Monday, 15 July 2013

Die literarischen Quellen von Grimmelshausens "Simplicissimus"

SILKE BEINSSEN-HESSE (Monash)

Zur Form eines parodistischen Romans.
Die literarischen Quellen von Grimmelshausens Simplicissimus

      Christoffel von Grimmelshausens großer 1668 erschienener Roman über die Welt des  Dreißigjährigen Krieges gehört auch heute nach fast drei einhalb Jahrhunderten noch zu den klassischen Werken der Weltliteratur. Das beweist unter anderem die Vielzahl der Übersetzungen ins Englische, die in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht wurden. Dass der Roman heute vor allem als Zeitbild und als Abenteuerroman gelesen wird, ist schon dadurch ersichtlich, dass mehrere der Übersetzer das sechste Buch, die sogenannte Continuatio, die erst 1669, ein Jahr nach dem ersten Erscheinen des Simplicissimus Teutsch, veröffentlicht wurde, nicht mitübersetzt haben. [1] Mike Mitchell rechtfertigt dieses Vorgehen folgendermaßen:

This [the continuation] is certainly not an organic part of the novel, consisting as it does largely of allegorical tales, fables and fantastic adventures, which do not contribute at all to the vision of the original novel. [2]

Diese Begründung ist nur bedingt richtig. Wenn man den Simplicissimus als realistischen und humoristischen Zeit- und Abenteuerroman lesen möchte, und für den heutigen Leser ist er wohl nur so attraktiv, wirkt die Continuatio störend. Carl August von Bloedau schreibt dazu:

Werden schon die durch sieben lange Kapitel ausgesponnenen phantastischen Mummelseeabentheuer als Fremdkörper in der Handlung des Romans empfunden, so fallen die Reise nach Rußland und die daran angehängten Erlebnisse, die Nachwirkung der Lektüre des dritten Teils des Gusman und anderer Reisewerke völlig aus dem Rahmen der Erzählung heraus; wir würden sie sehr gerne, wie das ganze sechste Buch des Simplicissimus vermissen.“ [3]

Aber Grimmelshausens Roman ist, meiner Überzeugung nach, von ihm niemals als ausschließlich realistisches Werk konzipiert worden, sondern wurde gleichzeitig auch auf einer zweiten, quasi philosophischen Ebene entworfen, die das reale Geschehen kommentiert. [4]  Obwohl diese für moderne Leser nicht mehr direkt zugänglich ist, und nur für die gebildetsten unter den zeitgenössischen jemals zugänglich war, ist sie auch heute noch für den Historiker, wie für den Literaturwissenschaftler, von großem Interesse. [5]

       Den Schlüssel zu dieser zweiten Ebene bieten, wie ich glaube, eben jene vielen oft als störend empfundenen Quellenfunde, die im Laufe der Jahre von Germanisten zu Tage gefördert worden sind. Während viele der verdienstvollen frühen Grimmelshausenforscher, darunter J. H. Scholte und Arthur Bechtold[6], in solchen Quellen hauptsächlich Aufschlüsse über historische Gegebenheiten und deren Beziehung zur Biographie des Autors suchten, galt die Lebensarbeit von Günther Weydt, unterstützt von seinen Schülern, den anspruchsvolleren literarischen Quellen. An ihrer Verarbeitung ließ sich einerseits die überlegene Kunst des Simplicissimus-Dichters gegenüber anderen Schriftstellern seiner Zeit demonstrieren, andrerseits ermöglichten sie aber auch ein detailliertes Bild der Rezeption von einheimischen und ausländischen Texten in der deutschsprachigen Literatur nach dem Dreißigjährigen Krieg.

Aber die Fragen bleiben: Warum drängte es den zwar belesenen wenn auch nicht gelehrten Dichter sich in diesem Maße mit fremdem Gut zu schmücken? [7] Er hatte doch den Krieg selbst erlebt; warum ließ er es sich nicht daran genügen, seine Erlebnisse und Beobachtungen wiederzugeben? Selbst seinen Schlachtbericht musste er aus der Arcadia  borgen. War es ein Kompensationdrang? Wollte er auf einen Platz unter den Gelehrten der Zeit pochen? Hans Peter Erlhoff deutet auf eine mögliche Erklärung indem er uns auf das Interesse am Hermetischen im 17. Jahrhundert aufmerksam macht. Grimmelshausen treibe, um mit Hans Blumenberg zu sprechen, „ein artistisches Spiel um die Möglichkeit des Mitlesens von hintergründigem Sinn am vordergründigen Text “, wie es der zeitgenössische Manierismus liebte, aber er tue das nicht um „verborgene Geheimnisse zu offenbaren“, also nicht um Aussagen zu machen.[8]  Clemens Lugowski gehört zu den wenigen älteren Germanisten, die die Möglichkeit eines unvollkommenen Verständnisses des Werkes offen lassen.

