespielt hatte, erstickt war. Es
kämpften nunmehr das katholische, spanisch-österreichische Habsburg und das
katholische Frankreich, welches sich die protestantischen Armeen zunutze machte,
einen europäischen Machtkampf auf deutschem Boden aus. In diesem Zusammenhang
gilt es dem Autor das Deutsche gegen das Französische einerseits und das
Spanische andererseits abzusetzen. Er wählt dazu die Gestalt des verrückten
Jupiter Teutsch, denn in diesem Krieg, der jeden religiösen und nationalen Sinn
verloren hat, kann die Hoffnung eines gemeinsamen, überkonfessionellen
Christentums und einer gesamtdeutschen Nation nur noch einem Verrückten in den
Mund gelegt werden. Jupiter Teutsch vertritt einen mythologisch orientierten
deutschen Humanismus, der versucht antike Kultur, Christentum und deutsches
Nationalgefühl zu einer wirksamen Einheit zu verbinden. [23]
Günther Weydt hat darauf aufmerksam gemacht, dass Jupiter als deutsche
Gegenfigur zum spanischen Don Quixote einerseits, der seinen Wahn aus
Ritterromanen nahm, und Charles Sorels französischem Berger Extravagant andrerseits, dessen Titelheld sich an
Schäferromanen überlas und deshalb als Mitglied der Gesellschaft versagte, zu
verstehen sei. In Harsdörffers Der
wahnwitzige Schäfer, einer Nacherzählung von Sorels Roman, wird der Don Quixote auch zum Vergleich
herangezogen.
Unter den Völkern
insgemein/ werden die Spanier für die sinnreichsten gehalten; und gewiss sind sie die ersten gewesen/ welche
das Liebsgedicht/ und Rittergeschicht zu Papier gesetzt: weil aber andre
nachgefolgt/ und abenteuerliche Reden/ auch mehrmals gantz unverantwortliche
Händel mit eingemischt/ hat sich einer gefunden/ der den Gigote [im Original
„Pigote“] della Mancha mit seinem Sancho Pansa ausgerüstet/ solche
Fantzenbücher zu Schanden zu/ machen. In Frankreich hat diese Art Bücher sehr
überhand genommen … Keiner aber hat/ meines Erachtens die Thorheit solcher
Scribenten besser an den Pranger gestellt/ als Jean de la Lande, mit seinem
wahnwitzigen Schäfer; nachahmend des Cervantes Gigote de la Mancha/ dessen ich
erst gedacht. [24]
(Sorels nom
de plume ist Jean de la Lande.)
Die Figur des verrückten
Schäfers übernahmen dann die Pegnitzschäfer in ihr Pegnesisches Schäfergedicht mit Hylas und der Pamela. Letztere
gebärdet sich dort als sterbende Germania. Es ist anzunehmen, dass
Grimmelshausen diese Dichtung, an der Harsdörffer wesentlich beteiligt war,
kannte. [25] Im Gegensatz zu Don
Quixote und Sorels Schäfer wurde Pamela von den Autoren nicht als Karikatur
entworfen; sie ist aus patriotischem Kummer wahnsinnig geworden und flieht aus
der politischen Wirklichkeit in die Natur. Den Wahnsinn hat Jupiter mit ihr
gemeinsam. Grimmelshausen bewahrt sich aber die Flucht in die Natur bis zuletzt
auf und rückt seinen Wahnsinnigen näher an die eigentlichen Ursachen des
Krieges: die versponnenen religiösen und politischen Idealismen der Zeit, die
Legenden von übernatürlich starken Helden, und die unrealistischen Träume von
religiöser Perfektion. Nicht an Schäferromenen und Romanzen, sondern an solcher
Literatur hat sich der Deutsche überlesen. Zur Darstellung dieses Wahnes baut
Grimmelshausen für sich die Figur des Hortensius aus Sorels Françion aus – Hortensius ist dort ein
eingebildeter Pedant und Schullehrer, dem man eingeredet hat, er sei der König
von Polen – und es entsteht sein „Phantast, der sich überstudiert und in der
Poeterei gewaltig verstiegen” hat. ST (214)
Bei Sorel ist Hortensius eine Witzfigur; bei Grimmelshausen ist Jupiter jedoch
eine trotz aller Komik ernst gemeinte Verkörperung des deutschen Wahnes. [26]
Und wieder handelt es
sich um Parodie, wenn der große Jupiter plötzlich die Hosen herunterzieht und
seinen Flöhen den Kampf erklärt. Julius Peterson wird recht haben, dass Grimmelshausen
auf die vielen Phantasten der Zeit anspielte und vielleicht eine Anregung aus
dem Bericht über einen 1636 in Königsberg auftretenden Messias, den sogenannten
Johann Albrecht Adelgreiff, empfing, von dem es hieß: „Die Leuse plagten ihn
übernatürlich/ ist auch so voll der Würme/ das Gottes Strafe sonderlich an
diesem zu merken“. [27]
Bei Jupiter handelt es sich jedoch bezeichnenderweise um Flöhe, und zwar um die
Flöhe aus Johann Fischarts Flöh Hatz,
Weiber Tratz, die dort auch mit beweglicher Klage den Jupiter um Hilfe
gegen die Frauen bitten, welche ihrerseits die Plagegeister, die sie außerdem
zur Unkeuschheit reizen, auf jede Weise verfolgen.[28]
Fischarts Flöhe werden nicht nur als geile junge Feinschmecker geschildert, die
es auf die zartesten Jungfrauen abgesehen haben – ganz in der Ovidschen
Tradition, in der sich der Liebhaber wünscht, als Floh bei seiner Geliebten
hausen zu dürfen – sondern sie werden auch als organisierte Heere und raubende
Horden geschildert, die in der Kirche, auf dem Markt und in der Kinderstube
besonders die Frauen und Kinder überfallen, welche die Flöhe nun ihrerseits,
als Rache für ihre Blutgier, unter grauenhaften Torturen sterben lassen. Bei
Grimmelshausen bitten die Flöhe Jupiter um Hilfe und verteidigen sich ihm
gegenüber damit, dass sie doch schließlich auch leben wollen und keiner den Bauern schilt, weil er mit seinem Pflug
die Erde aufbricht. Wenn im Zeitalter Fischarts noch humoristisch von
blutdurstigen Kriegsvölkern und dem schrecklichen Einfallsreichtum der Rache
gesprochen werden kann, so ist es im Simplicissimus
voller Ernst geworden, wie die Szenen im Bauernhaus und vor Gelnhausen
beweisen. Dabei kann den Kriegshorden so wenig wie den Flöhen die Berechtigung
zu leben abgesprochen werden, und der Held des Romans selbst zeigt, dass man
sich oft nur durch Rauben am Leben erhalten kann. Auch der Idealismus des
Jupiter Teutsch muss letzten Endes an dem Gesindel, das der Krieg auftreibt,
scheitern; seine Geduld versagt und er gibt die Flöhe, denen er zunächst eine
Freistatt bei sich gewährt hatte, den Weibern zum „verrieblen und vertrieblen“ ST (230) preis. Wirkte die Flohszene, in
der Jupiter sich als der Flöhe Gott und nicht besser als der kurz vorher von
Läusen geplagte Simplicissimus entpuppt, zunächst nur komisch, so bekommt sie
aus parodistischer Sicht eine tiefere Bedeutung. Die Menschen sind im Ernst zu
Ungeziefer geworden, nicht mehr die Flöhe spasseshalber zu Menschen. Im
siebzehnten Jahrhundert lebt man in einer anderen Welt, einer Welt des Krieges.
Noch mit einer zweiten
Parodie setzt Grimmelshausen deutsches Wesen von dem der Spanier und Franzosen
ab. Nicht nur der deutsche Verrückte, auch der deutsche Abenteurer ist anders
als seine spanischen und französischen Verwandten. Simplicissimus ist weder ein
Gusman noch ein Françion. Die Ähnlichkeit des Simplicissimus mit dem spanischen
Picaro ist immer wieder aufgefallen. Es ist kaum anzunehmen, dass
Grimmelshausen nicht wenigstens den Gusman
d’Alfarche von Mateo Aleman in der Übersetzung von Albertinus und der Erweiterung
von Freudenhold kannte. Vermutlich hatte er auch den Lazarillo gelesen. [29]
So haben der Gusman und der Simplicissimus etwa die Teufelsepisode
gemeinsam. Beide Helden werden nachts im Bett von vier verkleideten Teufeln
überfallen, und beide werden auf ein Leilach oder eine Decke gelegt und
unbarmherzig „zerplotzt” bis sie halb tot liegen bleiben. [30]
Im Gusman hat der Schwank keinerlei
tiefere Bedeutung. Bei Grimmelshausen folgt dem Abstieg in eine gespielte
Hölle, den die Teufel besorgen, ein Aufenthalt im Fegefeuer und einer im
Paradies. Es ist die erste Begegnung des Knaben mit den menschlichen
Vorstellungen von Himmel und Hölle und mit dem zwar wirklichen aber nie ganz zu
fassenden Teufel in der Welt. Als Bauernbub fürchtete er nur den Wolf. Die Handlung
gleicht einem Initiationsritus; [31]
es ist eine bis nahe an den Wahnsinn führende Tortur, die Simplicissimus vom
reinen Thoren zum Kalb und Hofnarren macht. Bei Grimmelshausen gewinnt somit
das Physische geistige Bedeutung; die Welt wird der Ort eines metaphysischen
Dramas.
Ziemlich zu Anfang
zitiert der Gusman des Albertinus
denselben Abschnitt aus Garzoni, mit dem der Simplicissimus beginnt. [32]
Er handelt von der Überheblichkeit solcher, die besser sein wollen als ihre
Ahnen und ist insofern wichtig, als sowohl Gusman wie Simplicissimus ihren
Ahnen nachschlagen: der eine ist und bleibt dem Wesen nach ein Gauner (obwohl
die deutschen Bearbeiter von seiner Bekehrung berichten); der andere wird, wie
sein Vater, vom Kriegsmann zum Eremiten. Wieder wird der Gegensatz parodistisch
betont. Der Einsiedler in Montserrat bringt es nicht weit mit der Bekehrung von
Gusman.[33]
Simplicius dagegen wird von seinem ersten Einsiedlererlebnis wesentlich
geprägt. In den Episoden, wo sie Pagen und Soldatendiener sind, gleichen sich
die jungen Helden bis zu einem gewissen Grad. Nur ist und bleibt Gusman ein
Dieb, während Simplicius sein Gewissen nie ganz verliert und die Opfer als
Jäger von Soest gelegentlich sogar entschädigt.
Schon früh auf seinen
Reisen begegnet Gusman einem Priester, der ihm fünf gute Ratschläge gibt:
Fürchte Gott, hüte dich vor allen Sünden, meide böse Gesellschaft, enthalte
dich der Gemeinschaft unkeuscher Weiber, gedenke an den Tod. [34]
Nur eine dieser Mahnungen übernimmt der alte Einsiedler, als er Simlicissimus
berät: „Diese drei Stück, sich selbst erkennen, böse Gesellschaft meiden und
beständig verbleiben”. ST (35) Von
Gottesfurcht, Todesfurcht und Sündenfurcht sagt der alte Einsiedler nichts;
solange der Mensch nicht aus seiner ihm von Gott vorgeschriebenen Bahn
ausbricht, ist er gut. Es ist das positive, natürliche Christentum, das
Simplicius dann auf seiner Insel verkörpert.
Auch im Gusman gibt es eine Jupiterlegende.[35]
Der gütige Herr der Menschen schickt ihnen dort die Göttin der Glückseligkeit.
Betört von ihrem Glück, vergessen die Menschen alle anderen Götter, so dass
Jupiter schließlich gezwungen ist, die Glückseligkeit gegen die Göttin der
Unglückseligkeit auszutauschen. Auch Grimmelshausens Jupiter will erst den
Flöhen, dann den Menschen die Glückseligkeit bringen, muss schließlich aber
zugeben, dass es in beiden Fällen nicht möglich ist. Die beiden Romane teilen
viele Erzählmotive. Die Pilgerreise des Gusman gleicht, z. B., der missglückten
Pilgerfahrt des Simplicius.[36]
Beide beschauen sich unter anderem als Touristen die Pyramiden am Nil. In
beiden Fällen ist es ein Abenteurertum unter anderem Vorzeichen und kein echt
religiöses Unternehmen.[37]
Trotz ihrer vielen ähnlichen Erlebnisse, sind der deutsche und der spanische
Abenteurer immer deutlich verschieden.
Ebenso wenig wie
Simplicissimus ein spanischer Picaro ist, ist er ein französischer Abenteurer.
Hier zieht Grimmelshausen wieder Charles Sorels Françion zum parodistischen Vergleiche heran. Es gibt mehrere
Entsprechungen. [38] Beide Helden haben adelige
Väter, die in ihrer Jugend Kriegsmänner waren. Beide tragen einen Namen oder
Zunamen, der einerseits die Nationalität angibt, Teutsch und Françion,
andererseits „Offenheit” bedeutet. Beide begegenen einem Fantasten, der sich
überstudiert hat und infolgedessen dem Größenwahn verfallen ist: Jupiter und
Hortensius. Beide halten sich eine Zeitlang in Paris auf und erleben dort die
Bühne. Beide haben seltsame allegorische Träume von Bäumen. Beide haben einen
Gegenspieler, der Olivier heißt.[39]
Aber während der Traum des Simplicissimus Einblick in das soziale Chaos der
durch den Krieg geprägten Gesellschaft gibt – er sieht den verwandelten und von
Mars regierten Ständebaum – führt Françions Traum von den vielzüngigen Bäumen
letztlich in ein Reich der Erotik. [40]
Sorels Held bekennt, dass Liebe und Glück sein Leben regieren. Auch bei
Grimmelshausen ist Frankreich das Reich der Erotik; der Venusberg liegt in der
Gegend von Paris. Das wird ganz deutlich, als der nach Paris verschlagene
Simplicissimus dazu verführt wird, eine Rolle als Schauspieler, Sänger und
Lautenspieler in der Pariser Oper anzunehmen. In seinen Kostümen als Orpheus
und später Herkules, gibt er viel nacktes Fleisch zur Schau und erweckt so bei
Schauspielern wie Publikum Geilheit, als Herkules auch Gewalttätigkeit.
Grimmelshausen verwendet in dieser Episode einen am 8. März 1647 in der Gazette de France veröffentlichten
Bericht über eine Vorführung der Oper Orfeo
von Luigi Rossi und Franscesco Buti im Palais Royal. Martin Erich Schmid
hat gezeigt, dass er den Bericht so abändert, dass die Ereignisse aus der
Perspektive des Hauptdarstellers, d.h. des Simplicius, erzählt werden, wodurch
der psychologisch pervertierende Einfluss auf den Helden und nicht die Ästhetik
des Dramas betont wird. [41] Als Konsequenz seiner
Operntätigkeit wird Simplicius zum Gigolo adliger Frauen. Dabei verliert der
Held, nunmehr als Beau Alman bekannt, seine eigene Identität und gerät in ihren
Lustgemächern in Gefangenschaft; als Konsequenz erfährt er Krankheit und Armut.
Während Françions Lebensschifflein zuguterletzt in den Hafen der Ehe einläuft,
wobei praktische Erwägungen eine nicht unbedeutende Rolle spielen, scheitert
Simplicissimus vollkommen, als er unter ähnlichen Umständen im Renchtal die Ehe
versucht. Der französische Abenteurer hat als sein Revier die Erotik. Der
deutsche dagegen ist einer, der sich selbst erkennen und auf diesem Wege Gott
finden will.
Dass es Grimmelshausen
mit seiner Sexualmoral ernst ist, wird auch an anderer Stelle betont, und zwar
mit einer Parodie seiner selbst als Autor. Im 19. Kapitel des dritten Buches
erzählt Simplicius wie er zufällig dazu kommt, als der Lippstädter Pfarrer
„eben in [s]einem Joseph las”, d. h.
in des Autors frühem Roman, den er Der
keusche Joseph betitelt hatte:
Ich entfärbte mich/ daß einem
solchen gelehrten Mann meine Arbeit in die Hände kommen solte/ sonderlich weil
man davor hält/ daß einer am besten aus seinen Schriften erkennet werde; Er
aber machte mich zu ihm sitzen/ und lobte zwar meine Invention, schalte aber/
daß ich mich so lang in der Seliche (die Potiphars Weib gewesen) Liebes-Händeln
hätte [353] aufgehalten; Wessen das Hertz voll ist/ gehet der Muund über/ sagte
er ferners/ wenn der Herr nicht selbsten wüste wie einem Buhler ums Hertz ist/
so hätte er dieses Weibs Passiones nicht so wohl ausführen/ oder vor Augen
stellen können: […] immer Schad ists/ und ihr könts bey eurem himmlischen
Vatter in Ewigkeit nicht verantworten/ wenn ihr euer Talent, das er euch
verliehen/ vergrabt/ und euer edel Ingenium, das ich auß gegenwärtiger Schrift
erkenne/ verderben lasset/ mein getreuer und vätter-[354]licher Rath wäre/ ihr
legtet eure Jugend und eure Mittel/ die ihr hier so unnützlich verschwendet/
zum Studiren an/ damit Ihr heut oder morgen beydes GOtt und den Menschen und euch
selbst bedient seyn könnet […] ST (265-6)
Des Pfarrers Rüge passte treffender auf Zesens
plagiathafte Nachahmung und Richtigstellung des Grimmelshausenschen
Joseph-Romans, Assenat, (die aber
erst nach der Veröffentlichung des Simplicissimus
erschien), denn Zesen beschreibt die
lüsterne Sefira mit geradezu peinlicher Ausführlichkeit. Grimmelshausen sah die
infolge des Kriegschaos Ungeschütztheit der Frau – und diese Ungeschütztheit
bedeutete lüsterne, eifersüchtige und verantwortungslose Männer, entjungferte
Frauen ohne Verdienstmöglichkeiten außer der Prostitution, und elternlose,
unversorgte Kinder – als das große Übel seiner Zeit; daher die Überbetonung der
Keuschheit. In Grimmelshausens späteren Schriften spielt dann eine zusammengewürfelte,
simplicianische Familie, die sein Held unterhält und betreut, eine wichtige
Rolle. Grimmelshausens Roman Der keusche
Joseph wird im Katalog der Leipziger Herbstmesse von 1666 als „Exempel der
unveränderlichen Vorsehung Gottes”
angekündigt, und es ist kein Zweifel, dass dort das Zusammenspiel von
freier menschlicher Willensentscheidung und der Vorsehung Gottes im Mittelpunkt
steht. [42]
Die Verführungsszene wird aus
ironischer Distanz beschrieben:
Dieses alles brachte sie mit
solchen beweglichen und lustreizenden Gebärden vor/ daß sie auch den Saturnus
selbst hätte ergeilen können zu ihr/ wie ein junger Satyrus/ aufs Bette zu
springen; Ich kann mir auch wohl einbilden/ daß mancher/ der diß list/ bey sich
selbst gedenckt; diß wäre ein stattlich Fressen vor mich gewesen. (59) [43]
Grimmelshausen beugt hier also durch ironische
Verfremdung der möglichen Verführung des Lesers vor. Und er hat dann
offensichtlich des fiktiven Pfarrers Rat ernst genommen und seine Freizeit zum
„Studieren“ gebraucht; sonst hätte er seinen großen Roman niemals schreiben
können.
Zur
Charakterisierung des 17. Jahrhunderts
Auch der deutsche Schalk
und Abenteurer früherer Jahrhunderte unterscheidet sich grundsätzlich von
Grimmelshausens Helden. Simplicissimus ist kein Parzival, und auch kein
„Eulenspiegel”. Mehrere Forscher haben auf die Ähnlichkeiten zwischen
Eulenspiegelschen Streichen und den schwankhaften Episoden im Roman
Grimmelshausens hingewiesen. [44]
Trotzdem wurde keiner der simplicianischen Schwänke aus dem Volksbuch
übernommen. Wir kennen die Quellen für den Schinkendiebstahl und die
Eheschließung im Bett. Die Geschichte vom „Speckdieb” ist oft wiedererzählt
worden, unter anderem von Hans Sachs. Grimmelshausens vermutliche Quelle ist,
wie Josef Trostler gezeigt hat, Erasmus Franciscis Die lustige Schaubühne von allerhand Curiositäten. [45] In Franciscis Schwank verstellt sich ebenfalls
der Dieb als Teufel und kommt auf diese Weise mit der Beute davon. Aber des
Pfarrers Prophezeiung, dass ihn „vermuthlich gleicher Lohn/ wie dem Teufel
würde zutheil werden”[46]
ängstigt ihn dann so, dass er sich sofort bekehrt. Simplicissimus dagegen geht
realistischer vor; er zahlt dem Pfarrer reichlich für die Schinken und den
ausgestandenen Schrecken und gewinnt auf diese Weise einen Freund und Verehrer.
Man empfindet bei ihm weder mit dem Dieb noch mit dem Pfarrer Schadenfreude –
die Schadenfreude, die im Eulenspiegel
immer den Ton bestimmt – sondern es herrscht ein überlegener Humor. Auch die
Eheschließung im Bett lässt die Schadenfreude, die die Erzählung Franciscis
hervorruft, vermissen. [47]
Es handelt sich im Simplicissimus nicht
um einen gewissenlosen Buhler, der durch die Ränke einer schlauen Frau in
seinem eigenen Netz gefangen wird, sondern um die komisch-ernste Situation, in
die ein durchaus anständiges Mädchen geraten kann. Und der Kalbsaugendiebstahl,
der wie viele Streiche Eulenspiegels auf dem Wörtlichnehmen eines Befehls
beruht, wird in wirklicher Naivität begangen. Der deutsche Abenteurer des
Spätmittelalters, dessen Prototyp Eulenspiegel ist, ist durch seine lustigen
Streiche, unter denen unweigerlich andere zu leiden haben, und die die
Überlegenheit des mit Mutterwitz begabten einfachen Mannes demonstrieren,
gekennzeichnet. Simplicissimus will es sich hingegen zum Prinzip machen, dass
er die Geschädigten auch wieder entschädigt. Im Dreißigjährigen Krieg kann der
Soldat es sich nicht leisten, die, die ihm helfen könnten, zu verfeinden; er
wird durch seine eigene Not zu einem ethischen Verhalten gedrängt.
Für den Vergleich mit dem
Abenteurer des Mittlealters zieht Grimmelshausen Wolfram von Eschenbachs Epos Parzival, die große mittelalterliche
Darstellung des gottsuchenden Menschen heran. Mehr als einem Forscher sind
Entsprechungen zwischen den beiden Werken aufgefallen.[48]
Beide Kinder, Parzival und Simplicissimus, wachsen als Halbwaisen, die jeweils
Vater oder Mutter durch Krieg verloren haben, in der Einöde auf, mit geringen
Gotteskenntnissen und einer besonderen Art von Naivität. Beide haben in ihrem
frühesten Stadium noch keinen Namen, erhalten ihn dann von verwandten
Einsiedlern im Wald. Beide Kinder begegnen der Welt zuerst in Form von Rittern
oder Reitern. Beide beginnen ihr Leben in der Welt im Narrenkostüm, das
teilweise oder ganz aus einer Kalbshaut geschneidert ist. Beide machen
Lehrzeiten bei Einsiedlern im Wald, die ihre nahen Verwandten sind, durch.
Beide durchziehen jahrelang die Welt auf Abenteuer. Beide verharren längere
Zeit in trotziger Gottferne. Die Entsprechungen genügen, um dem Leser, der es
kennt, das Parzivalepos vor Augen zu führen. Die Verschiedenheiten sind ebenso
auffallend. Simplicissimus hat keine Geliebte, die auf ihn wartet, bis er sie
heimführen kann. Seine Frau stirbt, bevor er zurückfindet. Der Kampf, in den er
verstrickt ist, ist unedel. Ihn erwartet keine Gemeinschaft der Heiligen; er
bleibt in seiner Beziehung zu Gott allein, wenn auch auf seiner Insel ebenso
wunderbar erhalten, wie die Gralsgemeinschaft durch den heiligen Gral. In der
Welt des Simplicissimus sind Liebe, Ehe und Gemeinschaft durch den Krieg
unmöglich gemacht, obwohl seine Eltern noch einer Generation angehörten, die
die Liebe kannte. Durch die Heranziehung des Parzival wird der Gottsucher des Mittelalters gegen den des
siebzehnten Jahrhunderts abgesetzt.
Mit dem bekanntesten
deutschen Dichter des unmittelbar vorhergegangenen sechzehnten Jahrhunderts,
Hans Sachs, den er ausdrücklich erwähnt, setzt sich Grimmelshausen
ausführlicher auseinander. Da ist zunächst die auf einer seiner Erzählungen
fußende allegorische Gestalt des Baldanders, die Sachs selbst aus einem
spätmittelalterlichen Gedicht übernahm. Bei ihm gehört die Gestalt in die
Gefolgschaft des wankelmütigen Glücks. Den ständigen Veränderungen, die sie
hervorruft, liegt keinerlei Notwendigkeit zugrunde und die Tendenz ist durchweg
negativ (obwohl ein Anfügsel am Ende des Spruchgedichtes andeutet, dass
Baldanders angeblich “dergleichen auch herwiederum” bewirken kann):
Den Fried veränder ich in Streit,
Fruchtbare Jahr in teure
Zeit,
Stoß die Gewalting von
Leut und Land,
Die Ehrlichen in Spott und
Schand,
Die Glückhaftigen in
Unglück,
Die Sanftmütigen in Zorens
Tück,
Die Großmütigen in
Verzagung,
Die Mild-Gabreichen in
Versagung, …
So verabschiedet Hans Sachs Baldanderst als einen „wüsten
Gast” und lässt sich von ihm auf den frommen Gedanken bringen:
Also sind all ding
unbständig.
…
Derhalben du Mensch dich
darein schick
Von diesem Irdischen,
Gebrechlichen,
Zu dem Himmlischen,
Unaussprechlichen,
Ohnwandelbar alls
Ungemachs!
Das wünschet von Nürnberg
Hans Sachs.
31. Juli, 1534. (195) [49]
Man würde meinen, dass es Grimmelshausen nicht
schwer fallen dürfte, diesen Gedanken, die die ganze barocke Dichtung so sehr
beherrschten, beizupflichten. Aber wieder kommt die parodistische Umkehr. Der
Baldanders, dem Simplicissimus begegnet, ist kein Verwandter der Fortuna. Er
ist nichts anderes, als der Prozess natürlicher Verwandlung und sagt
infolgedessen von sich selbst mit recht, dass auch er im Paradies erschaffen
wurde.
Als er diß geschriben/
wurde er zu einem grossen Aichbaum/ bald darauff zu einer Sau/ geschwind zu
einer Bratwurst/ und unversehens zu einem grossen Baurendreck (mit Gunst) er
machte sich zu einem schönen Kleewasen/ und ehe ich mich versahe/ zu einem
Kühefladen; item zu einer schönen Blum oder Zweig/ zu einem Maulbeerbaum/ und
darauff in einem schönen seidenen Teppich etc. biß er sich end-[C3 b]lich wider
in menschliche Gestalten verändert/ und dieselbe öffter verwechselt/ als solche
gedachter Hanß Sachs von ihm beschriben; ST
([41] 507)
Wenn Simplicius in ihm den Teufel vermutet, so ist
dies reiner Aberglauben. Sein Baldanders fliegt als Vogel davon, nachdem er ihn
die hohle Kunst mit toten Dingen zu reden gelehrt hat, „als mit Stühlen und
Bäncken/ Kesseln und Häffen” ST
([40]506), wie er sie einst Hans Sachs lehrte.
Simplicius lässt sich
daraufhin die Geschichte vom Schermesser (dem Toilettenpapier) erzählen, dieses
schon lange toten Gegenstandes, das nun weiter den Weg aller irdischen
Verwandlung zurück zur Erde gehen soll und sich mit lächerlichem Dünkel dagegen
auflehnt.
ach warumb hat mich nit
gleich in meiner Jugend ein Funck oder Goll auffgefressen/ und alsobald Dreck
auß mir gemacht/ so hette ich doch meiner Mutter der Erden gleich widerumb
dienen: und durch meine angeborne Feistigkeit ihro ein liebliches Waldblümlein
oder Kräutlein herfür bringen helffen können/ ehe daß ich einem solchen
Landfahrer den Hindern hett wischen: und meinen endlichen Undergang im
Scheißhauß nehmen müssen; ST ([47]
513)
Nur wenn man das Tote befragt, wird man zu der
banalen Weltanschauung verführt, die in Dreck, Staub und Asche das Ziel aller
Dinge sieht. In der Geheimschrift, die er ihm hinterlässt, macht sich
Baldanders über Simplicissimus lustig. Entschlüsselt bedeutet sie: „Magst dir
selbst ein Bild enwie es einem jeden Ding ergangen, danach einen Discurs daraus
formirn; und davon glauben was der Wahrheit ähnlich ist, so hastu was dein
närrischer Vorwitz begehret.” Das was das Schermesser berichtet ist der
Wahrheit nur ähnlich und wenn auch die angeblichen Zauberworte dem, der sie nicht
versteht und sich infolgedessen nicht von ihnen warnen lässt, eine teuflische
Versuchung bedeuten können: „villeicht ist dieser Baldanders der Sathan gewest/
der dich hierdurch verführen will” ST ([42]
508), so lässt sich doch Simplicius nicht erschüttern. Der Fluch, mit dem das
Schermesser dahinfährt, klingt wie ein Witz:
gleich wie du jetzunder
mit mir procedirest/ also wird auch der Todt mit dir verfahren/ wenn er dich
nemblich wider zur Erden machen wird/ davon du genommen worden bist; und darvor
wird dich nichts fristen mögen/ wie du mich für dißmahl hettest erhalten
können. ST ([55-56]521-522)
So erweist sich die Vergänglichkeitsklage, die in
dem langen „Ade Welt” Zitat aus Guevara enthalten ist und derzufolge sich
Simplicius als Einsiedler in den Schwarzwald zurückzieht, als eine Banalität,
die der Autor selbst, der alte Simplicissimus, nicht gelten lässt. Es ist deshalb
auch nicht verwunderlich, dass sie zu einem falschen und unfrommen
Einsiedlertum führt.
Die aus allen natürlichen
Bereichen grotesk zusammengeflickte Frau Welt des Spätmittelalters, die als
Verhöhnung aller göttlicher Kreaturen auftritt, verwandelt sich in
Grimmelshausens Titelbild, das er vermutlich selbst zeichnete, zu einem Wesen,
das trotz aller Scheckigkeit einheitlich wirkt. [50]
Grimmelshausens Frau Welt ist, wie Scholte aufgewiesen hat, im Grunde ein
Satyr, eine Zwittergestalt zwischen Mensch und Naturwesen, die als weiser
naturkundiger Eremit im Walde lebt. [51]
Der Dichter spielt auf seine eigene Schrift Der
Satyrische Pilgram an. Dieser Pilgram seinerseits bezieht sich wieder auf
ein Hans Sachs Gedicht: „Von dem Waltprüder mit dem Satirus”. [52]
Im Gegensatz zum Waldbruder des Sachs kommt es dem Grimmelshausenschen Satyrus
durchaus nicht anstößig vor, wenn man seinen Atem einmal zum Wärmen der Hände,
dann zum Kühlen der Suppe braucht.
Kundt und zu wissen seye
hiemit der ganzen Welt/ daß sich ein neuer – Scribent freventlich herfürthut/
und sich unterstehet/ durch sein elende Feder zugleich Schwartz und Weiß/ Kalt
und Warm/ Tag und Nacht/ und dergleichen widerwärtige Dinge mehr/ uff einmahl
zuschreiben; [53]
Das Leben verlangt Wendigkeit vom Menschen, nicht
jene allzu simple teutsche Redlichkeit, die Hans Sachs verkörpert.
In diesem Sinne deutet
auch Grimmelshausen in dem schon zitierten Vers sein eigenes Titelbild: der
Mensch sollte sich in allen Elementen der Welt, als da sind Feuer, Wasser, Luft
und Erde, zurechtfinden. Der Satyr trägt Buch und Degen. Er tritt auf die
Masken, er durchschaut die Verkleidungen und den Schein, er weiß um das Böse
„was oft mich betrübet und selten ergetzt”. Aus diesem Wissen und diesem
Abstand entsteht das Buch der Welt, das den Mitmenschen dienen soll, dass sie
sich „entfernen der Torheit und leben in Ruhe”. ST (2) Durch die Auseinandersetzung mit Hans Sachs setzt sich
Grimmelshausen von dessen Zeit ab, einer Zeit, die sich von der Unbeständigkeit
der Welt verwirren ließ. Er gehört einer Generation an, die die Unbeständigkeit
so durchweg erlebt hat, dass sie dadurch nicht mehr geängstigt wird. Die böse
Frau Welt, die bei Sachs und Guevara eins war mit dem Fürsten dieser Welt, dem
Satan, trägt bei ihm das heilbringende Buch der Welt.
Der Teufel
und die Religion im Siebzehnten Jahrhundert
Mit den oben
beschriebenen Parodien hat Grimmelshausen seine Epoche und sein Land gegen
andere abgegrenzt. Nun ist es Zeit die Lösungen, die seine eigenen Zeitgenossen
vorschlagen, zu untersuchen. Wieder bedient er sich der Parodie als Mittel. Für
Moscherosch, den Autor der Gesichte
Philanders von Sittewald, ist eine strenge, national-christlich orientierte
Moral das Allheilmittel. [54]
Eine Reihe von Szenen im Simplicissimus
spielen auf Moscherosch, den Grimmelshausen vielleicht sogar persönlich
kennenlernte, an. Auch Moscheroschs Philander
beginnt damit, dass ein einfältiger, im reinen Christentum erzogener Knabe beim
Eintritt in die Welt sieht, dass dort alles verkehrt zu sein scheint:
Nach dem von meinen
Aelteren ich zeits der ersten Jugend in dem Christenthumb einfältig als ein
Kind underwiesen, […] befande ich endlichen und im auskehren, daß alles
dasjenige, so ich daselbsten in den Büchern von der Welt und ihrem Wesen
gelesen, auch under und bey den Mänschen auß ihrem Thun und Leben, Handel und
Wandel absehen und vermercken können, mir dergestalt vorkame, daß ich, ein
einfältiger, mich darein nicht wohl richten konte. [55]
Er macht sich auf den Weg, um ein Land zu finden,
wo die Dinge besser stehen. Das erste Erlebnis auf dem Wege ist die Heilung
eines Besessenen, ganz ähnlich der Heilung, deren Zeuge Simplicius in Einsiedeln
wird. [56]
Auch Moscheroschs Teufel verdreht die Wahrheit, hier indem er behauptet, nicht
die Menschen seien von Teufeln besessen, sondern die Teufel von Menschen und
deshalb an ihrer Statt zu bemitleiden. Diese Aussage, so falsch sie auch sein
mag, gibt dennoch Anlass, über den Grad menschlicher Verworfenheit
nachzudenken. Grimmelshausens Teufel ist dagegen unberechenbarer in seiner
Vermischung von Lüge und Wahrheit und insofern teuflischer, als er Verwirrung
stiften will.[57]
Des Teufels harmonisierender
Bericht von der höllischen Unterwelt spiegelt sich bei Grimmelshausen in dem
beschönigenden Bericht über die Zustände der Welt, den Simplicius in der
wässerigen Unterwelt dem Mummelseekönig gibt. Das Thema des missbrauchten
Teufels, auf den die Menschen alle Schuld abwälzen, das bei Moscherosch
angeschnitten wird, erweitert Grimmelshausen zu der viel allgemeineren Frage:
wo ist der Teufel eigentlich in der Welt zu finden? Ist er bei denen, die
gedankenlos in des Teufels Namen fluchen? Der junge Simplicissimus teilt oft
fast wörtlich Philanders Entsetzen hierüber. Ist er bei den verkleideten
Teufeln und all denen, die die Menschen foltern und an den Rand des Wahnsinns
treiben? Simplicius reift durch sein Teufelserlebnis zum Hofnarren heran. Ist
er bei denen, die für Teufel gehalten werden, wie Simplicius im Wald, und
anschließend aus Versehen zum Hexensabbat auf den Blocksberg fliegen? Ist er in
der Höhe zu suchen statt in der Unterwelt?