Keiner von den vielen Versuchen, das umstrittene Werk zu erschließen hat zu einem Ergebnis von befreiender Einsichtigkeit geführt ... Alle Deutungsversuche sind von dem Glauben ausgegangen, einen eindeutigen Totalsinn aus dem Roman herauslesen zu können. Allen ist gemeinsam, dass sie gewisse Teile des Werkes, durch die sie gefährdet werden, ausschließen, tadeln oder ignorieren. [9]

Also noch einmal die Frage: wozu wurden diese auf unzählige Quellen bezogenen Parodien, Kontrafakturen, Montagen, Anspielungen und dergleichen mehr hier herangetragen? [10]

Eine grundsätzliche Überlegung zu den Möglichkeiten, die die Verwendung von identifizierbarem, geformtem Material mit sich bringt, lässt mindestens drei erkennen: Die Quelle kann als Autorität gelten. Dies war Jahrhunderte lang die gängigste Einstellung zu Quellen. Wenn man sich auf die Meinung einer anerkannten Autorität berufen konnte, galt man als glaubhaft. Ein zweiter und wohl auch heute noch der üblichste parodistische Gebrauch von Quellen ist die Übertreibung oder Lächerlichmachung im Dienste der Entlavung oder Berichtigung. Man kann sich darüberhinaus einen dritten Anlass, vorgeformte Texte in ein literarisches Werk einzuarbeiten, vorstellen. Hier würde es darum gehen, ein Geschehen in den räumlichen und zeitlichen kulturellen Kosmos seiner Epoche einzuordnen. Auch in diesem Fall geht es um die bedeutsame und aufschlussreiche Abweichung von der ursprünglichen Quelle. Durch Abänderung von literarisch gefestigtem Erzählgut kann man z.B. zeigen, dass die Kultur der eigenen Epoche anders ist als die früherer Jahrhunderte oder umliegender Länder. Es handelt sich dabei nicht um Berichtigungen, sondern um Differenzierungen. Einen vorwiegenden Quellengebrauch dieser Art vermuten wir bei Grimmelshausen. Die Annahme wird jedoch erst glaubhaft, wenn die Summe der Abweichungen von den Quellen, die der Dichter seinem Werk zugrundelegte, zu sinnvollen und überzeugenden Ergebnissen führt.

       Es geht mir also in dieser Arbeit, und das muss betont werden, nicht um einen Beitrag zur Quellengeschichte, sondern um eine Untersuchung zur Poetik. Unter Quellen im engeren Sinn verstehe ich hier nicht die vielen stofflichen Anleihen, die Grimmelshausen nachweislich oder vermutlich machte, sondern Anspielungen auf strukturierte und aussagekräftige Werke.  Mein Aufsatz wird die literarischen Quellen des Simplicissimus-Romans, so weit sie wissenschaftlich erarbeitet worden sind, möglichst vollständig heranziehen. Wo mit ziemlicher Sicherheit eine Quelle vorliegt und die Anspielung auf diese Quelle zum Gesamtargument des Romans beiträgt, habe ich sie als Möglichkeit gelten lassen. Es ist ohnehin oft schwer zu bestimmen, was direkte Quelle war. Man kann z. B. nicht stichhaltig beweisen, dass Grimmelshausen Wolframs Parzival gelesen hat. Aber es ist durchaus möglich, dass er sich von Freunden und Vorbeireisenden die Parzivalhandlung erzählen ließ, um sie dann schriftstellerisch auszuwerten. Außerdem gab es zusammenfassende Sammelwerke von Erzählstoffen.[11] Günther Weydt ist der Meinung, dass Grimmelshausen bei seinem Unternehmen sehr wahrscheinlich von adligen Gönnern wie den Schauenburgs, die vermutlich dem begabten Schaffner ihre Bibliotheken zur Verfügung stellten und sie vielleicht sogar seinetwegen vergrößerten, wie auch von dem gebildeten Kreis, der sich um solche Familien  bildete, tatkräftig unterstützt wurde. [12]