Eine wichtige Quelle für
Grimmelshausens Beschreibung des Hexensabbats ist Remigius, den er namentlich
erwähnt.[58] Die Geschichte von dem
Mann/Sohn einer Hexe, der sich mit auf den Hexensabbat nehmen lässt,
unbedachterweise den Namen Gottes nennt, damit den ganzen Spektakel
verschwinden lässt, und schließlich weit von zu Hause wieder zu Bewusstsein
kommt, für die Grimmelshausen als Quelle Ghirlandus (Grillandus) angibt, und
die ihm das Gerüst für seine Episode bietet, ist auch bei Remigius zu finden. [59]
Was für unseren Zusammenhang wichtig ist, ist dass in keinem der von Grimmelshausen
nacherzählten Zusammenhänge vom Teufel die Rede ist, sondern nur von Hexen und
Zauberern, während die ursprünglichen Geschichten den Teufel als Mittelpunkt
darstellten. Der junge Simplicius kann nicht erkennen, um welchen Mittelpunkt
sich der kreisende Tanz auf dem Blocksberg bewegt. Wohl stehen am Rande Teufel,
die durch die Nase trompeten, aber die Spielleute mit ihren ekelhaften
Instrumenten, darunter auch der, der Simplicius vor die Brust stößt, werden
„Kerle” genannt. Es ist jedenfalls kein Fest, das ausdrücklich vom Teufel
beherrscht wird; die trompetenden Teufel scheinen noch die harmlosesten Gäste. [60]
Bei Grimmelshausens
Beschreibung der grotesken tierischen Instrumente wird man unwillkürlich an die
Gemälde von Bosch, Breugel und Grünewald erinnert, besonders die zu dem Thema
„Die Versuchung des Heiligen Antonius”, das alle drei Maler bearbeiteten. Es
ist durchaus möglich, dass Grimmelshausen den Isenheimer Altar von Grünewald,
in dem nicht sehr entfernten Antoniterkloster, kannte. Hier wird der Heilige
dreimal dargestellt: als abgeklärter, freundlich dreinschauender Mensch, als
Jünger, der zu Paulus in die Wüste kommt, und als von Unholden Versuchter. Die
Versucher und Peiniger sind grotesk zusammengestückelte Tiere. Die eigentlichen
Teufel halten sich im Hintergrund, wo sie zum Teil mit Engeln kämpfen. Ein der
Gattung der Hühner verwandtes Tier trägt einen Knüppel, mit dem es
offensichtlich dem Einsiedler vor die Brust schlagen will. Man wird an die
Zeilen des Simplicius erinnert: „ […] der mit der Krott aber/ den ich steiff
ansahe/ zog seine Nasen auß und ein/ wie ein Calecutscher Han/und stieß mich
endlich auff die Brust/ daß ich bald darvon erstickte.“ ST (145)
Trotz des nachfolgenden,
vermutlich ironisch zu verstehenden Kapitels – Grimmelshausen gibt zu, dass er
seinen Helden ja irgendwie von Fulda nach Magdeburg verfrachten muss, wobei
zeitlich ein gutes Jahr verloren geht – deutet Grimmelshausen (wie übrigens
auch Remigius) die Möglichkeit an, dass es sich nur um einen Traum gehandelt
habe. „[I]n solchem Schrecken verstummte ich gar/ und bildete mir ein/ ich lege
in einem so schweren Traum”. ST (145) Da die Gestalt des Antonius im
Roman Bedeutung hat, wird möglicherweise auf die Versuchungen des Heiligen
angespielt, nur dass die Versuchungen bei Grimmelshausen gezielt auf solche,
denen Simplicius ausgesetzt ist, hindeuten. Von den teuflischen Instrumenten
wird ihm, dem Lautenspieler, die Laute, die aus einer Kröte und deren Gedärmen
gebastelt ist, angeboten. Der Hexentanz erinnert ihn an den Tanz der Grazien,
die auch „mit zusamm gekehrten Rucken” ST
(145) (also nicht ihren Mittanzenden zugewandt) tanzen. [61]
Vielleicht wird hier auf die Versuchung, die die Pariser Oper mit ihrem Ballett
bringen wird, hingewiesen. Auch die aus tierischen Körperteilen
zusammengestückelte Figur, wie sie Grünewald malt, findet sich, wie wir sahen,
im Roman. Aber die Gestalt des Titelbildes ist bei Grimmelshausen nicht
teuflisch. Es scheint fast, als wäre auch Grünewalds Bild in den parodistischen
Zusammenhang des Romanes aufgenommen, und zwar um die Unfassbarkeit des
Teuflischen zu betonen.
Noch andere Anklänge an
Ereignisse im Roman finden sich. Man bekommt den Eindruck, dass der Hexentanz,
sogar bis zur chaotischen Auflösung, geordneter und züchtiger ist, als der von
Unzucht, Trunkenheit und Völlerei verunreinigte Tanz in Hanau. Die Huldigung
Luzifers auf dem Blocksberg, die im allgemeinen darin bestand, dass dem Fürsten
der Welt der Hintern geküsst wurde, bleibt unerwähnt. [62]
Stattdessen müssen in der Szene vor Gelnhausen Soldaten den Bauern und dann
Bauern den Soldaten den Hintern lecken, bevor weitere Torturen vorgenommen
werden. Das Teufelsmahl, bei dem es Fleisch vom Schindanger gab, und das meist
karg ausfiel, bleibt auch unerwähnt; stattdessen werden die Gastmahle in Hanau
umso genauer geschildert und können, trotz ihrer guten Speisen, infolge der
widerlichen Auswirkungen der Völlerei im Leser nur Ekel erwecken. Die
grausam-unappetitlichen Instrumente der Teufelsmusik können sich kaum mit den
Verstümmelungen, die die Soldaten an ihren Mitmenschen vornehmen, messen. Für
Grimmelshausens Zeitgenossen, die gewiss alle die Sagen um den Blocksberg
wenigstens aus mündlicher Überlieferung kannten, wird die Frage, ob der Teufel
wirklich aktiver auf dem Blocksberg als in der Ebene sei, nahegelegen haben.
Als Verwirrung Stiftender
aber auch Wahrheit Offenbarender wird, wie schon erwähnt, der Teufel in
Einsiedeln geschildert. In der allegorischen Erzählung von Julus und Avarus
bedient er sich dann der bösen Eigenschaften Geiz und Verschwendung, um sein
Reich zu erweitern. Man hat zwar kaum den Eindruck, dass die
Verschwendungssucht des Gubernators von Hanau, der Freund und Schwager des
alten Einsiedlers war, ganz und gar böse ist. Es drückt sich in ihr auch Großzügigkeit
und Lebenslust aus. Eher noch findet man den Teufel bei den von Geistern
bewachten Schätzen, wo es sich meistens um Geiz gehandelt hatte. Aber das Geld
als solches, sobald es wieder im Umlauf ist, scheint nicht böse zu sein. Den
geraubten Schätzen Oliviers haftet kein Fluch an. Am offensichtlichsten
begegnet der Teufel in der Frau, die auf die Insel kommt. Aber auch das heißt
nicht, dass alle Frauen schlecht sind. Die erste Frau des Simplicius war es
nicht. Die Frau, die auf die Insel kommt, ist eine schwarze Abessinierin und
schwarze Menschen werden, wie der Speckdiebstahl beweist, für Teufel gehalten.
Aber der Moor, den Simplicius damals in einem Trog fand, war ein braver, in die
Fremde verschlagener Mensch. Die, die sich am meisten vor Teufeln fürchten,
sind der Bösewicht Olivier, von dem man annimmt, dass er den Teufel zum Bruder
habe, und der Pfarrer vom Speckdiebstahl, der sich zutraute, den Teufel zu
bannen. [63]
Um auf Moscherosch
zurückzukommen. Wenn das Böse in der Welt so schwer zu fassen und erkennen ist,
hat auch die Moralpredigt eines Moscherosch nur einen begrenzten Wert. Der
junge Philander kennt das Leben nur aus Träumen, er erfährt es nicht, und
deshalb kommt kein Buch der Welt, das den Menschen wirklich helfen kann,
zustande. Er betritt im Venus-Narren Kapitel, das wie bei Grimmelshausen im
verruchten Paris stattfindet, das innerste Gemach der lüsternen Liebe, aber er
verlässt es schnell, ohne sie zu erleben. Simplicius erlebt sie.
Auch Moscheroschs
übertriebener Nationalismus kann bedenklich stimmen. Simplicius gleicht in
seinem Kalbsfell den fellbekleideten Germanen des A la Mode Kehraus, diesen Germanen, die in Erwartung eines
teutschen Helden, eines wiedererstandenen Barbarossas, stehen. Nur rein
Germanisches lassen sie gelten. Dabei vergisst Moscherosch offensichtlich, dass
Armimius bei den Römern erzogen wurde. Grimmelshausen macht darauf aufmerksam:
ICh spatzierte einsmahls
im Wald herumber meinen eitelen Gedancken Gehör zugeben/ da fande ich ein
steinerne Bildnuß ligen in Lebens Grösse/ die hatte das Ansehen als wann sie
irgends eine Statua eines alten teutschen Helden gewesen wär/ dann sie hatte
ein Altfränckische Tracht von Romanischer Soldaten Kleydung … ST ([39] 505)
Die Statue gibt sich dann als Baldanders zu
erkennen. Auch Moscheroschs Philander hatte sich den alten Germanen als einen
Baldanders vorgestellt:
1. Mein Name,
Philander 2. Bin ein geborner Teutscher
von Sittewaldt 3. Weiß zwar selbst
schier nicht, was ich sonst bin: Ich bin, was man will; hab mich in diesen
Ellenden Zeiten müssen in allerley Leut köpfe schicken und wie Hans Wursts Hut
auff allerley weise winden, trähen, drücken, ziehen, zerren und bögeln lassen;
viel leiden, viel sehen, viel hören, und mich doch nicht annehmen müssen;
Lachen, da es mir nicht umbs Herz war; Gute wort geben denen, die mir böses
thaten; mich müssen gebrauchen lassen wie das kalte Gebratens; bald für ein
Ambtmann, und nach dem ich von den Wüterichen etlichmahl außgeplündert,
geängstigt, geschätzt, tribulirt, verjagt und vertrieben worden, für ein
Hoffmeister, Rentmeister, Vorsprech, Advocaten; bald für ein Jäger,
Vorschneider, Stallmeister; bald widerumb für ein Ambtmann, für ein Baumeister,
für einen Schultzen, Bittul, Bauernartzt, für einen Roß= und Kühehirten, für
einen Schützen, Soldaten, für einen Bauren. Und in meinem Ampt offt die Arbeit
thun müssen, deren vor diesem ein Schultz, Bittul, Roß- oder Kühehirt, Schütz,
Soldat unnd Bauer sich geschämet hätte. [64]
Wenn Grimmelshausen hier nicht einen modernen
Germanen sondern einen alten Germanen Baldanders sein lässt, gibt er damit zu
verstehen, dass es nie eine Welt ohne Wandel gegeben hat, ebensowenig wie die
berühmten alten Germanen sich von römischem Einfluss frei halten konnten oder
wollten. Deutschland war und ist, wie es in der Gestalt des Jupiter Teutsch zum
Ausdruck kommt, ein Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, ein europäisches
Reich. Sowohl Grimmelshausen wie sein Held bekehren sich schließlich zum
katholischen (d.h. allgemeinen) römischen Glauben, obwohl man Simplicius auch
danach nie in einer Messe sieht.
Nicht nur die christliche
Moral, die für Moscherosch und die Satiriker vor ihm noch etwas
Selbstverständliches war, auch die christlichen Kirchen mit ihren verschiedenen
Bekenntnissen, um die es im Dreißigjährigen Krieg zunächst ging, sind in ihrem
Wert und ihrer Abgrenzung gegeneinander nicht mehr klar zu unterscheiden. Nach
der Schlacht von Höchst, die 1622 eine vernichtende Niederlage der
protestantischen Armee brachte und das Ende der ersten, religiös begeisterten
Etappe des Dreißigjährigen Krieges bedeutete, zieht sich der Vater des
Simplicissimus als Einsiedler in den Wald zurück. Religion wird nicht durch
Krieg gefördert. Der alte Einsiedler ist offensichtlich Protestant, obwohl der
Gelnhauser Pfarrer ihn papistischer Neigungen verdächtigt.
Der lügnerische Teufel in
Einsiedeln, dem niemand glaubt, obwohl er ein gut Teil Wahrheit spricht,
behauptet seinerseits, dass die Eltern des Simplicius mehr wiedertäuferisch
denn calvinistisch gewesen seien. Wiedertäuferisch war zu der Zeit der Rückzug
des Christen aus dem aktiven und politischen Leben, der auf der Erkenntnis
beruhte, dass eine Gesellschaft immer nur zum geringsten Teil aus wirklichen
Christen bestehen könne. Der Protestantismus, der mit so siegesfrohen Liedern
ausgezogen war, war bei den Wiedertäufern zu einer stillen, trostsuchenden
Religion der Nacht geworden. Auch im Simplicissimus
sind die Morgenlieder Nicolais und Stegmanns dem Nachtlied des Einsiedlers, das
auch in der Nacht gesungen wird, gewichen. Grimmelshausen selbst macht auf die
Beziehung aufmerksam, wenn er Simplicius sagen lässt: “und wann ich den
Morgenstern jemals gehört/ oder dessen Melodey auff meiner Sackpfeiffen
aufzumachen vermöcht/ so wäre ich auß der Hütten gewischt/ meine Karten mit
einzuwerffen …” ST ( 24) Günther Weydt wies darauf hin, dass
das Gegenstück zu Grimmelshausens Lied weniger in dem in mystische
Liebessprache gekleideten Gesang Nicolais, als in dem naturnahen Lied Stegmanns
zu suchen sei. Hier lautet die erste Strophe:
Wie schön leuchtet der
Morgenstern
Vom Firmament des Himmels
fern,
Die Nacht hat sich
verloren.
All Kreaturen freuen sich,
Dass wieder kommt des
Lebens Liecht,
Der Tag wird neu geboren,
Die klein Vöglein
Quintelieren, solmesieren,
Ehrn und loben
Aber noch ein anderes Gedicht klingt an und es ist
unwahrscheinlich, dass Grimmelshausen als Kenner von Hans Sachs es nicht
gelesen hatte. Es ist sein Lobgedicht auf Luther, “Die Wittembergsche
Nachtigall”:
Wacht auf! Es nahet gen
dem Tag.
Ich hör singen im grünen
Hag
Ein wunigliche Nachtigall.
Ir Stimm durchklinget Berg
und Tal.
Die Nacht neigt sich gen
Occident,
Der Tag geht auf von
Orient.
Die rotbrünstige Morgenröt
Her durch die trüben
Wolken geht,
Daraus die liechte Sonn tut
blicken.
Hier ist die Nachtigall, die der Tradition, wenn
auch nicht unbedingt der Realität, nach der Nacht angehört, in den anbrechenden
Morgen versetzt worden. Hans Sachs fährt fort:
Nun daß ir klärer möcht
verstan,
Wer die lieblich
Nachtigall sei,
Die uns den hellen Tag
ausschrei:
Wenn also Grimmelshausen die Morgenlieder in
Nachtlieder umkehrt und die Nachtigall der Nacht zurückgibt, geschieht es wohl
aus ähnlicher Gesinnung wie etwa Schwenckfelds enttäuschte Abkehr von Luther,
um in abwartender Stille eine Lösung der protestantischen Konflikte
herbeizuhoffen.
Das katholische
Gegenstück des protestantischen Kirchenliedes kommt am Ende des fünften Buches,
mit dem von Grimmelshausen nur ganz wenig überarbeiteten langen Zitat aus
Guevara in der recht freien Übertragung von Albertinus: „ADjeu Welt/ dann auff
dich ist nicht zu trauen/ noch von dir nichts zu hoffen …” ST (457) [67]
Diese Prosa ist ganz von der mittelalterlichen Idee der Hure Frau Welt, die
jedermann verführt, beherrscht. Sie treibt den nunmehr zum Katholizismus
bekehrten Simplicissimus erneut zum Einsiedlertum. Aber wie diese Prosa ganz
aus rhetorisch-aesthetischem Geiste entsprungen ist, so ist auch das schwarzwälder
Eremitentum des Simplicius von Müßiggang und Träumerei unterhöhlt.
Simplicissimus sieht es selbst ein und macht sich erneut auf den Weg.
Grimmelshausen hat zwar das Mönchtum nirgendwo besprochen, aber Aspekte des
Mönchtums, nämlich die unvollkommene Abgeschiedenheit von der Welt, welche sich
immer noch durch Verehrung und Unterstützung des heiligen Mannes, der so zu
Faulheit, Überheblichkeit und Selbstzufriedenheit verleitet wird, bemerkbar
macht, werden hier angedeutet. Rückblickend ist es kein Zufall, dass
Grimmelshausen das „Adieu Welt” als direktes, von „Quevarae“ stammendes Zitat
einfügt. ST (457) Auf diese Weise
distanziert er sich von den ausgesprochenen Gedanken. Sie sind, wie so vieles,
was im Buch herangezogen wird, nur halb richtig.
Ein drittes Mal zieht
sich Simplicius als Eremit zurück und auch hierzu gibt es eine Dichtung. Es ist
ein Verspaar im Stil der Aphorismen von Czepko und Silesius, das auf dem
grundlegenden Paradox der Mystik, dem lichten Dunkel, beruht. [68]
Ach allerhöchstes Gut! du
wohnest so im Finstern Liecht!
Daß man vor Klarheit groß/
den grossen Glantz kann sehen nicht. ST ([107]
573)
Scholte meint bewiesen zu haben, dass
Grimmelshausen hier Zeilen eines Gedichtes von Vittoria Colonna, die er in
Garzonis Der allgemeine Schauplatz
fand, umgedichtet hat. Sie lauten auf Deutsch:
Herr der du droben wohnst,
in unerforschlichem Liecht,
Wenn tatsächlich das Colonna Epigramm hier
zugrunde liegt, so hat Grimmelshausen auch diese Zeilen völlig umgestaltet. Im
italienischen Gedicht heißt es eindeutig, dass man Gott nicht erkennen kann.
Bei Grimmelshausen ist die Klarheit übergroß, so dass man nicht mehr auf den
Glanz achtet.
Doch auch Gedichte der
Schlesier, etwa das Weihnachtssonett Gryphs, werden für den gebildeten Leser
hier angeklungen sein:
Nacht, mehr denn lichte
Nacht! Nacht, lichter als der Tag!
Nacht, heller als die
Sonn! In der das Licht geboren,
Das Gott, der Licht in
Licht wohnhaftig, ihm erkoren!
O Nacht, die alle Nächt
und Tage trotzen mag! [70]
Die Metaphern des natürlichen wie des übernatürlichen
Lichts sind auch bei Paracelsus zu finden:
Dann die Natur gibt ein
Liecht/ dordurch sie mag erkannt werden/ aus jrem eignen Schein: Aber im
Menschen ist auch ein Liecht/ dordurch der Mensch vbernatürlich dinge erfart/
lehrnt/ vnd ergründt. [71]
Offensichtlich ist mit dem Sinn- und Schlussreim
des Simplicius die ganze Richtung barocker Mystik charakterisiert. Der
Siechentröster des holländischen Schiffes „welcher ein überaus gelehrter Mann
war” sagt dazu: „So weit kombt ein Mensch auff dieser Welt und nicht höher/ es
wolle ihm dann Gott das Höchste Gut auß Gnaden mehr offenbaren.” ST ([107] 573) In dieser, im Grunde
genommen überkonfessionellen, begnadeten Mystik sieht Grimmelshausen, wieder im
Sinne seiner Zeit, die höchste religöse Möglichkeit. [72]
Es ist die barocke Entsprechung der Gralsmystik im Parzival, denn auch sie steht jenseits der kirchlichen
Religiosität.
Mystik und Gesang sind
jedoch jeweils nur Augenblicke, wenn auch Höhepunkte, in der
Einsiedlerexistenz. Das Einsiedlertum ist daneben in den Fällen, wo es
erfolgreich ist, also bei Gelnhausen und auf der Insel, ein gottgefälliges
Leben ganz in der Natur und aus der Natur. Nur ist im ersten Falle die Natur
karg und winterlich und ihr angemessen der Einsiedler ein Asket, im zweiten
Falle die Natur reich und sommerlich, ein Garten Edens. Hier endlich haben wir
das Paradies, nach dem der Roman zaghaft und ironisch immer wieder gesucht
hatte, verwirklicht. Die Holländer berichten: “Da fanden wir mehr ein Irrdisch Paradeiß
als einen öden unbekanndten Orth!” ST ([106]
572) und: “halte ich dise Insul vor den allergesündesten Ort in der Welt.” ST ([121] 587)
Ein Paradies wird es
jedoch erst nachdem Eva und der Teufel, verbunden in der Gestalt der
Abessinierin, wie auch der trunksüchtige Tischler und sein Geist, die Insel
verlassen haben und Simplicius dort wirklich wie der erste Mensch leben kann.[73]
Wieder haben wir in der Genesis-Parodie die verkehrte Welt: was dort Beginn
ist, ist hier Ende, was dort Gottesakt ist, nämlich die Erschaffung der Frau,
ist hier Teufelswerk. Da es aber ein Zurückgehen in der Zeit und eine Korrektur
des göttlichen Schöpfungsaktes im Ernst nicht als Lösung geben kann, liegt eine
gewisse Notwendigkeit darin, wenn Simplicius in einer weiteren Continuatio in
die Menschenwelt zurückgeraubt wird und sich dort von neuem behaupten muss.
Hierzu passt, dass das
Werk, welches Grimmelshausen zu diesem Schluss anregte, und dessen Lösung auch
dem Tischler und der Abessinierin vorgeschwebt hatte, ebenfalls eine Parodie
des biblischen Paradieses ist. Auf Henry Nevilles Isle of Pines werden jedoch ein Mann und gleich vier Frauen
verschlagen. Im gesunden Inselklima vermehren sie sich, so dass im 59. Jahre
ihres Aufenthaltes ein Volk von eintausendsiebenhundertundneunundachtzig aus
der Zeugungskraft eines Mannes entstanden ist.[74]
Hier wird der biblische Anfang in ein besinnungsloses „seid fruchtbar und
mehret euch” umgedeutet; der Name des Stammvaters ist nur ein Anagram für sein
Geschlecht. Lars Kaminski hat herausgehoben, dass Nevilles Text auf ein Zurück-zur-Natur
im positiven Sinne hinausläuft: „Die Wollust auf der Insel ist kein
unmoralisches Fehlverhalten, sondern die von der Natur vorgesehene Lebensform,
welche allein dem Zwecke dient, die natürliche Ordnung zu erhalten und zu
mehren.“ [75] Dazu müssen die Schiffsbrüchigen
sich aber der europäischen Ängste und Konventionen entledigen und das geschieht
erst, als sie lernen ganz auf Kleidung und mit ihr auf sexuelle Hemmungen zu
verzichten. In Grimmelshausens Darstellung dagegen bleibt bei Simplicius wie
Meron die Scham und mit ihr die Notwendigkeit der Bekleidung, auch wenn es wie
einstmals bei Adam und Eva hierfür nur Blätter gibt, erhalten und mit ihr das
Bewusstsein der Sündigkeit des Menschen vor Gott. „Ein paradiesischer
Naturzustand, in dem er seinen tierischen Gelüsten nachkommen kann, ohne sie
Sünde nennen zu müssen, kann sich nach der Vertreibung aus dem Garten Eden eben
nicht mehr einstellen. Dieser Gedanke ist es, den der Christ Grimmelshausen der
Religionssatire Nevilles engegenhält.“ [76]
Der
Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung im siebzehnten Jahrhundert
Wie die Religion, kann
auch die alte Ordnung der ständischen Gesellschaft dem Menschen des Barock
keinen Halt mehr geben. Sie hat sich aufgelöst, und wieder stellt
Grimmelshausen den Verfall parodistisch dar. Dem gebildeten Zeitgenossen
Grimmelshausens wird vermutlich aufgefallen sein, dass der erste Abschnitt des
Romans, wie auch manche andere, ein fast wörtliches Zitat aus der großen Enzyklopädie
der Zeit, Garzonis Allgemeinem Schauplatz
ist. [77]
Garzoni führt seine Leser durch alle gesellschaftlichen Stände. Grimmelshausen
beginnt seinen Roman mit Garzonis Klage darüber, dass sich in heutigen Zeiten
die Menschen nicht mehr in den ihnen zugewiesenen sozialen Schranken aufhalten
wollen:
Es eröffnet sich zu dieser
unserer Zeit (von welcher man glaubt/ daß es die letzte seye) unter geringen
Leuten eine Sucht/ in deren die Patienten/ wann sie daran kranck ligen/ und so
viel zusammen geraspelt und erschachert haben/ daß sie neben ein paar Hellern
im Beutel/ ein närrisches [7] Kleid auf die neue Mode/ mit tausenderley
seidenen Banden/ antragen können/ oder sonst etwan durch Glücksfall mannhafft
und bekant worden/ gleich Rittermässige Herren/ und Adeliche Personen von
uhraltem Geschlecht/ seyn wollen; da sich doch offt befindet/ daß ihre Vor-Eltern Taglöhner […] ST (
9)
Simplicissimus selbst mag sich mit „solchen
närrischen Leuten […] nicht gleich stellen/ ob zwar…” und nun bekennt er, dass
er sich oft eingebildet, „ich müsse ohnfehlbar auch von einem grossen Herrn/
oder wenigst einem gemeinen Edelmann/ meinen Uhrsprung haben”, weil er von
Natur geneigt ist zu faulenzen, „das Junckern-Handwerck zu treiben”. ST (9) Da der alte Simplicissimus, der
diesen Roman erzählt, weiß, dass er tatsächlich von Adel ist, wirkt dieser
Anfang umso ironischer. Der Erzähler fährt fort und schildert den Bauernhof des
Knans als Palast, und wieder mit Hilfe von Garzoni-Zitaten bemüht er den Topos
vom Hirtendasein als einem anderen Paradies, während in Wirklichkeit überall
die rauhe Armut durchscheint. Im Laufe des Romans erfahren wir, dass das
Adelsprädikat das Leben des Simplicius auch nicht im geringsten ändern wird, ja
dass das ganze ständische Wesen nicht weniger unwirklich ist, als die
Darstellung des Schäferdaseins in der Literatur der Zeit. Wieder hat
Grimmelshausen Zitate eingeflochten, um so von den zum Schein vertretenen
Meinungen Abstand zu nehmen. Auch der Leser, der Garzoni nicht kennt, wird jene
einleitende Verteidigung des Ständewesens
befremdend finden.
Deutlicher wird
Grimmelshausens Auffassung dann in der Parodie des Ständebaums. [78]
Auf dem Stich, den der Dichter wohl vor Augen hatte, sitzen die Stände ruhig
und friedlich auf ihren verschiedenen Astetagen. Zwar halten sich auch hier die
Bauern und Tagelöhner zwischen den Wurzeln auf, aber wir finden sie dann zu
unserem Erstaunen Dudelsack pfeifend und schlafend auf dem Wipfel des Baumes
wieder, erhaben über Papst und Kaiser, aller Logik, nach der der Mensch nicht
gleichzeitig an zwei Orten sein kann, zum Trotze ein Zeichen, dass der
Hirtenmythos auch im Ernst geglaubt wurde. In der Traumvision des jungen
Simplicissimus wandelt sich das Bild. Die Bauern zwischen den Wurzeln werden
von der Last des Baumes erdrückt. Aller Besitz wird ihnen entpresst. Auf dem
Baum selbst herrscht große Unordnung: einige fallen herab, während andere
versuchen, höher zu klettern an einem mit Seifen der Missgunst geschmierten
Stamm. Die normale ständische Ordnung ist hier in eine soldatische Rangordnung
verkehrt. Dann wachsen die verschiedenen Bäume zu einem einzigen, ganz Europa
überschattenden Baum zusammen, auf dessen Wipfel der Kriegsgott Mars nunmehr
sitzt. Der Baum wird von den Leidenschaften „gleichwie von scharfen Nordwinden
angeweht”: Neid, Hass, Argwohn, Missgunst, Hoffahrt, Hochmut, Geiz. Auf seinem
Stamm findet sich folgender Reim:
Die Stein-Eych durch den
Wind getrieben und verletzet/
Ihr eigen Aest abbricht/
sich ins Verderben setzet:
Durch innerliche Krieg/ und brüderlichen Streit/
Wird alles umbgekehrt/ und folget lauter Leid. ST (51)
Im Deutschland des Dreißigjährigen Krieges waltet
das Chaos.
Utopien
Der Krieg hat den
Zusammenbruch der alten Ordnung verursacht. Dies ruft die Frage nach neuen
gesellschaftlichen Ordnungen hervor. Es ist das Zeitalter der Utopien. Drei
Utopien wurden andeutungsweise im Zuge der großen parodistischen Entsprechungen
abgewiesen.[79] Die heilige
Gralsgemeinschaft (Parzival), das Glück des zufriedenen Ehemanns (Françion) und
die aus der Zelle der Familie erwachsende, patriarchalische Staatsordnung, auf
die Henry Neville in seinem Isle of Pines
unter anderem verweist, sind nicht möglich in einer Welt, in der die Keuschheit
der Frau nicht mehr gewährleistet werden kann.[80]
Zwei weitere Möglichkeiten
werden vorgeschlagen und innerhalb des Romans selbst wieder parodiert. Die
erste wird von dem Narren Jupiter vorgetragen, die zweite ist im Mummelseereich
verkörpert. Diese beiden Erzählkomplexe sind andeutungsweise verbunden. In
beide Bereiche ist der Bericht über der Welt Laster gedrungen. Jupiter sagt,
„daß ein groß Geschrey über der Welt Laster zu mir durch die Wolcken gedrungen”
ST (209), zeigt sich aber milde
gesinnt: „obwol ich alles ärger finde/ als mirs vorkommen/ so bin ich doch
nicht gesinnt/ alle Menschen zugleich und ohne Unterscheid außzureuten/ sondern
nur die jenige zu straffen/ die zu straffen sind/ und hernach die übrige nach
meinem Willen zu ziehen.” ST (210) Der König des Mummelsees sagt: „es ist mir
referirt worden/ daß sich die irdische Menschen/ und sonderlich ihr Christen
deß
jüngsten Tags ehistes versehen/ weilen nicht
allein alle Weissagung/ sonderlich was die Sybillen hinterlassen/ erfüllt/
sondern auch alles was auff Erden lebt/ den Lastern so schröcklich ergeben seye
”. ST (425) Jupiter gegenüber gibt
sich Simplicissimus als Silvanus aus „von den Faunis und Nimphis geboren” ST (209) (hier wird auch auf das
Titelblatt angespielt), während ja die echten „Silvani” den Mummelsee bevölkern
und da ein ganz anderes Leben als der Jäger von Soest führen. Vor Jupiter
brüstet sich Simplicissimus mit der Unschuld des Naturwesens, vor dem König der
Naturwesen mit der Unschuld des Christen. Beides ist vorläufig Betrug.
Jupiter vertritt was man
eine bürgerlich-nationale Utopie nennen könnte.[81]
Er will einen teutschen Helden erwecken, der mittels seiner physischen und
geistigen Gaben und mit Hilfe eines Wunderschwertes ohne Armee und Krieg die
Welt besiegen wird. Nicht mehr die Fürsten, sondern die Städte sollen das sie
umgebende Land regieren; zwei Delegierte aus jeder Stadt, die vom Helden
erwählt werden, bilden zusammen ein Parlament, das das Land vereinigen soll.
Die Leibeigenschaft wird abgeschafft und alle christlichen Könige empfangen vom
deutschen Kaiser ihre Länder zu Lehen. Die Fürsten haben die Wahl, entweder im
Land zu bleiben und als Privatmenschen zu leben, oder das Land zu verlassen und
in der Ferne ihren Herrschaftsgelüsten zu frönen. Zuletzt soll noch der Türke
unterworfen und bekehrt werden, und die Christen sollen dazu gezwungen werden,
sich zu vereinigen. Der deutsche Held wird Herr über ein friedvoll vereinigtes
Europa sein, ein heiliges Reich aus der deutschen Nation, wie es sich die
Patrioten erträumten, nach modernem absolutistischen Muster. Und Jupiter
schildert das Paradies, das auf diese Weise entstehen wird: „das Privatleben
der Teutschen wird alsdann viel vergnügsamer und glückseeliger seyn/ als
jetzund das Leben und der Stand eines Königs”. ST (213) Der Held wird:
eine Statt mitten in Teutschland
bauen/ welche viel grösser seyn wird/ als Manoah in Amerika, [238] und
goldreicher als Jerusalem zu Salomons Zeiten gewesen/ deren Wäll sich dem
Tyrolischen Gebürg/ und ihre Wassergräben der Breite deß Meers zwischen
Hispania und Afrika vergleichen soll/ er wird einen Tempel hineinbauen von
lauter Diamanten,/Rubinen/ Smaragden und Saphiren; und in der Kunst-Kammer, die
er auffrichten wird/ werden sich alle Raritäten in der gantzen Welt versambeln/
von den reichen Geschencken/ die ihm die Könige in China/ in Persia/ der Grosse
Mogor in den Orientalischen Indien/ der Grosse Tartar Cham/ Priester Johann in
Afrika, und der Grosse Czar in der Moscau schicken; ST (213-14)
Das letzte Glied der
Aufzählung schafft die Verbindung zu der Parodie dieser Utopie, die auf Adam
Olearius’ Reisebericht fußende Beschreibung des damaligen russischen Reiches. [82]
Beim Leser wird hier die Kenntnis des Reisebuches vorausgesetzt. Dort werden
zum Teil umständlich die kostbaren Gegenstände, die als Geschenke und
Gegengeschenke zwischen den Fürsten gehandelt werden, beschrieben und
aufgezählt. Der Zar lässt ihren Geldwert schätzen, bevor er sich zufrieden
erklärt, ein Detail, das Olearius sachlich berichtet. Man bekommt immer wieder
von dem Kleiderverleih des Zaren zu hören, der im Handumdrehen aus einfachen
Bürgern große Fürsten macht, auch davon, dass die Landbevölkerung aufgefordert
wird, sich Fremden in Sonntagstracht zu zeigen, um ihnen vorzuspiegeln, es
seien hier alle Menschen gleich und reich. Der sanfte Druck, mit dem Fremde
genötigt werden, die Landesreligion anzunehmen – ganz im Sinne Jupiters –, wird
wiederholt geschildert. Kaufleute, gosti genannt, gehören mit zu dem imposanten
Gefolge des Herrschers; das Bürgertum ist sozusagen in den Fürstenstand
erhoben. Tartaren und Kosakenfürsten erhalten ihre Länder als freie Lehen vom
Zaren (sind aber deshalb nicht immer höflich gegen ihren Herrn). Die milde
Gewaltherrschaft Russlands ist wohl die nächste Entsprechung in der
Wirklichkeit, die Jupiters Vision fände. Simplicissimus wird in diesem Lande zwar
niemals schlecht oder unehrenvoll behandelt; aber er wird ausgenützt, für seine
Dienste nicht belohnt und ist, trotz aller gegenteilgen Beteurungen, im Grunde
ein Gefangener. Freiheit von dieser Fron erlangt er erst wieder, als ein
kriegerischer Tartarentrupp ihn raubt. Das Reich Jupiters kann vermutlich auch
nur ein potemkinsches Scheinreich sein. Als Simplicius Jupiter zum zweiten Male
begegnet, hat auch dieser begriffen, dass es den Menschen gar nicht um sein
Friedensreich zu tun ist. Viele leben im Krieg nicht anders als im Frieden, und
während einige aus beruflichen Gründen den Frieden herbeisehnen, ziehen andere
aus eben denselben Gründen den Krieg vor.
Die Mummelsee Episode
geht auf des Traktat Liber de Nymphis,
Sylphis, Pygmaeis et Salamandris des Paracelsus zurück. [83]
Dieser Text wird heute für unecht gehalten und es ist deshalb nicht
verwunderlich, dass sich Grimmelshausen zu Berichtigungen genötigt fühlte. Die
Naturwesen des Paracelsus haben menschliche Schwächen: „Sie seind Witzig/
Reich/ Verstendig/ Arm/ Dorechtig/ wie wir auß Adam”. [84]
Wie die Menschen leiden sie unter Krankheiten: „dass sie Pestilentz/ Febres,
Pleureses, und all Kranckheiten des Himmels haben/ als wol als wir sie haben/”.
[85]
Bei Paracelsus heißt es: „Dann wiewol sie Vich sind/ so haben sie doch all
Menschen Vernunfft/ allein die Seel nicht: sie haben drumb das urtheyl nicht/
Gott zudienen/ zuwandeln in seinem Weg/ dann sie hand der Seel nicht.” [86]
Die Wasserleute Grimmelshausens, dagegen, kennen weder Sünde noch Krankheit und
ihr Leben ist Dienst des Schöpfers in der Welt und in der Zeitlichkeit:
ich rede und verstehe hier
nichts von der Ewigkeit/ weil wir deren zu geniessen nicht fähig seyn/ sondern
allein von dieser Zeitlichkeit/ in welcher der Allergütigste Schöpffer uns genugsam
beseeligt/ als mit einer guten gesunden Vernunfft/ mit Erkantnus deß
Allerheiligsten Willens Gottes/ so viel uns vonnöthen/ mit gesunden
Leibern/ mit langem Leben/ mit der edlen
Freyheit/ mit genugsamer Wissenschafft/ Kunst und Verstand aller natürlichen
Dinge/ und endlich/ so das allermeiste ist/ sind wir keiner Sünd/ und
dannenhero auch keiner Straff/ noch dem Zorn Gottes/ ja nicht einmal der
geringsten Kranckheit unterworffen:” ST (417)
Mit Paracelsus stimmt
Grimmelshausen überein, wenn er die Ordnung des natürlichen Staatswesens mit
der eines Immenschwarmes vergleicht. Paracelsus schreibt: „Dann do ist Zucht
unnd dergleichen/ wie bei den Menschen sein soll/ Orden und dergleichen/ jhr
Oberkeyt/ wie die Jmmen/ die jhren König haben/ unnd die Schneegänß die jhren
Vorflieger haben.“ [87]
Bei Grimmelshausen erzählt das Prinzlein dem Simplicius: „sie hätten ihren
König nicht/ daß er Justitiam administriren/ noch daß sie ihm dienen solten/
sondern daß er wie der König oder
Weissel in einem Immenstock/ ihre Geschäfte dirigire;” ST (418) Beide Schriftsteller behaupten,
dass die Wasserleute mit der Landessprache der Menschen, bei denen sie sich
etwa aufhalten mögen, sprechen können. Beide betonen, dass diese Unterwelt
keine Teufelswelt ist. Paracelsus meint jedoch, dass die Wasserleute, ebenso
wie die Menschen, von bösen Geistern besessen sein können. Bei Grimmelshausen
finden wir nichts dergleichen. Seine Geister kennen die Sünde nicht, ihre
Weiber empfinden, wie die Tiere, „in coitu keine Wollust” ST (418) So liegt bei ihm der Venusberg, den Paracelsus in die
Sphäre der Naturgeister rückt, in der Menschenwelt. Bei Paracelsus brauchen die
Naturgeister nur zu wünschen und das, was sie begehren, fliegt ihnen zu. „Unter
allen Creaturen ist der Mensch der hertt gebundenst/ was er haben muss und
will/ das muß er jm machen/ und kan mit Wünschen und Begeren nichts erlangen:
Aber die Leut/ sie haben was not ist […] ohn Arbeit haben sies.” [88]
(IX, 63) Die Geister Grimmelshausens dagegen arbeiten, aber die Arbeit ist ihnen
keine Last. Sie sind frei und können zu nichts „unbeliebigem genötiget“ werden.
ST (418) Bei Paracelsus können die
Naturgeister sich mit Menschen vermählen und auf diese Weise eine unsterbliche
Seele erlangen. Den Geistern Grimmelshausens ist dieser Ausweg versagt. Obwohl
ihre Weltordnung beneidenswert besser als die der Menschen zu sein scheint,
wissen die Naturgeister selbst, dass der Mensch ihnen übergeordnet ist.