Eine Jedermann Gestalt

Grimmelshausens Vorhaben ist es, so soll hier behauptet werden, im Geiste der zeitgenössischen Enzyklopädien (auf die des Garzoni wird gleich einleitend mit einem Zitat aufmerksam gemacht) ein Gesamtbild seiner Epoche zu geben, nicht nur als Schauplatz äußerer Ereignisse sondern auch, und hierauf konzentriert sich diese Untersuchung, als Ort literarischer und geistiger Produktion. Um solches überzeugend zu leisten müssen der Erzähler und der Autor autoritativ sein. [13] Wie schon das Titelbild mit seinen verstreuten Masken andeutet, besitzt Simplicissimus die quasi universale Erfahrung eines Jedermann, denn in diesem früh-modernen Jahrhundert kommt es auf Initiative und Lebenserfahrung und nicht mehr auf Adel oder auf kirchliche oder weltliche Autorität an. Simplicissimus hat unzählige Masken getragen: er war Bauernsohn und Hirtenjunge, Einsiedlerschüler, Page, Moralprediger, Hofnarr, Haus- und Pferdebursche, Zofe, Schreiber, Jäger, Junker, Ehemann, Geschäftsmann, Arztgehilfe, Schauspieler, Bube im Venusberg, Kranker, Kurpfuscher, Dragoner und Musketier, Merode Bruder, Räuber, Pilger, Badegast, Bauer, Adeliger, Silvanus, Utopist, Fürstendiener, Rudersklave, Einsiedler, Romanschreiber, Fabeldichter, Wallbruder, Alchemist, aufschneiderischer Weltreisender, wilder Mann, Mystiker und Anchoret. Ähnlich ist er auch in allen Elementen beheimatet. Der Eingangsspruch des Romans berichtet:
           
            Ich wurde durchs Fewer wie Phoenix geborn.
                Ich flog durch die Lüffte! wurd doch nit verlorn,
                Ich wandert durchs Wasser, Ich raißt über Landt,
                In solchem Umbschwermen macht ich mir bekandt,
was mich offt betruebet und selten ergetzt,
was war das? Ich habs in diß Buche gesetzt,
damit sich der Leser gleich, wie ich itzt thue,
entferne der Thorheit und lebe in Rhue. [14]

Spielerisch illustriert der Roman den hier beschriebenen Lebensweg. Die Geburt des Helden wird durch das Feuer der Schlacht beschleunigt, zum Hexensabbat fliegt er durch die Lüfte, er durchwandert die Wasserreiche, zu denen der Mummelsee führt, und er durchreist einen großen Teil der damaligen Welt. Sein Wanderleben führt Simplicissimus durch Deutschland und Frankreich, Russland, die Schweiz, Italien, die Mittelmeerländer, schließlich sogar in den fernen Osten und die Südsee: hier wieder die größtmögliche Ausweitung des Erlebnisbereiches. Auch mit fast allen christlichen Strömungen der Zeit kommt Simplicissimus in Berührung. Im Laufe des Krieges wechselt er von der protestantischen zur katholischen Seite; er ist zeitweilig Eremit, Pilger und Mystiker, er wird von lutherischen und reformierten Pfarrern belehrt, während sein Vater und erstes Vorbild als Wiedertäufer mit papistischen Ideen galt; in Russland kommt er mit dem orthodoxen Glauben in Berührung. Nicht allein das: durch den Schwank des Hanauer Gubernators ist Simplicissimus auch in Hölle, Fegefeuer und Himmel gewesen. Er hat sich als Teufel verkleidet und Jupiter gegenüber als Halbgott ausgegeben. Fast allen Ständen hat er angehört, in Krieg und Frieden hat er gelebt, Mann und Frau, Kind und betagter Weiser ist er gewesen. Günther Weydt hat in seinen Untersuchungen gezeigt, daß der Held im Laufe des Romans auch die astrologischen Häuser von Saturn über Mars, Sol, Jupiter, Venus, Merkur, Luna und zuletzt wieder Saturn durchzieht. [15] Er ist dazu jene Zwitterfigur des Titelkupfers, halb Mensch, halb aus verschiedenen Arten zusammengesetztes Naturwesen, [16] halb Mann, halb Frau, und in der Hand hält er das Buch der Welt, in dem in ungeordnetem Durcheinander, auf seine Erlebnisse anspielend, Krone und Turm, Würfel und Kanone, Narrenkappe und Segelschiff, Wickelkind und Becher, Kapaun und Floh, Baum und Säbel, Stadt und Arzneibüchschen, Soldatenhut und anderes mehr abgebildet sind. [17]

So umfassend die Simplicissimusfigur in ihrer Erlebnisbreite ist, so allgemein ist sie auch gehalten. Simplicissimus spricht die Sprache des Volkes. Der Wort- und Bildschatz ist der vieler deutscher Gegenden und immer reicher, als der des einzelnen einfachen Mannes. [18] Er braucht außerdem den Fremdwortschatz des Gebildeten. Als Individuum vertritt Simplicissimus das Volk. Sein Name, Simplicissimus, [19] den er mit einem Schüler des Heiligen Antonius teilt, kann Verschiedenes bedeuten: reiner Thor, Hofnarr, sündiger Narr im Sinne Brandts oder Murners und, wie Heselhaus aufgewiesen hat, Heilkundiger.[20]