Simplicissimus sagt: „Wenn es mit euch so beschaffen/ so ist euer Geschlecht
von unserm Schöpffer weit höher geadelt und beseeligt/ als das unserige.” Aber
der Wasserfürst antwortet: „Ach Nein [...] ihr sündigt wenn ihr diß glaubt/ in
dem ihr die Güte Gottes einer Sach beschuldiget/ die nicht so ist/ denn ihr
seyt weit mehrers beseeligt als wir/ in dem ihr zu der seeligen Ewigkeit/ und
das Angesicht GOttes unauffhörlich anzuschauen erschaffen.” ST (418) Die Abänderungen der
Paracelsus-Schrift sind in sich nicht eigentlich parodistisch; sie bemühen
sich, das Paracelsische Naturideal richtigzustellen und von den abergläubischen
Ungereimtheiten eines früheren Jahrhunderts zu befreien.
Tief beeindruckt von
dieser natürlichen Gesellschaftordnung sucht Simplicius nach vergleichbaren
Beispielen in der wirklichen Welt. Er greift zu Büchern und findet dort denn
auch die utopische Welt der ungarischen Wiedertäufer geschildert. [89]
Dies ist eine Gesellschaftsordnung, in der gemeinsame, streng regulierte Arbeit
zu gemeinsamem Reichtum führt, und in der Gefühle und Affekte, soweit nur
irgend möglich, ausgeschaltet werden. Frauen und Männer verbringen den Tag
getrennt voneinander und treffen sich nur nachts in der einfachen reinlichen
Schlafkammer. Die Kinder werden von Anfang an von ihren Eltern getrennt. Die
Kindbetterinnen werden von Witwen, als denjenigen, die Erfahrung besitzen und
über die Leidenschaften erhaben sind, versorgt. Es wird eine Ordnung
angestrebt, in der Eros so vollständig wie möglich durch Caritas ersetzt wird.
Aber indem dies geschieht, werden die natürlichen Gesetze des Lebens, die dem
Mann die Frau und der Mutter die Kinder zuordnen, verletzt. Diese
kommunistische Gemeinschaft, die beweisen will, dass dem Menschen schon in der
Zeitlichkeit Vollkommenheit möglich ist, ist ketzerisch. Simplicissimus sagt
sich: „Ach/ sagte ich offt/ köntest du doch die Widertäuffer bekehren/ daß sie
unsere Glaubensgenossen ihre Manier zu leben lerneten/ wie wärest du doch ein
so seeliger Mensch! Oder wenn du nur deine Mit-Christen bereden köntest/ daß
sie wie diese Widertäuffer ein solches (dem Schein nach) Christliches und
ehrbares Leben führten/ was hättestu nicht außgerichtet?” ST (442) Dann aber sagt er sich: „du bist
morgen nicht wie heut/ und wer weiß/ was du künfftig für Mittel bedörfftig/ den
Weg Christi recht zu gehen? heut bistu geneigt zur Keuschheit/ morgen aber
kannstu brennen.” ST (442) Der Mensch
hat kein Recht den Gang seines Lebens auf diese Weise eigenmächtig festzulegen
und zu beschränken. Im übrigen geht diese Lebensweise so gegen die menschliche
Natur, dass der Knan seinem Pflegesohn „stracks” prophezeit „daß ich wol
nimmermehr solche Bursch zusammen bringen würde.” ST (442)
Es bleibt also die
Möglichkeit, die christliche Welt zu bessern und so zu gestalten, wie sie
Simplicissimus dem König des Mummelsees darstellt:
die Geistlichen […] seynd
gemeiniglich alle/ sie seyen auch gleich was für Religion sie immer wollen/ wie
sie Eusebius in einer Sermon beschriben; nemlich rechtschaffene Verächter der
Ruhe/ Vermeider der Wollüste/ in ihrem Beruff begierig zur Arbeit/ gedultig in
Verachtung/ ungedultig zur Ehr/ arm an Haab und Geld/ reich am Gewissen/
demütig gegen ihren Verdiensten/ und hochmüthig gegen den Lastern […] ST (426)
Selbst den Krieg erklärt dort Simplicius damit,
dass jeder „GOtt rechtschaffen dienen möge/ und eben deßwegen sind jetzund so
schwäre Krieg auff Erden/ weil je ein Theil vermeynt/ das andere diene GOtt
nicht recht.” ST (427) Dass eine solche Idealordnung die
unwahrscheinlichste aller Möglichkeiten ist, steht wohl nach der Lektüre der
ersten fünf Bücher des Romanes fest. Erst indem die Utopien alle als unmögliche
Scheinlösungen entlarvt worden sind, erscheint der Rückzug aus der Welt
gerechtfertigt.
Vorbilder
und Autoritäten
Aber auch dieser Rückzug
aus der Welt, mit dem das sechste und vorläufig letzte Buch des Romans endet,
ist nicht einfach Resignation. An Negativität und der daraus erfolgenden
Langeweile und Müßigkeit war Simplicius’ Versuch im Schwarzwald gescheitert. Jupiters
absolutistische Republik und der Naturstaat des Mummelsees wirkten zunächst wie
bestechend vielverssprechende Utopien; es erwies sich nur, dass beide im
wirklichen Leben nicht funktionieren können, weil der Mensch so durch die
Erbsünde geprägt und belastet ist, dass er weder fähig ist, als Vernunftwesen
gemeinnützig zu handeln noch auch als Naturwesen nach eigenem Plan und ohne
ständige göttliche Anleitung zum Wohl der Menschheit und seiner selbst zu
leben. Wie kann es hier weitergehen?
Im Einklang mit der
quellenorientierten, parodistischen Struktur seines Werkes, sind es auch hier
wieder schriftliche Quellen, die den Weg weisen. Nur ist es jetzt nicht mehr
die mangelnde Einsicht oder Relevanz der Quellen, auf die aufmerksam gemacht
wird. In der Continuatio werden uns endlich verlässliche Autoritäten und
richtungweisende Ideenträger vorgestellt. Paracelsus ist einer; der heilige Antonius ein
zweiter; aber auch die Pegnitzschäfer gehören dazu. Mit ihnen sind die Berufe
des Arzt-Naturwissenschaftlers, des frommen Einsiedlers und des Gärtners oder
Bauern verbunden, alles Berufe, die die Väterfiguren des Romanes schließlich in
abgewandelter Form auf den Helden übertragen. Der Einsiedler ist der echte
Vater, der Bauer der Pflegevater, und die naturwissenschaftlichen Berufe des
Arztes und Astrologen werden vom Gelnhausener Pfarrer und dem alten Herzbruder
vertreten, beide väterliche Helfer und Erzieher.
Günther Weydt hat mit
seinen Untersuchungen gezeigt, dass der Simplicissimusroman an mehreren Stellen
Georg Philipp Harsdörffer verpflichtet ist, nicht nur für die Erzählstoffe,
welche er zugänglich machte, sondern auch für seine ins Pegnesische Schäfergedicht eingefügte Lyrik, die als wichtige
Inspiration für das Einsiedlerlied gelten kann. [90]
Weydt ordnet das Pegnesische
Schäfergedicht, das Harsdörffer, Sigmund von Birken und Johann Klaj zusammen
komponierten, unter die nachweislichen Quellen Grimmelshausens ein. [91]
Ich möchte hier vorschlagen, dass auch über Weydts Anregungen hinaus, auf
dieses Werk im Simplicissimus angespielt
wird. Der gebildete Leser des 17. Jahrhunderts, jener Leser von dem erwartet
wird, dass er hellhörig Zitate zur Kenntnis nimmt, hätte die Gemeinsamkeiten
und Ähnlichkeiten gewiss bemerkt.
Harsdörffer, Klaj, Birken
und die anderen Mitglieder ihrer Gesellschaft nennen sich Schäfer. Aber der Ort
ihres Wirkens ist nicht ein fernes, unwirkliches Arkadien, sondern Nürnberg an
der Pegnitz, und in der Landschaft, die beschrieben wird, gibt es unter anderem
auch so moderne Errungenschaften wie Papier- und Drahtmühlen. In einer Zeit
grausamer Kriegswirren – Nürnberg hatte mehr als hundert Truppendurchmärsche zu
bestehen – taten sich Nürnberger Bürger und Flüchtlinge zusammen und bauten
ihre Hütten in einem Irrgarten außerhalb der Stadt, wo sie die Ruhe fanden,
ihre Naturliebe und Naturfrömmigkeit in Dichtung auszudrücken. Sie gehören zu
den Vorläufern jener Naturbegeisterung, die auf Jahrhunderte ein wichtiger
Antrieb der deutschen Dichtung sein sollte. [92]
Ihre Stimme dringt in ihrem eigenen Zeitalter, das ganz von der Grausamkeit des
Krieges einerseits und der Pracht der Fürstenhöfe andrerseits beherrscht war,
noch kaum durch.
Die Naturliebe, die sich
im Pegnesischen Schäfergedicht
äußert, hat verschiedene Aspekte. Da ist zunächst die ästhetische Freude an der
Schönheit der Natur. Sie drückt sich in Landschaftsbeschreibungen aus, die zu
dieser Zeit noch keineswegs zum gebräuchlichen Repertoire des Dichters
gehörten. So im Schäfergedicht:
Dieser und etliche andere alldar
befindliche Bäume wässerte der nechstanstehende See/ welchen die Pegnitz mit
einem Arm anzuschwemmen pflegte dessen Crystalline Silberhelle zeigte als in
einem klaren Spiegel die überschattende Stämme/ ja die flammende Mittagssonne
und der heitere Himmel selbsten hatten sich bildungsweise dergestalt
herabgelassen/ daß solcher Gegenschein wegen Stralwerffenden Glantzes die Augen
lieblichen weidete.[93]
Der Simplicissimus
gibt uns seinerseits eine der frühesten und schönsten Landschaftsbeschreibungen
der Zeit:
ich wohnete auff einem hohen
Gebürg die Moos genant/ so ein Stück vom Schwartzwald: und überal mit einem
finstern Tannenwald überwachsen ist/ von demselben hatte ich ein schönes
Außsehen gegen Auffgang in das Oppenauer Thal und dessen Neben-Zincken; gegen
Mittag in das Kintziger Thal und die Grafschafft Geroltzeck/ alwo dasselbe hohe
Schloß zwischen seinen benachbarten Bergen das Ansehen hat/ wie der König in
einem auffgesetzten Kegel-Spill; gegen Nidergang kondte ich das Ober- und
UnterElsaß übersehen/ und gegen Mitternacht der Nidern [A 5] Marggraffschafft
Baaden zu/ den Rheinstrom hinunter; in welcher Gegend die Statt Straßburg mit
ihrem hohen Münster-Thum gleichsamb wie das Hertz mitten mit einem Leib
beschlossen hervor pranget; mit solchem Außsehen und Betrachtungen so schöner
Lands-Gegend delectirte ich mich mehr als ich eyferig bettete […] ST ([8]
474)
Auch die erquickende Ruhe der Natur preisen die
Schäfer:
Hellgläntzendes Silber/ mit
welchem sich gatten
Der
astigen Linden weitstreifende Schatten/
Deine sanftkühlend-beruhige Lust
Ist
jedem bewusst. [94]
Es ist die Ruhe, die Simplicissimus dann als
Einsiedler auf seiner Insel findet:
damit sich der Leser
gleich, wie ich itzt thue,
entferne
der Thorheit und lebe in Rhue. ST (2)
Der Reichtum der Natur,
die den Menschen erhält, wird ebenfalls von den Schäfern gepriesen:
„Diese Felder/ sprach Strefon/ füllen nicht nur
die Augen/ sondern tragen zu unsern Tischen Spargen/ Endivien/ Melonen/
Artischoken/ Käsöhl/ Peterlein/ und viel andere Gartengewächse.“[95]
Die Insel, auf die Simplicissimus im sechsten Buch
verschlagen wird, ist mit ähnlichem Reichtum gesegnet. Sie gleicht dem
Schlaraffenland wie Hans Sachs es beschreibt. Die Vögel lassen sich mit den
Händen fangen, die Fische treiben „wie eine grosse Härdt Schwein” die Flüsse
hinauf, und die Bäume tragen eine Fülle von Früchten. ST ([98] 555) Wie Strefon (Harsdörffer) im Pegnesischen Schäfergedicht ritzt auch Simplicissimus Verse in die
Bäume seiner Insel, unter anderem den Vers vom finsteren Licht. So wird die
Natur zu einem Buche, dessen Seiten der Mensch beschreiben kann, wie
Simplicissimus dann Palmblätter beschreibt. Aus dem Pegnesischen Schäfergedicht stammen folgende Verszeilen:
Schöne Linde
Deine Rinde
Nehm
den Wunsch von meiner Hand:
Kröne mit dem sanfften Schatten
Diese stets begrasten Matten/
Stehe
sicher vor dem Brand;
Reist die graue Zeit hier nieder
Deine Brüder/
Sol
der Lentzen diese Aest’
Jedes Jahr belauben wieder
Und
dich hegen Wurtzelfest. [96]
Die sich stets erneuernde Natur kann auch die
Zerstörungswut der Menschen, den Kriegs-Brand den sie entfacht haben,
überdauern. Das Buch der Natur ist dauerhafter als das von Papier.
Noch auf andere Weise ist
die Natur bei den Schäfern und Simplicius ein Buch. In
allegorisch-sinnbildlicher Sprache stellt sie das göttliche Heilsgeschehen dar.
Die Pegnitzschäfer unter Birken wählen das Sinnbild ihres Ordens auf Grund
seiner emblematischen Bedeutung:
Mitten in der Blume erhebt sich
eine kleine runde Seule, an welcher unten fünf runde und rote Blättlein, rings
herum hervorgehen. Aus der Seule oben wachsen empor, drey Spizen, denen Nägeln
gleich, um welche sich eine Kron von Dornen herumschlinget. O Wundergewächse!
Rief Rosidan; hier haben wir die Bildnisse der Martersäule, daran unser Erlöser
gegeisselt worden, derer heiligen fünf Wunden, als unserer Heil- und
Reinigungs-Quellen, der Nägel, die seine Hände und Füsse durchgraben, und an
das Creutz gehefftet, und der Dornen-Kron, die sein heiliges Haupt zerrissen
und verwundet. Ists möglich, daß die Natur vom Leiden ihres Schöpffers gleichsam
ein Schau-Spiel aufstellen können? [97]
Im Simplicissimus
heisst es:
O wie offt wünschte ich mir/ wann
ich meinen Leib abgemattet hatte und demselben seine Ruhe geben muste/
geistliche Bücher/ mich selbst darinn zutrösten/ zuergötzen und auffzubauen/ aber ich hatte solche drumb nit;
Demnach ich aber vor diesem von einem heiligen Mann gelesen/ daß er gesagt/ die
gantze weite Welt sey ihm ein grosses Buch/ darinnen er die Wunderwerke GOttes
erkennen: und zu dessen Lob angefrischt werden möchte; Alß gedachte ich
demselbigen nachzufolgen/ wiewol ich/ so zusagen/ nit mehr in der Welt war; die
kleine Insul muste mir die gantze Welt seyn/ und in derselbigen ein jedes Ding/
ja ein jeder Baum! ein Antrieb [F 9] zur Gottseligkeit: und eine Erinnerung zu
denen Gedancken die ein rechter Christ haben soll; also! sah ich ein
stachelecht Gewächs/ so erinnerte ich mich der dörnen Cron Christi/ sahe ich
einen Apffel oder Granat/ so gedachte ich an den Fall unserer ersten Eltern und
bejammert denselbigen […] ST ([102]568)
Solch allegorisch-moralische Naturbetrachtung ist
natürlich im siebzehnten Jahrhundert nichts Neues. (Der heilige Mann, von dem
Simplicissimus spricht, ist im übrigen der Einsiedler Antonius; auch er soll
uns im letzten Buch des Romans als Beispiel vor Augen stehen.) Was die
Pegnitzschäfer auszeichnet ist der Realismus and die Vielseitigkeit ihrer
Naturschau, welche Schönheit, Ruhe, Fruchtbarkeit, Modernität und moralisch
wirksame Heilsoffenbarung verbindet, Dinge, die für sich genommen – wie etwa
die Naturästhetik im Schwarzwald, oder das reine Nutzbauerntum des Knan – in
die Irre führen können.
Die Idee des
Schäferideals durchzieht den ganzen Simplicissimusroman. Schon auf den ersten
Seiten wird sie mit Garzoni-Zitaten ironisch eingeführt. Etwas später ist das
Leben im Kloster Paradies wie ein früher, aber nicht ehrfürchtig gewürdigter
Anklang an den Naturreichtum der Insel. Der abgewandelte Ständebaum, in dem die
genießenden Bauern an der Spitze der Pyramide fehlen, stellt uns das
Schäferideal als scheinbar verloren dar. Dass das Schäferdasein als Möglichkeit
Grimmelshausen immer wieder beschäftigt hat, zeigen auch seine ernsten Romane Dietwald und Amelinde und Proximus und Lympida, die beide
versuchen, es neu auf realistische Grundlage zu stellen und mit dem Ideal des
religösen Einsiedlertums zu verquicken.
Auch zu dieser positiven
Möglichkeit gibt es eine parodistische Folie. Das Werk, das Grimmelshausen dazu
wählt – Holzinger und Geulen haben in Artikeln darauf hingewiesen – [98]
ist Sir Philip Sidneys Roman Arcadia,
den Martin Opitz durch seine Überarbeitung der deutschen Übersetzung seinen
Landsleuten als Beispiel der Schäferdichtung übergab. Die Pegnitzschäfer
Harsdörffer und Klaj verdankten auch der Arcadia
ihre Schäfernamen, Strefon und Clajus. Der Name der Pamela ist ebenfalls diesem
Roman entlehnt. Die Arcadia beginnt
damit, dass zwei Schäfer, Strefon und Clajus, am Ufer des Meeres spazierengehen
und den Verlust der gemeinsam geliebten Urania beklagen. Plötzlich erblicken
sie in den Wellen einen menschlichen Körper, dessen Hände an die Handhaben
einer Truhe geklammert sind. Sie ziehen ihn aus dem Wasser und beleben ihn. Der
Angeschwemmte ist Musidorus, eine der beiden männlichen Hauptfiguren des
Romans. Es geht hier zu Beginn der Arcadia
darum, auf den veredelnden Wert der auf grobe Leidenschaft verzichtenden Liebe
und auf Männerfreundschaft, die über Liebeseifersucht erhaben ist, aufmerksam
zu machen. Diesen Abschnitt, der die Werte, um die es in der Arcadia geht, gleich zu Beginn
anschaulich machen will, übernimmt Grimmelshausen fast wörtlich in seinen
Roman. In der „Continuatio” gehen Simplicius und der Zimmermann am Strand
spazieren und unterhalten sich darüber, wie sie Palmwein – das Mittel zur
Berauschung der Sinne, an dem der Zimmermann schließlich zugrunde geht –
herstellen wollen, als sie plötzlich “auff der weitte des Meers etwas daher
treiben” sehen. „Nach dem es sich nähret und an unserer Insel gestrandet/ war
es ein halb todtes Weibsbilde/ welches auff einer Kisten lag/ und beyde Hände in
die Handhaben an der Kisten eingeschlossen hatte” ST ([89] 555). Diese Frau ist jedoch keine göttliche Urania,
sondern eine teuflische Blendung, die Feindschaft zwischen den Kameraden sät
und beinahe die Ursache einer Gewalttat wird. Weit davon entfernt göttlich zu
sein, ist im Simplicissimus die Frau
im allgemeinen ein gefährlicher Einfluss, der gebannt werden muss. Sie ist die
Helena, um die die Männer Kriege beginnen, so der Krieg, den in der Arcadia der von Leidenschaft zu
Philoclea/Helena getriebene Amphialus führt. Auch der Schilderung dieses
Kampfes begegnen wir im Simplicissimus:
der Bericht über die Schlacht von Wittstock ist, wie schon erwähnt, weitgehend
aus der Arcadia übernommen. Aber Grimmelshausen
streicht die heldischen Zweikämpfe Sidneys und schildert diese Schlacht ganz
unheroisch als ein chaotisches, blutiges Gemetzel.[99]
Simplicius ist in ihr nur Beobachter, da er sich zu dieser Zeit unter Verdacht,
Spion zu sein, in Gefangenschaft befindet. Ursache hierfür war seine
Verkleidung als Frau, zu der er sich herabließ, um sein Narrenkostüm
loszuwerden. Auch diese Szene findet ihre Entsprechung in der Arcadia, in der einer der Helden sich
als Frau verkleidet, um seiner Geliebten nahe sein zu können, und sich
plötzlich von den in Liebe entflammten Eltern der Jungfrau umworben sieht, wie
Simplicius dann vom Rittmeister und seiner Frau. Weit davon entfernt eine
veredelnde Macht zu sein, schafft die Liebesleidenschaft im Simplicissimus (wie letzten Endes auch
in der Arcadia) Gewalttat und
Feindschaft zwischen Freunden, selbst Eheleuten. Und bei Grimmelshausen ist der
Liebende keiner, von dem im petrarchischen Sinne Verzicht gefordert wird; nein,
die Frauen bieten sich ihm an.
Auch zum Thema der
Unkeuschheit finden wir einen Abschnitt, der sich an die Arcadia anlehnt, sie sogar erwähnt. In Lippstadt, als Simplicius
vom Jäger zum Buhler wird, weist die Arcadia
ihm den Weg.
Die unvergleichliche Arcadia, auß deren ich die Wolredenheit
lernen wolte/ war das erste Stück/ das mich von den rechten Historien zu den
Liebes-Büchern/ und von den warhafften Geschichten zu Helden-Gedichten zoge:
Solcherley Gattungen brachte ich zu wegen wo ich konte/ und wann mir eins zu
theil wurde/ hörte ich nit auff/ biß ichs durchgelesen/ und sollte ich Tag und
Nacht darüber gesessen seyn; diese lerneten mich vor das Wol-reden mit der
Leimstangen lauffen. Doch wurde dieser Mangel damals bey mir nicht so hefftig
und starck/ daß man ihn mit Seneca ein göttliches Rasen/ oder wie er in Thomae
Thomaj Wald-Gärtlein beschrieben wird/ eine beschwerliche Kranckheit hätte
nennen können; dann wo meine Lieb hinfiel/ da erhielte ich leichtlich und ohne
sonderbare Mühe/ was ich begehrte/ also daß ich keine Ursach zu klagen bekam/
wie andere Buhler und Leimstängler/ die voller [349] phantastischer Gedancken/
Mühe/ Begierden/ heimlich Leiden/ Zorn/ Eyfer/ Rachgier/ Rasen/ Weynen/
Protzen/ Drohen/ und dergleichen tausendfältigen Thorheiten stecken/ und ihnen
vor Ungedult den Todt wünschen. ST (262)
In Sidneys petrarchischer Liebesauffassung zwingt
die keusche Zurückhaltung der Frau, ihre Unerreichbarkeit, den Mann dazu, seine
Leidenschaft in eine geistige Liebe zu sublimieren. Wo die Frau, wie im
Jahrhundert des Dreißigjährigen Krieges, ungeschützt den Kriegswirren
ausgesetzt ist, kann es auch keine veredelnde Liebe geben. Arcadia ist ein Land
des Friedens. Der Kontrast zum kriegsverödeten Nachbarland wird hervorgehoben.
So ist auch bei den Pegnitzschäfern nicht die Frauenliebe, sondern die
Naturliebe die veredelnde Macht, und Grimmelshausen stimmt hier ganz mit ihnen
überein. Die ins Religiöse gesteigerte Liebe, die auch die Arcadia anstrebt, wird bei ihm auf dem Wege des Eremitentums in der
Natur erreicht.
Die Bedeutung der im
Roman erwähnten Einsiedlergestalten hat Ilse-Lore Konopatzki eingehend behandelt.[100]
Mehrere Eremiten werden von Grimmelshausen zum Vergleich herangezogen. Sowohl
der alte Einsiedler, wie sein Schüler Simplicius, nachdem er des Alten Kleidung
übernommen hat, gleichen Sankt Wilhelmus mit seinen schweren Ketten. Im 26.
Kapitel des sechsten Buches wird der Heilige Onuphrius mit seinem Kleid von
Blättern erwähnt. Wie der Einsiedler Paulus sich vor dem jüngeren Antonius in
eine dunkle Höhle zurückzog, so zieht sich Simplicissimus vor den Holländern,
die seine Hilfe brauchen, zunächst in seine dunkle Höhle zurück.[101]Aber
schon bei der ersten Einführung wird der Vater des Simplicius, der alte
Einsiedel mit dem „großen Antonio” verglichen und dieser bleibt der wichtigste
Bezugspunkt. Auch über den Heiligen Antonius erzählt die Legende, dass er einen
kindlichen Versucher verspottete. Auch er wurde von teuflischem Blendwerk
gequält, wie später Simplicius auf seiner Insel. Antonius konnte weder lesen
noch schreiben noch fremde Sprachen sprechen. Aber er kannte die ganze Bibel
auswendig und die Welt war ihm ein Buch, das von den Wunderwerken Gottes
handelte. Er hielt den Menschen für grundsätzlich gut und liebte die Freude,
die er trotz aller Strenge seinen Schülern gönnte. Und einer dieser Schüler
hieß der Legende nach Paulus Simplex oder auch Simplicissimus. [102]
Wie Antonius ist Grimmelshausens Simplicissimus kein gelehrter sondern ein
einfacher Mann, auch er genießt auf seiner Insel die Natur, obwohl er sich
daneben, um den Müßiggang zu vermeiden, wie einst sein Vater einen strengen
Arbeitsplan aufgibt. Auch Simplicius, wie sein Dichter, glaubt letzten Endes an
das durch die Gnade Gottes gestützte Gute in sich und den Menschen und es ist
dieser Glaube, der ihm immer wieder aufhilft, bis er zuletzt aus seinen bösen
Erfahrungen das heilbringende und warnende Buch zusammenstellen kann.[103]
Die parodistische Folie für das wahre Einsiedlertum ist das müßige,
ästhetisierende, vorwitzige Einsiedlerleben im Schwarzwald.
Das dritte Vorbild, das
Grimmelshausen heraufbeschwört, ist das des Arztes Paracelsus. Auch er hat von
der Natur samt dem Menschentum als göttlichem Buch, das dem Menschen vorliegt,
gesprochen. [104] Er ist derjenige, der
wie kein anderer den alten Einsiedler in seiner Mahnung „erkenne dich selbst”
unterstützt. Der Mensch soll wissen „wer er sei und was er sei, warum er sei,
auf das er trachte aus Gott alle seine Macht zu nehmen”. [105]
Wie der große Antonius, und natürlich wie Grimmelshausen selbst, ist auch
Paracelsus einer, der in der Volkssprache spricht und schreibt. Als Theologe
und Naturwissenschaftler hat er den kaum zu überschätzenden Verdienst, dass er
die Natur entdämonisierte und damit einerseits eine unbefangene,
wissenschaftlich-beobachtende Haltung ihr gegenüber ermöglichte, Empirie in der
Medizin und den Naturwissenschaften, andererseits der Naturfrömmigkeit den Weg
bahnte.[106] Grimmelshausen stellt
sich ganz hinter Paracelsus, indem er die Unterwelt des Mummelsees mit guten,
weil von Gott geschaffenen, Naturwesen bevölkert. Die Änderungen, die er
vornimmt, wirken, wie schon gesagt, als Bestärkungen der Ansichten seines
Vorgängers.[107] Wie dieser sieht auch
Grimmelshausen in der Chemie und Physik durchaus erlaubte Mittel, menschliche
Möglichkeiten zu erweitern. Simplicissimus erfindet ein Hörrohr mit dem man
ferne, sonst nicht wahrnehmbare Geräusche hören kann, er braucht ein
Perspektiv, er weiß ein chemisches Mittel Pulver zu entschärfen. Als Arzt sieht
er, genau wie der Gelnhauser Pfarrer, Leib und Geist des Menschen als
untrennbare Einheit; Medizinen können, wie auch Paracelsus erkannt hatte, vor
geistigen Leiden schützen. Auch die Erkenntnis, dass in der Natur im
allgemeinen das Gift auf sein eigenes Gegengift verweist, ist paracelsisch. Auf
der Insel heilt Simplicissimus die Matrosen, die durch eine gewisse Sorte
Pflaumen in den Wahnsinn getrieben wurden, mit dem Kern derselben Pflaumen, der
das Gegengift enthält. Nur das Unvollständige ist schlecht und gefährlich.[108]
Paracelsus weiß, wie
schon erwähnt, von zwei Quellen menschlicher Erkenntnis: dem Licht des Menschen
und dem Licht der Natur, Offenbarung und Empirie. Auch hier folgt ihm
Grimmelshausen. Simplicissimus kennt das „finstere Licht” Gottes in seiner
überirdischen Klarheit, aber er kennt auch und braucht die Leuchtkäfer, die ihm
das Dunkel der Erde, die tiefe Höhle, erleuchten. Und der Mensch, der in die
unterirdischen Geheimnisse eindringt, ist so mächtig Verwandlungen zu schaffen,
dass seine bloße Stimme Erdbeben verursacht. Dieses seltsame und scheinbar
beziehungslose Detail des Romanes muss symbolisch verstanden werden, wie auch
der Genuss der gefährlichen verbotenen Frucht der paradiesischen Insel, der die
gierigen Schiffsleute in den Wahnsinn stürzt und dadurch in Streitsucht und
allerhand Unflätigkeit und Unsinn. Der naturkundige Heilige kann diese Menschen
mit dem Kern der Frucht heilen, er kann, so darf man vielleicht am Ende dieses
Kriegsromans ergänzen, vielleicht die Welt vor Kriegen schützen, aber er muss
die Menschen aus dem für sie gefährlichen Paradies verweisen. Simplicissimus
macht es zur Bedingung, daß keiner der Mannschaft auf der Insel zurückbleibt.
Die Göttin der Glückseligkeit macht den Menschen unfromm. Nur der ganz
Beherrschte und in Gott Gegründete ist ihr gewachsen. Selbst Simplicissimus
erliegt auf die Dauer der Versuchung der Unmäßigkeit. Er wird in einer weiteren
Continuatio in einem Augenblick der Trägheit nach zu ausgiebigem Genuss zurück
in die Welt verstoßen und muss sich als Kalenderschreiber, gelegentlich auch
als Arzt, seinen Unterhalt so ehrlich und nützlich, wie es eben geht,
verdienen. Der Beruf, in dem Können, Berufung und Gelegenheit zusammenfallen
und der den neuerdings unvermeidlichen Gelderwerb zum Lebensunterhalt
ermöglicht, ist letzten Endes das, was in den weiteren Continuatios
zukunftsweisend ist.
Selbst dieser fromme Mann wird dann aber immer
wieder, wie in der dritten Continuatio, zur Gaunerei verleitet, denn in der
modernen europäischen Welt, die leider kein Garten Eden ist, braucht man eben neben
Frömmigkeit auch Geld um zu überleben; das darf nicht unterschlagen werden.
Worum es Grimmelshausen als Philosoph geht, ist eine natürliche,
naturwissenschaftlich orientierte, praktische, humorvolle, fromme und
realistische Weltanschauung, die seinem frühmodernen Jahrhundert, dem
Jahrhundert des Barock, gemäß ist und die doch die christliche Religiosität,
auf der die europäische Kultur beruht, trotzdem sie im siebzehnten Jahrhundert
so verheerend pervertiert wurde, nicht preisgibt.
Zusammenfassung
Zu
Beginn dieses Aufsatzes wurde darauf hingewiesen, wie sehr es Grimmelshausen
darum ging, sowohl seinen Helden wie seinen Autor als Jedermann darzustellen. Die
literatur-parodistische Ebene, der die vorliegende Untersuchung gilt, muss als
Beitrag in gleicher Sache gesehen werden. Auch hier wird der Versuch gemacht,
einen enzyklopädischen Überblick zu gewinnen, in diesem Fall über die gesamte
europäische Gedankenwelt, aus der die Vorstellungen und Meinungen des
siebzehnten Jahrhunderts hervorgegangen waren. Denn in solchem Schrifttum lagen,
wie Grimmelshausen begriff, weitgehend die Wurzeln aber auch die diagnostischen
Erklärungen des furchtbaren Krieges, der sich auf deutschem Boden abgespielt
hatte und unter dem die Deutschen, wie kein anderes Volk, gelitten hatten. Und
dort gab es auch die verschiedensten Vorschläge für eine bessere Welt. Nur der
breiteste Überblick konnte vor übereilten Schlussfolgerungen schützen. Grimmelshausen
untersucht die Probleme systematisch, wie ein moderner Sozialwissenschaftler.
Weil
die Deutschen unmittelbare Erfahrungen der Folgen von Religionsstreit und Krieg
haben, sind sie vor anderen Völkern berufen, aus ihrem Wissen allgemeingültige Lehren
zu ziehen. So kommt es, dass Grimmelshausens vielerfahrener und weitgereister
plebäischer Held und Erzähler ein Simplicissimus Teutsch ist; aber auch sein mehrschichtiger, belesener, adliger
Autor bemüht sich durchweg um das spezifisch Deutsche. Die Einsicht in das
Wesen der Dinge kann aus diesem Land mit den bitteren Erfahrungen zum Heil der
Welt hervorgehen, denn für die, die den Krieg erlebt haben, hat sich die grundsätzliche
sündige Verworfenheit der Menschheit überdeutlich erwiesen.[109]
Grimmelshausens deutsche Orientierung hat nichts mit deutschem Nationalismus
oder Territorialismus zu tun, sondern mit dem tiefen religiösen Ernst
schwergeprüfter Menschen. Bezeichnenderweise ist der Ort, an dem Simplicissimus
Erkenntnis, Ruhe, paradiesische Natur und echte Frömmigkeit findet, geografisch
so weit wie nur möglich von Deutschland, dem allseitig bedrohten Land der
Mitte, entfernt. Es ist nicht verwunderlich, dass es deutsche Stimmen sind, die
der Roman als vorbildlich gelten lässt; sowohl die Pegnitzschäfer wie
Paracelsus schrieben ihre Texte in deutscher Sprache. Der Kirchenvater Antonius
seinerseits schrieb wie Grimmelshausen in der Umgangssprache.
Zurückzukommen wäre noch auf die Vorbehalte
moderner Übersetzer und Verlage gegen die vielen irrealen, phantastischen und
stilfremden Einschübe, die ganz besonders in der Continuatio modernem Empfinden
zufolge die realistische Glaubwürdigkeit des Simplicissimus-Romans untergraben
und die künstlerischen und stilistischen Instinkte des Autors in Frage stellen.
Hier wäre zunächst daran zu erinnern, dass im siebzehnten Jahrhundert die
doppelte Realität des Natürlichen und des Übernatürlichen, die Existenz eines
Buches der Natur neben dem biblischen Buch der Offenbarung, noch als
selbstverständlich und unproblematisch galt. Darüberhinaus ist es wohl auch
Grimmelshausens Intention gewesen, das Zusammenspiel von Erlebniswelt und
Buchweisheit, für den belesenen aber nicht gelehrten Durchschnittsbürger eine
oft schwer zu erkennende Beziehung, formal zu unterstreichen. Denn gerade im
ideologisch-konfessionellen siebzehnten Jahrhundert gab es nie eine Realität
die nicht durch Ideen und Vorstellungen aller Art geformt und geleitet wurde.
[1] Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen: An Unabridged Translation of Simplicius Simplicissimus. Translated by Monte Adair with an introduction and notes. University Press of America: Lanham, New York,
London, 1986. Dies ist die
erste englische Übersetzung mit Continuatio.
Trotz des Separatdrucks, gibt es Hinweise, dass die erste Continuatio
gleichzeitig mit dem Roman verfasst wurde und deshalb als wesentlicher Teil
dieses anzusehen ist. Vgl. Hans Peter Erlhoff: Groteske Satire und simplicianische Leidenschaft. Eine Untersuchung zur
Literaturtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts. Frankfurt a. Main, 1988, S. 116.
[2] Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen: The Adventures of Simplicius Simplicissimus. Translated and with an
introduction by Mike Mitchell. Dedalus: Langford Lodge, 1999, S. 12.
[3] Carl August von Bloedau: Grimmelshausens „Simplicissimus“ und seine
Vorgänger. Berlin 1908. (Beiträge zur
Romantechnik des 17. Jahrhunderts = Palaestra LI). Hier S. 49. Arthur
Bechtold stimmt wörtlich mit ihm überein. In: Zur Quellengeschichte des Simplicissimus. In: Euphorion 19 (1912), S.
19-66 u.
S. 491-546, hier S. 548.
[4] Hierzu Volker Meid: Grimmelshausen. Epoche – Werk – Wirkung. München 1984
(Arbeitsbücher für den literaturgeschichtlichen
Unterricht) (Beck’sche Elementarbücher): „An der allegorischen
Darstellungsweise und der Notwendigkeit ihrer Deutung kann kein Zweifel
bestehen. Ihre Bedeutung erschöpft sich jedoch nicht in überzeitlichen Wahrheiten
und Allgemeinheiten. [...] Die allegorische Darstellungsweise im Simplicissimus führt gerade nicht von
der konkreten Erfahrungswelt ab [...] sondern wird zum Mittel, die Mechanismen
der Gesellschafts- und Wirtschaftsprozesse schlaglichtartig zu erhellen.“ S. 129.
[5] Vgl. Hubert Gersch: Literarisches Monstrum und Buch der Welt. Grimmelshausens Titelbild zum
‚Simplicissimus Teutsch’. Tübingen
2004. Gersch interpretiert das Titelbild des Romans folgendermaßen: „Mit
seinem Simplicissimus-Roman wendet er
[Grimmelshausen] sich erklärtermaßen zugleich, wenn auch in verschiedener
Hinsicht, an zweierlei Leserkreise, mit der äußeren ‚Histori’ auch an die
Bildungslosen, mit dem Sensus allegoricus zudem an das gelehrte Publikum.“ S.
67.
[6] J. H. Scholte: Der Simplicissimus
und sein Dichter. Gesammelte Aufsätze. Tübingen 1950 und
Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm.3).
[7] Hierzu Günther Weydt: „Grimmelshausen ist
im Sprachlichen und Literarischen offensichtlich besser bewandert, als man
heute im allgemeinen annimmt, weit besser jedenfalls als die Maske des
schlauen, aber primiv erzogenen, nur durch Abenteuer geprägten ehemaligen
Bauernburschen Simplex suggerieren sollte und hat annehmen lassen; freilich
auch weit schlechter, als die zahllosen Zitate aus gelehrten Büchern glauben
machen möchten.“ In: Nachahmung und
Schöpfung im Barock. Studien um
Grimmelshausen. Bern u. München 1968, S. 36. Genauere Ausführungen auf S.
20-43.
[8] Erlhoff: Groteske Satire (wie Anm. 1), S. 109.