Im Gegensatz zu seinem Helden, dessen einer Name viele Dinge bedeutet, verbirgt sich der Autor hinter vielen Namen, die aus der immer neuen Zusammensetzung des einen Namens entstehen: Christoffel von Grimmelshausen, Samuel Greifnson vom Hirschfelt, German Schleifheim von Sulsfort, Melchior Sternfels von Fugsheim, und wenn man die anderen simplicianischen Werke, die sich zu unserem Roman wie Fußnoten verhalten, miteinbezieht, außerdem: Philarchus Grossus von Tromenheim, Michael Regulin von Sehmsstorff, Erich Stainfels vom Grufensholm, Simon Leugfrisch vom Hartenfels und Israel Fromschmit von Hugenfels. [21] Sie sichern dem Autor einerseits Anonymität, geben dem Leser aber auch das ungewisse Gefühl, dass an der Entstehung des Werkes viele beteiligt sind. Dieser Eindruck wird durch den Wechsel der Erzählperspektiven innerhalb des Romans noch weiter gefestigt. [22] Der Berichtende ist der reife Einsiedler, aber er nimmt sich die Freiheit, das Geschehen einmal mit überlegenem Humor von sich zu distanzieren, sich ein anderes Mal mit dem jüngeren Simplicissimus in seinen vielen Verkleidungen zu identifizieren, um sich dann wieder spielerisch im Zitat die Worte und Meinungen Fremder aus fremder Perspektive scheinbar anzueignen.

Das Spiel um die Identität des Erzählers dient vor allem dazu, die Allgemeingültigkeit der Roman-Aussage zu etablieren und anschaulich zu machen. Aber sie hilft dem Autor auch ein breites Bild seiner Epoche, die politisch und kulturell als gesamteuropäisch verstanden werden muss, zu entwerfen. Es macht gleichfalls möglich, die Zeit des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland und die Mentalität der Menschen, die in diese Katastrophe hineingezogen wurden, anhand von Vergleichen generalisierend zu beschreiben. Parallel mit dieser abstrahierenden Ebene läuft jedoch stets die realistische Erzählung des Romans mit ihrem liebenswürdigen, ganz individuellen und oft recht unberechenbaren Helden, der sich während einer chaotischen Kriegsepoche in bestimmten genau beschriebenen Orten und Gegenden aufhält und dort zufälliger Zeuge von berühmten wie weniger bekannten Ereignissen wird. Grimmelshausens historische und örtliche Angaben sind bis auf geringe Abweichungen (der Tod des Generals Götz wurde z.B. vorverlegt) faktisch genau und richtig. Die meisten Forscher vermuten, dass er vieles, was er beschreibt, selbst erlebt und gesehen hat oder sonst aus Augenzeugenberichten erfuhr.


Spanier gegen Franzosen: Die zweite Kriegsphase

Im Simplicissimus schildert Grimmelshausen die letzte und chaotischste Phase des Dreißigjährigen Krieges, in der der religiöse und nationale Idealismus, der am Anfang noch eine Rolle gespielt hatte, erstickt war. Es kämpften nunmehr das katholische, spanisch-österreichische Habsburg und das katholische Frankreich, welches sich die protestantischen Armeen zunutze machte, einen europäischen Machtkampf auf deutschem Boden aus. In diesem Zusammenhang gilt es dem Autor das Deutsche gegen das Französische einerseits und das Spanische andererseits abzusetzen. Er wählt dazu die Gestalt des verrückten Jupiter Teutsch, denn in diesem Krieg, der jeden religiösen und nationalen Sinn verloren hat, kann die Hoffnung eines gemeinsamen, überkonfessionellen Christentums und einer gesamtdeutschen Nation nur noch einem Verrückten in den Mund gelegt werden. Jupiter Teutsch vertritt einen mythologisch orientierten deutschen Humanismus, der versucht antike Kultur, Christentum und deutsches Nationalgefühl zu einer wirksamen Einheit zu verbinden. [23] Günther Weydt hat darauf aufmerksam gemacht, dass Jupiter als deutsche Gegenfigur zum spanischen Don Quixote einerseits, der seinen Wahn aus Ritterromanen nahm, und Charles Sorels französischem Berger Extravagant andrerseits, dessen Titelheld sich an Schäferromanen überlas und deshalb als Mitglied der Gesellschaft versagte, zu verstehen sei. In Harsdörffers Der wahnwitzige Schäfer, einer Nacherzählung von Sorels Roman, wird der Don Quixote auch zum Vergleich herangezogen.