[9] Clemens Lugowski: Literarische Formen und
lebendiger Gehalt im Simplicissimus
In: Der Simplicissimusdichter und sein Werk. Hrsg. von Günther Weydt.
Darmstadt 1969, S. 161-178, hier S. 161.
[10] Theodor Echtermeyer hatte schon früh die
Möglichkeit einer parodistischen Behandlung in Erwägung gezogen: „Diese Bücher
des Simplicissimus persifflieren und parodieren das abstracteste und auf die
Spitze getriebene Rittergedicht, den Parzival, in seinem ganzen Verlaufe.“ In:
Rezension: ‚Die Abentheuer des Simplicissimus’. Hrsg. von Eduard von Bülow
(1838). In: Der Simplicissimusdichter und
sein Werk (wie Anm. 8) S. 1-16, hier S. 14.
[11] Siehe Bechtold: Zur Quellengeschichte
(wie Anm. 3), S. 22. Siehe auch Dieter Martin: Grimmelshausen und die gelehrten
Diskurse seiner Zeit. In: TEXT + KRITIK.
Sonderband. Hrsg. von Heinz Ludwig
Arnold. München 2008, S. 32-50. Martin fasst Grimmelshausens Einstellung zu den
gelehrten Diskursen seiner Zeit folgendermaßen zusammen: „Von akademischer
Erudition ausgeschlossen, richtet er seinen Ehrgeiz darauf, biografisch
bedingte Bildungsdefizite mithilfe volkssprachlich-kompilatorischer Literatur
zu kompensieren und seine Schriften gelehrten Debatten zu öffnen. Zugleich
bewahrt er sich die mit seinem unkonventionellen Bildungsweg verbundene und
durchaus auch selbstkritisch gewendete Freiheit, gelehrte Eitelkeiten zu ironisieren
und selbstzweckhafte Wissensakkumulationen zu parodieren, am ‚Nebenmenschen’
vorbeizielende Spekulationen satirisch aufzuspießen und das überbordende
Buchwissen seiner Epoche korrektiv an seiner reichen Lebenserfahrung zu
messen.“ S. 46.
[12] Weydt: Nachahmung (wie Anm.6), S. 42.
[13] Zu diesem Thema Friedrich Gundolf :
„Simplex ist kein Vorbild, sondern ein Abbild und ein Urbild [...] Vielleicht
hat dem Dichter eine sinnbildliche, ja allegorische Geschichte des
Menschenlebens schlechthin vorgeschwebt [...]“ In: Grimmelshausen und der Simplicissimus (1923). In: Weydt: Der Simplicissimusdichter. (Wie Anm. 8),
S. 111-132, hier S. 130. Siehe auch Arthur Bechtold: „Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass der Simplicissimus
ursprünglich als Selbstbiographie geplant war und erst nach und nach, unter
dem Einfluss der Lektüre der spanischen Schelmenromane, Moscheroschs und seiner
Nachfolger und einer Menge zeitgenössischer Schwankbücher, unter Zurücktreten
des Persönlichen, die Gestalt eines Romanes mit stark moralisierendem Einschlag
erhielt, wie er heute vor uns liegt. Grimmelshausen gab sich aus leicht
verständlichen Gründen später den Anschein, als wolle er die satirische Tendenz
in den Vordergrund gestellt wissen; er betont diese Absicht in fast allen
seinen Werken.“ In: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 491. Die Betonung
von Moralisieren und Satire werden Grimmelshausens kritischerAuseinandersetzung
mit seiner Zeit nicht gerecht.
[14] Grimmelshausen: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio des
abentheuerlichen Simplicissimi. Hrsg. von Rolf Tarot. Tübingen 1967
(Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Unter Mitarbeit von Wolfgang Bender un d
Franz Günter Sieveke hrsg. von Rolf Tarot), S. 2. – Der Text wird im Folgenden
nach der Edition von Tarot mit Sigle ST (kursiv) und Seitenangabe in runden
Klammern zitiert.
[15] Weydt: Nachahmung (wie Anm. 6),
S. 243-279.
[16] J. H. Scholte: Der Simplicissimus und sein
Dichter, hier S. 253-263. Vgl. auch die ausführliche Analyse des
Titelbildes von Gersch in Literarisches
Monstrum (wie Anm. 5).
[17] Die Untersuchung Strellers, die
zahlenmystisch beweisen will, dass die fünf Bücher des Simplicissimus, das sechste Buch (die Continuatio), das 7. Courage,
das 8. Springinsfeld, das 9. Vogelnest I, und das 10. Vogelnest II als Zyklus aufzufassen
sind, macht noch deutlicher, dass es Grimmelshausen um das Phänomen ‚Jedermann’
zu tun war. Wo dies nicht mehr in der einen Person und ihren Verwandlungen zu
fassen war, muss er das noch nicht Erfasste durch neue Helden darstellen. Siegfried
Streller: Grimmelshausens Simplicianische
Schriften. Allegorie, Zahl und Wirklichkeitsdarstellung. Berlin, 1957.
[18] Dazu Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie
Anm. 3): „Grimmelshausen [hat es] in der Beschreibung und geschickten
Verwendung von Dialektformen zur Meisterschaft gebracht, wie im Simplicissimus
die in gutem wetterauischem und westfälischen Idiom, im Teutschen Michel und in andern Schriften die in schwäbischem,
schweizerischem und österreichischem Dialekt gegebenen Sätze beweisen.“ S. 29.
[19] Paulus Simplex, auch Simplicissimus
genannt. Vgl. Werner Welzig: Beispielhafte
Figuren. Tor, Abenteurer und Einsiedler bei Grimmelshausen. Graz/Köln 1963,
S. 51. Die Quelle ist Heribert Rosweyde: Vitae
patrum etc., seit 1615 mehrmals aufgelegt.
[20] Clemens Heselhaus: Grimmelshausen. ‚Der
abenteuerliche Simplicissimus’. In: Benno von Wiese: Der deutsche Roman, Bd.I, Düsseldorf 1963, S. 15-63, hier S. 15.
[21] Zu den anagrammatischen Pseudonymen
vgl. Scholte: Zonagri Discurs von Waarsagern, Wiesbaden 1921, S. 69-79 und ders. Der Simplicissimus
(wie Anm.15), S. 6-9; Echtermeyer: Rezension (wie Anm.9), S. 3; Weydt: Nachahmung (wie Anm. 6), S. 191; und
Erlhoff: Groteske Satire (wie Anm.
1), S. 106.
[22] Zur wechselnden Perspektive vgl. Gerhard
Kühl: Untersuchungen zur Romankunst Grimmelshausens im Simplicissimus. Diss. Frankfurt a. M., 1961, S. 30 ff.. Vgl. auch
Meid: Epoche – Werk – Wirkung, (wie
Anm. 4), S. 134-137.
[23] Hierzu Scholte: Der Simplicissimus (wie Anm. 15), S.17-24. Die dort besprochene
Gestalt Berneggers ist in diesem Zusammenhang interessant.
[24] Weydt: Nachahmung (wie Anm.6), S. 138-154: „Im VII. Teil der
Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 1647 (Nr. CCL vii, S. 139 ff.) wird unter dem
Titel Der Wahnwitzige Schäfer der
Roman Le berger extravagant des
Charles Sorel (Harsdörffer kennt nur das Pseudonym:Jean de la Lande)
nacherzählt [...] Harsdörffer kennt also den [...] Roman des Sorel, der nun
völlig und seiner Substanz nach von einem in der Poeterei Verstiegenen handelt,
und weist auf dessen Abkunft vom Don Quijote.“ S. 142-143. Vgl. auch S. 319-325, auf denen
Harsdörffers Der Wahnwitzige Schäfer abgedruckt
ist.
[25] Weydt: Nachahmung, (wie Anm. 6), S.
144.
[26] Hierzu Manfred Koschlig: Das Lob des Françion bei Grimmelshausen. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft I
(1957), S. 30-73. „Während Hortensius aber ausschließlich die Hauptfigur eines
Narrenpossens darstellt, wenn auch in satirischer, auf Kritik an den
zeitgenössischen Scribenten abzielender Tendenz, gedenkt Simplicissimus‚ diesen
Kerl zu stimmen/ und mir seine Gaben zu nutz zu machen.“ S. 53.
[27] Julius Petersen: Grimmelshausens
‚Teutscher Held’. In Euphorion, Ergänzungsheft 17, S. 1-30. Hier S.10.
[28] Hierzu auch Bechtold: Zur
Quellengeschichte (wie Anm. 3), S.
514.
[29] Julius Petersen: Hans Christoffel von
Grimmelshausen 1622-1676. In: Weydt: Der
Simplicissimusdichter (wie Anm. 8). Petersen sagt von den Schelmenromanen:
„Grimmelshausen hat sie alle gelesen: den dreiteiligen Gusman, den Lazarillo de
Tormes, den Françion des Sorel,
die von Niklas Ulenhart in Prag lokalisierte und mit dem Lazarillo eines anderen Übersetzers in Buchform vereinigte Novela picaresca des Cervantes, wie die Picara Justina des Ubeda, die zu einer
deutschen Landstörzerin Justina Dietzin geworden war.“ S. 70. Nicht alle
Forscher stimmen mit Petersen überein, dass Grimmelshausen diese spanischen
Romane gelesen habe. Koschlig (wie Anm. 25), S. 32, bezieht sich auf einen
Aufsatz von Fritz Ernst in Merkur 7,
1953, S. 753-764: „Auch die Studie von Fritz Ernst über ‚Grimmelshausens Simplicissimus und seine spanischen
Verwandten’ enthält keinen einzigen echten genealogischen Nachweis [...] [Es] fehlt jedoch noch immer der Nachweis,
welche spanischen Vorbilder Grimmelshausen tatsächlich gekannt und benutzt hat.“
S. 32. Für Grimmelshausens Kenntnis des Gusman
sprechen jedoch so viele Parallelstellen, dass sie kaum anzuzweifeln ist.
Alfred Kelletat nimmt in den Anmerkungen zu seiner Simplicissimusausgabe von
1956 im Winkler-Verlag, München auch die Kenntnis des Lazarillo als gesichert an. Zu S. 564 kommentiert er: „Wie
Simplicissimus hier als wilder Mann auf den Märkten gezeigt wird, so wird auch
der Held des spanischen Schelmenromans Lazarillo
de Tormes (1564) aus einem Schiffbruch als Meerungeheuer gerettet und ‚als
Triton vemummt’ durch ganz Spanien geführt (cap.5 ff.)“ S.664. Eine wirkliche
Parodie des Lazarillo, die für
unseren Zusammenhang bedeutsam wäre, scheint jedoch nicht vorzuliegen. Den Gusman dagegen sieht auch Bloedau (wie
Anm. 3), als wichtige Quelle an.
[30] Vgl. Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie
Anm. 3), S. 62.
[31] Auf die Ähnlichkeit dieses Geschehens mit
einem Initiationsritus macht Werner Welzig aufmerksam in: Beispielhafte Figuren (wie Anm.18), S. 74.
[32] Vgl. Bechtold: Zur Quellengeschiche (wie
Anm. 3), S. 32 ff.. Es wird hier aufgewiesen, dass die dem Gusman und Simplicissimus
gemeinsamen Zitate auf Garzonis Allgemeinen
Schauplatz zurückzuführen sind. J.H. Scholte behandelt dieses Thema
ausführlich in Zonagri Discurs (Anm.
20), S. 11-65.
[33] Vgl. Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie
Anm. 3), S. 42-43.
[34] Vgl. ders. (wie Anm. 3), S. 41.
[35] Vgl. ders. (wie Anm.3), S. 517-18.
[36] Zu diesem dritten, von Freudenhold
verfassten Teil des Gusman bemerkt
Bloedau: „Wenden wir uns [...] dem dritten Teil des Gusman zu. Ein Recht auf diesen Titel kann man dem Buch kaum
zugestehen. Die Hauptperson führt zwar den Namen Gusman, hat aber mit dem
Gusman der Albertinischen Bearbeitung, geschweige denn mit dem Alemans, nichts
gemein. Der industrielle Autor zeigt in der ersten Hälfte seinen Helden auf einer
Reise nach dem Orient, Japan und Amerika, deren Beschreibung er ohne Skrupel
wörtlich aus dem Reyßbuch des Heyligen
Landes abdruckt. Die zweite Hälfte enthält eine Reihe von Diskursen über
Gusmans jeweiligen Berufswechsel, und unvermittlet schließt das Buch mit einer
Bekehrung.“ (wie Anm. 3), S. 13.
[37] Den grundsätzlichen Unterschied zwischen
picarischer und simplicianischer Lebenshaltung hat Clemens Heselhaus
hervorgehoben in: Grimmelshausen. Der
abenteuerliche Simplicissimus (wie. Anm.19), S. 62-63.
[38]
Hierzu die sehr ausführliche Studie Koschligs: Lob des Françion (wie Anm. 25). Koschlig hat
beweisen können, dass Grimmelshausen von den zwei zur Verfügung stehenden
zeitgenössischen Übersetzungen die von 1662 benutzte.
[39] Ders. (wie Anm. 25) erwähnt, dass
Grimmelshausen die Figur des Olivier von Sorel übernahm. Er schreibt: “Olivier
– ein Räuber und Muster der Verkommenheit, wie im Simplicissimus”, S. 57. Im
französischen Original ist jedoch Olivier der, der schon gleich im ersten
Kapitel Reue empfindet. Die deutsche Übersetzung folgt dieser Version. Wieder
gibt es bei Grimmelshausen eine parodistische Umkehr, denn sein Olivier ist von
klein auf ein Bösewicht.
[40] Schon Bloedau machte auf die Ähnlichkeit
der Träume aufmerksam: „Wohl aber enthielt Françion,
realistischer Stoff bei idealistischer Form, einen langen phantastischen
Traum, und von ihm stammt Simplicius Vision her.“ In: Grimmelshausens ‚Simplicissimus’
(wie Anm.3), S. 58.
[41] Martin Erich Schmid: Orpheus.
Grimmelshausen – Anton Ulrich – Francesco Buti. Die Quelle zum Pariser
Opernkapitel im Simplicissimus. Argenis 1 (1977), S. 279-299.
[42]
Grimmelshausen: Des Vortrefflich
Keuschen Josephs in Egypten Lebensbeschreibung samt des Musai Lebens-Lauff. Hrsg.
von Wolfgang Bender. Tübingen 1968. (Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Unter
Mitarbeit von Wolfgang Bender und Franz Günter Sieveke hrsg. von Rolf Tarot) S.
viii.
[43]. Ders.: Des Vortrefflich etc. (wie Anm. 41), S. 59.
[44] Welzig macht auf die Beziehungen zur
Eulenspiegelfigur aufmerksam und setzt den deutschen Schalk gegen den
spanischen Picaro ab: “Eulenspiegel hintergeht die Menschen oft aus reinem
Übermut. Lazaril dagegen muss zur List greifen um sich durchzusetzen [...] Die
Geschichte des Eulenspiegel will den Leser zum Lachen bringen, nur allein ‚umb
ein fröhlich gemüt zu machen in schweren zeiten’ (Vorrede), die des Lazaril von
Tormes soll zeigen, waß derselbe für unglück und widerwertigkeitt außgestanden
hat’ (Titel).“ In: Beispielhafte Figuren (wie
Anm. 18), S. 109. Wenn wir hier von Eulenspiegel sprechen, ist es nicht das
Volksbuch, als literarisches Artefakt, sondern die Figur, die Schwänke aller
Art um sich sammelte, von der die Rede ist.
[45] Josef Trostler: Zur Quellengeschichte des
Simplicissimus. In: Euphorion 21 (1914), S. 695-702. Das
Werk aus dem Grimmelshausen die Episode entlehnte ist Erasmus Francisci: Die lustige Schaubühne von allerhand
Curiositäten. Nürnberg, 1563.
[46] Trostler: Quellengeschichte (wie Anm.
44), S. 698.
[47] Ders.: Quellengeschiche (wie Anm. 44)
zitiert die Erzählung Franciscis auf S. 697-698.
[48] Auf die Ähnlichkeiten zwischen Parzival
und Simplicius machte schon Gervinus aufmerksam. Melitta Gerhard führt die
Parzivalparallele weiter aus. Sie bemerkt: „Der religiöse Dienst steht bei
Wolfram nicht in Widerspruch mit dem Weltleben [...] Jene Synthese, die der
Schluss des Parzival feiert [...] ist
im Rahmen des simplicianischen Kriegslebens undenkbar. Hier gibt es nur die
Entscheidung zwischen Welt und Gott.“
Melitta Gerhard: Grimmelshausens Simplicissimus
als Entwicklungsroman. In: Weydt: Der
Simplicissimusdichter (wie Anm. 8),
S. 133-160. Weydt widmet diesem Vergleich ebenfalls ein Kapitel in Nachahmung (wie Anm. 6), S. 202-216.
Auch seine genaue Untersuchung liefert keinen sicheren Beweis dafür, dass
Grimmelshausen das Werk kannte, stellt es aber als sehr wahrscheinlich dar,
dass er die Mentelin-Inkunabel von 1477 gelesen hatte, da das Kloster
Ettenheimmünster und vielleicht auch andere in der Gegend von Strassburg, wo
der Parzival auch im 16. und 17.
Jahrhundert weiter gelesen wurde, sie besaß und die vielen nicht zu
übersehenden Parallelstellen sonst kaum zu erklären sind. Grimmelshausen hat
offensichtlich bei seinen Lesern auch die Kenntnis des Artusepos, das zum
selben Erzählkomplex gehört, vorausgesetzt, da er das Schwert Oliviers mit dem
des Artur [Artus] vergleicht. ST
(362).
[49] Hans Sachs: Baldanderst bin ich genannt,
der ganzen Welte wohlbekannt. In: Werke
in zwei Bänden. Bd. I, Gedichte.
Ausgewählt, sprachlich bearbeitet und eingeleitet von Karl Martin Schiller.
Volksverlag: Weimar, 1960. S. 192-195.
[50] Vgl. Hubert Gersch: Literarisches Monstrum (wie Anm. 5), S. 36.
[51] Scholte: Der Simplicissimus (wie Anm. 15), S. 253-262.
[52] Ders. (wie Anm. 13), S. 256-259.
[53] Grimmelshausen: Satyrischer Pilgram. Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1970.
Herausgegeben von Hans Bender (Gesammelte Werke, wie Anm. 41), S. 5.
[54] Bechtold: Zur Quellengeschichte, bemerkt:
“Der Einfluß Moscheroschs auf Grimmelshausen ist ebenfalls längst bekannt, aber
leider noch nicht im Einzelnen untersucht worden; auch v. Bloedau gleitet
ziemlich flüchtig darüber hinweg.“ (wie Anm. 3), S. 23. Er selbst führte die
Untersuchung erheblich weiter.
[55] Hans Michael Moscherosch: Schergenteufel,
1. Gesicht. In: Gesichte Philanders von Sittewald. Hrsg. von Felix Bobertag. Berlin und
Stuttgart, 1883. (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe
hrsg. von Joseph Kürschner), S. 7.
[56] Bechtold glaubt nicht, dass Moscheroschs
Werk sondern das Somnium die
unmittelbare Quelle für die Bessessenenszene sei. Bechtold: Zur Quellengeschichte
(wie Anm. 3), S. 29.
[57] Welzig vergleicht die beiden Dichter
folgendermaßen: “Der Unterschiend zwischen Moscherosch und Grimmelshausen ist,
daß bei letzterem eine stärkere Betonung auf dem Christlichen liegt. Philander
muß erkennen, daß die Welt nicht so ist, wie sie Lehrer und Bücher beschrieben
haben [...] Simplicissimus [...] misst das Treiben der Welt an den Geboten
Gottes, die er beim Einsiedler kennengelernt hatte.“ Welzig: Beispielhafte Figuren (wie Anm. 18), S.
68.
[58] Hierzu auch Hans Heinrich Borcherdt:
Miszellen zu Grimmelshausens Simplicissimus.
Euphorion Bd.23, 1921, S. 288-298 :
„Diese Gegenüberstellung dürfte die Benützung des Remigius unzweifelhaft
machen.“ S.293. Grimmelshausen erwähnt Remigius auf ST (145) folgendermaßen: „Nicolaus Remigius, welcher ein tapferer,
gelehrter und verständiger Mann gewesen und im Herzogtum Lothringen nicht nur
ein halb Dutzend Hexen verbrennen lassen, erzählet von Johanne von Hembach
[...]“
[59] G. C. Horst Dämonomagie, Frankfurt a. M.
1818, S. 212-213.
[60] Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm.
3) ist der Meinung, dass Grimmelshausen die Hexenverfolgung befürwortete: „Wie
fest er an Hexerei und Zauberei glaubte, ersehen wir aus den Hexengeschichten,
die er [...] erzählt. Hätte Grimmelshausen zu entscheiden gehabt – die
unglücklichen, im Verdacht der Hexerei stehenden Weiber hätten an ihm keinen
milden Richter gefunden.“ (S. 498-499) Aber Bechtolds Einstellung zu Quellen
ist durchweg naiv realistisch; er gebraucht sie vorwiegend zu biografischen Zwecken.
Dagegen hat Italo Michele Battafarano in seinem ausführlichen Aufsatz:
Hexenwahn und Teufelsglaube im Simplicissimus.
In: Argenis I (1977), S. 301-372,
gezeigt, dass Grimmelshausen in einer Zeit in der „Hexenwahn und Teufelsglaube
ein tabuisiertes Thema“ (S. 301) war, sich durch die Art wie er darüber
schrieb, als Skeptiker auswies.
[61] Bei
Nicolaus Remigius: Daemonolotria das
ist von Unholden und Zauber Geistern des ... Nicolai Remigii. Aus dem Latein in
Hoch Teutsch übersetzt durch Teucridem Annaeum Prinatum. Frankfurt 1598,
heißt es zur Teufelsmusik: „Der eine macht etwas her auff einer Zwerg
Pfeiffen/welche doch viel mehr in Warheit etwann ein Pfal oder Hirten stecken
ist[...] Ein anderer hatte einen todten Roß Kopff an statt einer Cyther/
darauff schlägt er[...]“ S. 145. Zum Tanz: „Ferner/ daß sie ihre Täntze in
einem ronden Kreiß ringes herumbher führen/ unnd die Rücke zusammen gekehret
haben/ wie eine under den dreyen Gratiis pflegt für gerissen zuwerden/ unnd
also zusammen tantzen [...]“ S. 133.
[62]: Ebenfalls bei Remigius (wie Anm. 60):
„Nun ist es mit dem nicht genug/ daß sie sich vor dem Obersten verneigen/ Item
für ihm auff die Knie fallen/ unnd umb die Hüfte umbfangen/ sondern (pfü der
großen Schand) sie werden auch wider jhren Willen gezwungen das sie jhm müssen
auff das Arßloch küssen/ Nemlich wenn er sich zuvor in einem zottelichten Bock
verwandelt hat [...]“ S. 150. Vgl. auch
Horst: Daemonomagie (wie Anm. 58), S.
198 -9.
[63] Dazu Battafarano: Hexenwahn (wie Anm.
59). Zur Fragwürdigkeit der Kategorie des Bösen bei Grimmelshausen siehe auch
Silke Beinssen-Hesse: Des Abentheuerlichen Simplicii Verkehrte Welt. Ein Topos
wird fragwürdig. In Antipodische
Aufklärungen. Unter Mitwirkung von M. Clyne, S. Beinssen-Hesse, E. Keller,
A. Pawels, P.Petr, D. Roberts, P. Thomson und E. M. Wilkinson Hrsg. von Walter
Veit. Frankfurt am Main, Bern, New York 1987
(Festschrift für Leslie Bodi), S. 63-75.
[65] Weydt: Nachahmung (wie Anm. 6), S. 163-187, hier S. 171.
[66] Sachs (wie Anm. 48), S. 123-124.
[67] Zur Beziehung Grimmelshausen-Guevara vgl.
Weydt: Nachahmung (wie Anm. 6), S.
216-240.
[68] Vgl. Max Wehrli: Das finstere Licht.
Grimmelshausens Lichtspruch im Simplicissimus.
In: Deutsche Barocklyrik.
Gedichtinterpretationen von Spee bis Haller. Hrsg. von M. Bircher u. A. M.
Haas, Bern u. München 1973, S. 167-173.
[69] Scholte:Der Simplicissimus (wie Anm.15), S.104.
[70] Andreas Gryphius: Werke, Bd.III. Lyrische
Gedichte. Hrsg. von Hermann Palm. Darmstadt, 1961, S. 99.
[71] Paracelsus (Theophrastus Bombast von Hohenheim): Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris, et de caeteris
spiritibus. Originalausgabe von Johannes Huser, Basel 1591. Prolog , IX, S. 28-33, hier S. 30.
[72] Bechtold rechnet Grimmelshausen zu den
Synkretikern. „Der Gedanke an die Aussöhnung der Konfessionen unter
Zurücktretenlassen der Unterscheidungslehren lag in der Luft, er keimte in den
besten und edelsten Gemütern auf; ich erinnere an den ‚Synkretismus’ des
Helmstädter Professors Calixtus (gest. 1656) [...] Auch Grimmelshausen ist
durch dieses Stadium hindurch am Ende in die Arme der alten Kirche gelangt;
aber obwohl er sich schließlich zur katholischen Konfession bekannte, tragen
seine Schriften doch mehr synkretistischen als ausgesprochen katholischen
Charakter.“ In: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 516.
[73] Sich auf Hans Gerd Rötzer: Picaro –
Landtstörtzer – Simplicius. Studien zum niederen Roman in Spanien und
Deutschland . Darmstadt 1972 (Impulse der Forschung; 4) beziehend, macht
Lars Kaminski darauf aufmerksam, dass Vor- und Nachame des Tischlers, Simon
Meron, Beziehungen zur jüdischen Kabbala aufweisen. Relevant wäre hier die
kabbalistische Lehre von den in der Natur verstreuten Funken Gottes, die sich
subtil von der christlichen Lehre der Natur als unverdorbener Schöpfung Gottes
unterscheidet. Es ist jedoch hier nicht möglich, näher darauf einzugehen. Lars
Kaminski: Vita Simplicii. Einsiedlerleben und Antoniusverehrung bei
Grimmelshausen. Frankfurt am Main [u. a.] 2010, S. 188-189.
[74] J.H. Scholte behandelt Nevilles Schrift
als Quelle für den Simplicissimus.
In: Der Simplicissimus (wie Anm.15), S. 57-60.
[75] Lars Kaminski: Die Kultivierung des Paradieses. Grimmelshausens „Creutz
Jnsul“ vor dem Hintergrund des „PINESER Eylands“ von Henry Neville. In: TEXT +
KRITIK. Zeitschrift für Literatur. Sonderband. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold.
München 2008. Hier S. 139.
[76] Kaminski: Die Kultivierung des
Paradieses. S. 146.
[77] Hierzu ders.: Zonagri Discurs (wie Anm. 20 ), S. 11.
[78] Der erste, der erkannt hat, dass es sich
hier um die Allegorie des Ständebaums handelt, war Paul Böckmann. Er schreibt,
dass man beachten muss „dass der Ständebaum ein häufig dargestelltes Motiv der
Bildkunst ist und dass auch Grimmelshausen offensichtlich ein solches Bild
vorgeschwebt hat und zwar möglicherweise eine Zeichnung von Hans Weiditz zu dem
ins Deutsche übersetzte Gücksbuch des Petrarca, die um 1520 wahrscheinlich auf
Anregung von Sebastian Brant entstanden ist und noch im siebzehnten Jahrhundert
wieder aufgelegt wurde.“ Paul Böckmann: Formgeschichte
der deutschen Dichtung, Bd. I: Von
der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache, Darmstadt 1973, S. 459. In: Nachahmung (wie Anm. 6), S. 391, druckt
Weydt das Bild ab. Die Quellen, die Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm.
3) angibt, sind weniger überzeugend: „Die große Kriegsallegorie, welche vom
Waldidyll zu dem Hanauer Aufenthalt des Simplicius hinüberführt, ist zweifellos
eine bewusste und beabsichte Nachahmung Moscheroschs; auch v. Bloedau führt die
satirische Tendenz des Traumes auf seinen Einfluss zurück. Es mag ihm zugegeben
werden, dass in dem Traumgesicht die Vorstellung des Weinstocks der
Cyrusgeschichte mitspielt, welcher aus dem Schoße der Mandane wächst und sich
über ganz Asien ausbreitet. Die Hauptsache aber hat Grimmelshausen wieder eine
Stelle des Zauberbecher gegeben, in
welcher nicht das Kriegs- sondern das Hofleben mit einem Baume verglichen
wird.“ (Bechtold zitiert auf S. 241 aus
diesem Werk.) „Dazu gesellen sich Gedanken aus Moscheroschs Soldatenleben.“ S. 43.
[79] Vgl. Joël Lefebvre: Das Utopische in
Grimmelshausens Simplicissimus. Ein
Vortrag. In Daphnis 7 (1978), S.
267-285.
[80] Zu den Utopien im Simplicissimus vgl. auch Erlhoff: Groteske Satire (wie Anm. 1), S. 78-88.
[81] Vgl. Eberhard Mannack „Politische und
verfassungsgeschichtliche Aspekte im Werk von Grimmelshausen“. In: Daphnis
5 (1976), S. 333-341 und Stephen C.
Jaeger: Grimmelshausen’s Jupiter and the Figure of the learned Madman in the
17th Century. In: Simpliciana 3 (1981), S. 39-64. Auf die
Beziehung der Ideen Jupiters zu Flugschriften der Zeit hat Böckmann (wie
Anm.74) auf S. 461-462 aufmerksam
gemacht
[82] Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm.
3) beweist Grimmelshausens Kenntnis des Olearius. S. 543.
[83] Weydt macht darauf aufmerksam, dass
Grimmelshausen, wie Prätorius, die Nymphen Sylphen nennt und sich deshalb wohl
primär und vielleicht ausschließlich auf diese Schrift bezog. In Nachahmung (wie Anm. 6), S. 435. Dies
könnte jedoch dadurch erklärt werden, dass Grimmelshausen die Beziehung zur
Jupiterepisode, in der sich Simplex richtigerweise Sylph nennt, herstellen
will. Es scheint mir unwahrscheinlich, dass Paracelsus als Ideenträger
Grimmelshausen fremd war. Wie Harry Mielert darlegt, erschien in den Jahren
1589-1591 die Husersche Ausgabe der Werke von Paracelsus in Basel, also nicht
weit von Grimmelshausens Wahlheimat, und es ist kaum anzunehmen, dass
Grimmelshausen sie nicht neben anderen pseudoparacelsischen Werken, wie des
Prätorius, benutzte. Harry Mielert: Der paracelsische Anteil an der Mummelsee-Allegorie
in Grimmelshausens Simplicissimus.
In: Deutsche Vierteljahresschrift für
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 20 (1942), S. 435-451.
[84] Paracelsus: Liber (wie Anm. 70), S. 52.
[85] Ders. : Liber (wie Anm. 70), S. 58.
[86] Ders. : Liber (wie Anm. 70), S. 53.
[87] Ders. : Liber (wie Anm. 70), S. 57.
[88] Ders. : Liber (wie Anm. 70), S. 63.
[89] Hierzu
A. J. F. Zieglschmid: Die ungarischen Wiedertäufer bei Grimmelshausen.
In: Zeitschrift für Kirchengeschichte, 59
(1940), S. 352-387.
[90] Vgl.Weydt: Nachahmung (wie Anm.6), S. 47-187 und S. 319-325.
[91] Ders. : Nachahmung (wie Anm. 6), S. 399.
[92] Welzig: Beispielhafte Figuren (wie Anm. 18), hat die Beziehungen zwischen
Einsiedlertum, Naturfrömmigkeit und Schäfertum genauer untersucht. „Vor allem
Opitz hat mit seiner idyllischen Verklärung des Bauerntums in dieser Hinsicht
wegweisend gewirkt. Neben ihm ist es besonders Harsdörffer, der die Einsamkeit
in der Natur als Voraussetzung für die Ruhe des Gemüts verkündet. [...] Im Trichter gibt Harsdörffer eine Begriffsbestimmung
der Einsamkeit, in der er dem ‚Weltling’ den Eremiten gegenüberstellt, der sich
von den Mitmenschen abgewandt hat, um auf die Stimme seines Inneren hören zu
können.“ S. 157. „Zum Einsiedlertum tritt jetzt das Naturerlebnis [...] die
‚Natur’ dieser Einsidelei ist kein Ausschnitt aus der insgesamt von Gott
abgefallenen Schöpfung, sondern eine Stätte harmonischen Lebens.“ S. 164.
Welzig macht auch auf die Verwandtschaft mit stoischen Ideen aufmerksam:
„Beständigkeit in all ihren Ausformungen, bester Vorsatz, unveränderlicher
Wille, ‚ohnverbrüchliche Treue und Freundschaft’, ist die vielgerühmte Tugend
derer, die nicht dem Gesetz der Welt folgen.“ S. 176. – Der stoische Philosoph
Lipsius schloss in seine Schrift De
Constantia ein Lob des Gartens ein. Die deutsche Übersetzung hiervon war,
laut Welzig, das einflussreichste philosophische Werk der Zeit. Hierzu auch
Friedrich Gundolf: Grimmelshausen und der ‚Simplicissimus’ (wie Anm. 12):
„Seine [Grimmelshausens] Weltflucht wegen der Flüchtigkeit der Welt kommt nicht
aus Genußunfähigkeit oder Nervenschwäche: sie ist nur das Gegengefühl zu seiner
mächtigen Empfänglichkeit [...] Ihm eignete nach Art und Farbe der deutschen
Mystik von Sebastian Franck bis Angelus Silesius, eine alldurchspürende
Frommheit, die, wie in den Naturereignissen und Geschichtserscheinungen so auch
in den Glaubensformen gleichwertige Äußerungen der Gottheit ehrte oder
wenigstens ahnte oder suchte.“ S. 127.
[93] Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj,
Sigmund von Birken: Pegnesisches Schäfergedicht.
(Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 8). Hrsg. Klaus Garber. Tübingen, Niemeyer 1966. (Erstdruck: Nürnberg: Wolfgang Endter,
1644). www.contumax.de/ebooks, loc. 163.
[97] Die Pegnitz-Schäfer.
Nürnberger Barockdichtung. Hrsg. von Eberhard Mannack. Reclam: Stuttgart, 1968. S. 14.
[98] Hans Geulen: ‘Arcadische’ Simpliciana. Zu
einer Quelle Grimmelshausens und ihrer strukturellen Bedeutung für seinen
Roman. In: Euphorion 63 (1969), S.
426-437. Siehe auch Walter Holzinger: Der abentheuerliche Simplicissimus und
Sir Philip Sidneys Arcadia. In: Colloquia Germanica (1969), S. 184-198.
[99] Dazu Rosemarie Zeller: Rhetorik der
Schlachtbeschreibung. Lucan,
Tasso, Sidney und Grimmelshausen. In: Simpliciana. Schriften der
Grimmelshausen-Gesellschaft,
XXXIII (2011), S. 159-180. Auf S. 178 druckt sie die deutsche
Übersetzung von Sidneys Schlachtbeschreibung ab.
[100] Ilse-Lore Konopatzki: Grimmelshausens Legendenvorlagen. Berlin,
1965.
[101] Wie oben S. 52. Auch Lars Kaminski
erwähnt diese Episode in: Vita Simplicii,
S. 203. Kaminski betont in seiner Abhandlung die Doppelgesichtigkeit der
Antoniusfigur, die im Osten als Einsiedler und Mönch, im Westen dagegen vor
allem als Nothelfer, Arzt, Wundertäter und Richter verehrt wurde. Wie Kaminski
darlegt, kommt bei Grimmelshausen die zweite Funktion erst zur Geltung, als
Simplicissimus, zunächst durch die Holländer, erneut Kontakt mit der
europäischen Welt bekommt. S. 260-262.
[102] Vgl.Welzig: Beispielhafte Figuren (wie Anm.18), S. 51.
[103] Lars Kaminski in: Vita Simplicii (Anm. 73) sieht
den Simplicissimus-Roman als
Generalbeichte des alten Simplicissimus (S. 173) und weist darauf hin, dass
hier vermulich nicht nur die Confessiones des Augustinus sondern auch
die Anweisungen des Antonius an seine Mönche: „Ein jeder von uns soll die
Handlungen und Regungen der Seele bemerken und aufzeichnen, als ob wir sie
einander mitteilen wollten“ Anregung gaben.
[104] Heinz Heimsoeth: Paracelsus als
Philosoph. In: Deutsche
Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 19
(1941) H 4, S. 369-378: „Natur samt Menschentum als göttliches Buch vor
Menschen.“ S. 371.
[105] Ders. (wie Anm. 98), S.370
[106] Hierzu W.E. Peuckert: Pansophie. Berlin, 1956.
[107] Vgl. Meid: Epoche – Werk – Wirkung (wie Anm. 4): „Der ,curiöse’ Simplicius
spürt nicht den Bezügen zwischen den Erscheinungen der Natur und der
verborgenen göttlichen Ordnung nach, ihn interessiert, wenn er in ihrem Buche
liest, die Natur selbst.“ S.144.
[108] Lars Kaminski: Vita Simplicii (wie Anm. 73) macht auf die Circe Episode in Homers Odyssee, die Grimmelshausen auch
erwähnt, als Quelle aufmerksam, deutet sie aber theologisch konventionell, nicht parodistisch. S. 219.
[109]
Hierzu Gerhard Lauer: Grimmelshausen oder die Kunst des Erzählens vor
Gott. In: TEXT + KRITIK. Sonderband.
Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 2008. S. 22-31. Lauer ist der Meinung,
dass Grimmelshausens komplizierte Erzähltechnik mit „poetologischen
Einschübe[n] und wechselnde[n] Erzählinstanzen“ (S. 24) die „negative
Anthropologie des 17. Jahrhunderts“ (S. 25) und die Sündenverfallenheit des
Menschen ausdrücken soll. Er erklärt dies ohne eingehende Analyse theologisch.
Die Kriegsumstände, die den Stoff des Romanes bilden, berücksichtigt er nicht
und schlussfolgert: „Darum seine verwirrende Modernität, die in Wahrheit nichts
als die Einsicht in die Sünde des Erzählens sein kann und der nichts bleiben
will als die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes.“ (S. 30). Auch wenn man
die Theologie der Zeit berücksichtigen muss, darf man meiner Ansicht nach nicht
von vorne herein davon ausgehen, dass ein so kreativer Schriftsteller wie
Grimmelshausen konform denken muss.
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