Unter den Völkern insgemein/ werden die Spanier für die sinnreichsten gehalten; und   gewiss sind sie die ersten gewesen/ welche das Liebsgedicht/ und Rittergeschicht zu Papier gesetzt: weil aber andre nachgefolgt/ und abenteuerliche Reden/ auch mehrmals gantz unverantwortliche Händel mit eingemischt/ hat sich einer gefunden/ der den Gigote [im Original „Pigote“] della Mancha mit seinem Sancho Pansa ausgerüstet/ solche Fantzenbücher zu Schanden zu/ machen. In Frankreich hat diese Art Bücher sehr überhand genommen … Keiner aber hat/ meines Erachtens die Thorheit solcher Scribenten besser an den Pranger gestellt/ als Jean de la Lande, mit seinem wahnwitzigen Schäfer; nachahmend des Cervantes Gigote de la Mancha/ dessen ich erst gedacht. [24]
(Sorels nom de plume ist Jean de la Lande.)

Die Figur des verrückten Schäfers übernahmen dann die Pegnitzschäfer in ihr Pegnesisches Schäfergedicht mit Hylas und der Pamela. Letztere gebärdet sich dort als sterbende Germania. Es ist anzunehmen, dass Grimmelshausen diese Dichtung, an der Harsdörffer wesentlich beteiligt war, kannte. [25] Im Gegensatz zu Don Quixote und Sorels Schäfer wurde Pamela von den Autoren nicht als Karikatur entworfen; sie ist aus patriotischem Kummer wahnsinnig geworden und flieht aus der politischen Wirklichkeit in die Natur. Den Wahnsinn hat Jupiter mit ihr gemeinsam. Grimmelshausen bewahrt sich aber die Flucht in die Natur bis zuletzt auf und rückt seinen Wahnsinnigen näher an die eigentlichen Ursachen des Krieges: die versponnenen religiösen und politischen Idealismen der Zeit, die Legenden von übernatürlich starken Helden, und die unrealistischen Träume von religiöser Perfektion. Nicht an Schäferromenen und Romanzen, sondern an solcher Literatur hat sich der Deutsche überlesen. Zur Darstellung dieses Wahnes baut Grimmelshausen für sich die Figur des Hortensius aus Sorels Françion aus – Hortensius ist dort ein eingebildeter Pedant und Schullehrer, dem man eingeredet hat, er sei der König von Polen – und es entsteht sein „Phantast, der sich überstudiert und in der Poeterei gewaltig verstiegen” hat. ST (214) Bei Sorel ist Hortensius eine Witzfigur; bei Grimmelshausen ist Jupiter jedoch eine trotz aller Komik ernst gemeinte Verkörperung des deutschen Wahnes. [26]

Und wieder handelt es sich um Parodie, wenn der große Jupiter plötzlich die Hosen herunterzieht und seinen Flöhen den Kampf erklärt. Julius Peterson wird recht haben, dass Grimmelshausen auf die vielen Phantasten der Zeit anspielte und vielleicht eine Anregung aus dem Bericht über einen 1636 in Königsberg auftretenden Messias, den sogenannten Johann Albrecht Adelgreiff, empfing, von dem es hieß: „Die Leuse plagten ihn übernatürlich/ ist auch so voll der Würme/ das Gottes Strafe sonderlich an diesem zu merken“. [27] Bei Jupiter handelt es sich jedoch bezeichnenderweise um Flöhe, und zwar um die Flöhe aus Johann Fischarts Flöh Hatz, Weiber Tratz, die dort auch mit beweglicher Klage den Jupiter um Hilfe gegen die Frauen bitten, welche ihrerseits die Plagegeister, die sie außerdem zur Unkeuschheit reizen, auf jede Weise verfolgen.[28] Fischarts Flöhe werden nicht nur als geile junge Feinschmecker geschildert, die es auf die zartesten Jungfrauen abgesehen haben – ganz in der Ovidschen Tradition, in der sich der Liebhaber wünscht, als Floh bei seiner Geliebten hausen zu dürfen – sondern sie werden auch als organisierte Heere und raubende Horden geschildert, die in der Kirche, auf dem Markt und in der Kinderstube besonders die Frauen und Kinder überfallen, welche die Flöhe nun ihrerseits, als Rache für ihre Blutgier, unter grauenhaften Torturen sterben lassen. Bei Grimmelshausen bitten die Flöhe Jupiter um Hilfe und verteidigen sich ihm gegenüber damit, dass sie doch schließlich auch leben wollen und keiner den Bauern schilt, weil er mit seinem Pflug die Erde aufbricht. Wenn im Zeitalter Fischarts noch humoristisch von blutdurstigen Kriegsvölkern und dem schrecklichen Einfallsreichtum der Rache gesprochen werden kann, so ist es im Simplicissimus voller Ernst geworden, wie die Szenen im Bauernhaus und vor Gelnhausen beweisen. Dabei kann den Kriegshorden so wenig wie den Flöhen die Berechtigung zu leben abgesprochen werden, und der Held des Romans selbst zeigt, dass man sich oft nur durch Rauben am Leben erhalten kann. Auch der Idealismus des Jupiter Teutsch muss letzten Endes an dem Gesindel, das der Krieg auftreibt, scheitern; seine Geduld versagt und er gibt die Flöhe, denen er zunächst eine Freistatt bei sich gewährt hatte, den Weibern zum „verrieblen und vertrieblen“ ST (230) preis. Wirkte die Flohszene, in der Jupiter sich als der Flöhe Gott und nicht besser als der kurz vorher von Läusen geplagte Simplicissimus entpuppt, zunächst nur komisch, so bekommt sie aus parodistischer Sicht eine tiefere Bedeutung. Die Menschen sind im Ernst zu Ungeziefer geworden, nicht mehr die Flöhe spasseshalber zu Menschen. Im siebzehnten Jahrhundert lebt man in einer anderen Welt, einer Welt des Krieges.

Noch mit einer zweiten Parodie setzt Grimmelshausen deutsches Wesen von dem der Spanier und Franzosen ab. Nicht nur der deutsche Verrückte, auch der deutsche Abenteurer ist anders als seine spanischen und französischen Verwandten. Simplicissimus ist weder ein Gusman noch ein Françion. Die Ähnlichkeit des Simplicissimus mit dem spanischen Picaro ist immer wieder aufgefallen. Es ist kaum anzunehmen, dass Grimmelshausen nicht wenigstens den Gusman d’Alfarche von Mateo Aleman in der Übersetzung von Albertinus und der Erweiterung von Freudenhold kannte. Vermutlich hatte er auch den Lazarillo gelesen. [29] So haben der Gusman und der Simplicissimus etwa die Teufelsepisode gemeinsam. Beide Helden werden nachts im Bett von vier verkleideten Teufeln überfallen, und beide werden auf ein Leilach oder eine Decke gelegt und unbarmherzig „zerplotzt” bis sie halb tot liegen bleiben. [30] Im Gusman hat der Schwank keinerlei tiefere Bedeutung. Bei Grimmelshausen folgt dem Abstieg in eine gespielte Hölle, den die Teufel besorgen, ein Aufenthalt im Fegefeuer und einer im Paradies. Es ist die erste Begegnung des Knaben mit den menschlichen Vorstellungen von Himmel und Hölle und mit dem zwar wirklichen aber nie ganz zu fassenden Teufel in der Welt. Als Bauernbub fürchtete er nur den Wolf. Die Handlung gleicht einem Initiationsritus; [31] es ist eine bis nahe an den Wahnsinn führende Tortur, die Simplicissimus vom reinen Thoren zum Kalb und Hofnarren macht. Bei Grimmelshausen gewinnt somit das Physische geistige Bedeutung; die Welt wird der Ort eines metaphysischen Dramas.

Ziemlich zu Anfang zitiert der Gusman des Albertinus denselben Abschnitt aus Garzoni, mit dem der Simplicissimus beginnt. [32] Er handelt von der Überheblichkeit solcher, die besser sein wollen als ihre Ahnen und ist insofern wichtig, als sowohl Gusman wie Simplicissimus ihren Ahnen nachschlagen: der eine ist und bleibt dem Wesen nach ein Gauner (obwohl die deutschen Bearbeiter von seiner Bekehrung berichten); der andere wird, wie sein Vater, vom Kriegsmann zum Eremiten. Wieder wird der Gegensatz parodistisch betont. Der Einsiedler in Montserrat bringt es nicht weit mit der Bekehrung von Gusman.[33] Simplicius dagegen wird von seinem ersten Einsiedlererlebnis wesentlich geprägt. In den Episoden, wo sie Pagen und Soldatendiener sind, gleichen sich die jungen Helden bis zu einem gewissen Grad. Nur ist und bleibt Gusman ein Dieb, während Simplicius sein Gewissen nie ganz verliert und die Opfer als Jäger von Soest gelegentlich sogar entschädigt.

Schon früh auf seinen Reisen begegnet Gusman einem Priester, der ihm fünf gute Ratschläge gibt: Fürchte Gott, hüte dich vor allen Sünden, meide böse Gesellschaft, enthalte dich der Gemeinschaft unkeuscher Weiber, gedenke an den Tod. [34] Nur eine dieser Mahnungen übernimmt der alte Einsiedler, als er Simlicissimus berät: „Diese drei Stück, sich selbst erkennen, böse Gesellschaft meiden und beständig verbleiben”. ST (35) Von Gottesfurcht, Todesfurcht und Sündenfurcht sagt der alte Einsiedler nichts; solange der Mensch nicht aus seiner ihm von Gott vorgeschriebenen Bahn ausbricht, ist er gut. Es ist das positive, natürliche Christentum, das Simplicius dann auf seiner Insel verkörpert.

Auch im Gusman gibt es eine Jupiterlegende.[35] Der gütige Herr der Menschen schickt ihnen dort die Göttin der Glückseligkeit. Betört von ihrem Glück, vergessen die Menschen alle anderen Götter, so dass Jupiter schließlich gezwungen ist, die Glückseligkeit gegen die Göttin der Unglückseligkeit auszutauschen. Auch Grimmelshausens Jupiter will erst den Flöhen, dann den Menschen die Glückseligkeit bringen, muss schließlich aber zugeben, dass es in beiden Fällen nicht möglich ist. Die beiden Romane teilen viele Erzählmotive. Die Pilgerreise des Gusman gleicht, z. B., der missglückten Pilgerfahrt des Simplicius.[36] Beide beschauen sich unter anderem als Touristen die Pyramiden am Nil. In beiden Fällen ist es ein Abenteurertum unter anderem Vorzeichen und kein echt religiöses Unternehmen.[37] Trotz ihrer vielen ähnlichen Erlebnisse, sind der deutsche und der spanische Abenteurer immer deutlich verschieden.

Ebenso wenig wie Simplicissimus ein spanischer Picaro ist, ist er ein französischer Abenteurer. Hier zieht Grimmelshausen wieder Charles Sorels Françion zum parodistischen Vergleiche heran. Es gibt mehrere Entsprechungen. [38] Beide Helden haben adelige Väter, die in ihrer Jugend Kriegsmänner waren. Beide tragen einen Namen oder Zunamen, der einerseits die Nationalität angibt, Teutsch und Françion, andererseits „Offenheit” bedeutet. Beide begegenen einem Fantasten, der sich überstudiert hat und infolgedessen dem Größenwahn verfallen ist: Jupiter und Hortensius. Beide halten sich eine Zeitlang in Paris auf und erleben dort die Bühne. Beide haben seltsame allegorische Träume von Bäumen. Beide haben einen Gegenspieler, der Olivier heißt.[39] Aber während der Traum des Simplicissimus Einblick in das soziale Chaos der durch den Krieg geprägten Gesellschaft gibt – er sieht den verwandelten und von Mars regierten Ständebaum – führt Françions Traum von den vielzüngigen Bäumen letztlich in ein Reich der Erotik. [40] Sorels Held bekennt, dass Liebe und Glück sein Leben regieren. Auch bei Grimmelshausen ist Frankreich das Reich der Erotik; der Venusberg liegt in der Gegend von Paris. Das wird ganz deutlich, als der nach Paris verschlagene Simplicissimus dazu verführt wird, eine Rolle als Schauspieler, Sänger und Lautenspieler in der Pariser Oper anzunehmen. In seinen Kostümen als Orpheus und später Herkules, gibt er viel nacktes Fleisch zur Schau und erweckt so bei Schauspielern wie Publikum Geilheit, als Herkules auch Gewalttätigkeit. Grimmelshausen verwendet in dieser Episode einen am 8. März 1647 in der Gazette de France veröffentlichten Bericht über eine Vorführung der Oper Orfeo von Luigi Rossi und Franscesco Buti im Palais Royal. Martin Erich Schmid hat gezeigt, dass er den Bericht so abändert, dass die Ereignisse aus der Perspektive des Hauptdarstellers, d.h. des Simplicius, erzählt werden, wodurch der psychologisch pervertierende Einfluss auf den Helden und nicht die Ästhetik des Dramas betont wird. [41] Als Konsequenz seiner Operntätigkeit wird Simplicius zum Gigolo adliger Frauen. Dabei verliert der Held, nunmehr als Beau Alman bekannt, seine eigene Identität und gerät in ihren Lustgemächern in Gefangenschaft; als Konsequenz erfährt er Krankheit und Armut. Während Françions Lebensschifflein zuguterletzt in den Hafen der Ehe einläuft, wobei praktische Erwägungen eine nicht unbedeutende Rolle spielen, scheitert Simplicissimus vollkommen, als er unter ähnlichen Umständen im Renchtal die Ehe versucht. Der französische Abenteurer hat als sein Revier die Erotik. Der deutsche dagegen ist einer, der sich selbst erkennen und auf diesem Wege Gott finden will.

Dass es Grimmelshausen mit seiner Sexualmoral ernst ist, wird auch an anderer Stelle betont, und zwar mit einer Parodie seiner selbst als Autor. Im 19. Kapitel des dritten Buches erzählt Simplicius wie er zufällig dazu kommt, als der Lippstädter Pfarrer „eben in [s]einem Joseph las”, d. h. in des Autors frühem Roman, den er Der keusche Joseph betitelt hatte:

Ich entfärbte mich/ daß einem solchen gelehrten Mann meine Arbeit in die Hände kommen solte/ sonderlich weil man davor hält/ daß einer am besten aus seinen Schriften erkennet werde; Er aber machte mich zu ihm sitzen/ und lobte zwar meine Invention, schalte aber/ daß ich mich so lang in der Seliche (die Potiphars Weib gewesen) Liebes-Händeln hätte [353] aufgehalten; Wessen das Hertz voll ist/ gehet der Muund über/ sagte er ferners/ wenn der Herr nicht selbsten wüste wie einem Buhler ums Hertz ist/ so hätte er dieses Weibs Passiones nicht so wohl ausführen/ oder vor Augen stellen können: […] immer Schad ists/ und ihr könts bey eurem himmlischen Vatter in Ewigkeit nicht verantworten/ wenn ihr euer Talent, das er euch verliehen/ vergrabt/ und euer edel Ingenium, das ich auß gegenwärtiger Schrift erkenne/ verderben lasset/ mein getreuer und vätter-[354]licher Rath wäre/ ihr legtet eure Jugend und eure Mittel/ die ihr hier so unnützlich verschwendet/ zum Studiren an/ damit Ihr heut oder morgen beydes GOtt und den Menschen und euch selbst bedient seyn könnet […] ST (265-6) Hände kommen sollte
               

Des Pfarrers Rüge passte treffender auf Zesens plagiathafte Nachahmung und Richtigstellung des Grimmelshausenschen Joseph-Romans, Assenat, (die aber erst nach der Veröffentlichung des Simplicissimus  erschien), denn Zesen beschreibt die lüsterne Sefira mit geradezu peinlicher Ausführlichkeit. Grimmelshausen sah die infolge des Kriegschaos Ungeschütztheit der Frau – und diese Ungeschütztheit bedeutete lüsterne, eifersüchtige und verantwortungslose Männer, entjungferte Frauen ohne Verdienstmöglichkeiten außer der Prostitution, und elternlose, unversorgte Kinder – als das große Übel seiner Zeit; daher die Überbetonung der Keuschheit. In Grimmelshausens späteren Schriften spielt dann eine zusammengewürfelte, simplicianische Familie, die sein Held unterhält und betreut, eine wichtige Rolle. Grimmelshausens Roman Der keusche Joseph wird im Katalog der Leipziger Herbstmesse von 1666 als „Exempel der unveränderlichen Vorsehung Gottes”  angekündigt, und es ist kein Zweifel, dass dort das Zusammenspiel von freier menschlicher Willensentscheidung und der Vorsehung Gottes im Mittelpunkt steht. [42] Die Verführungsszene wird aus ironischer Distanz beschrieben:

Dieses alles brachte sie mit solchen beweglichen und lustreizenden Gebärden vor/ daß sie auch den Saturnus selbst hätte ergeilen können zu ihr/ wie ein junger Satyrus/ aufs Bette zu springen; Ich kann mir auch wohl einbilden/ daß mancher/ der diß list/ bey sich selbst gedenckt; diß wäre ein stattlich Fressen vor mich gewesen. (59) [43]

Grimmelshausen beugt hier also durch ironische Verfremdung der möglichen Verführung des Lesers vor. Und er hat dann offensichtlich des fiktiven Pfarrers Rat ernst genommen und seine Freizeit zum „Studieren“ gebraucht; sonst hätte er seinen großen Roman niemals schreiben können.


Zur Charakterisierung des 17. Jahrhunderts

Auch der deutsche Schalk und Abenteurer früherer Jahrhunderte unterscheidet sich grundsätzlich von Grimmelshausens Helden. Simplicissimus ist kein Parzival, und auch kein „Eulenspiegel”. Mehrere Forscher haben auf die Ähnlichkeiten zwischen Eulenspiegelschen Streichen und den schwankhaften Episoden im Roman Grimmelshausens hingewiesen. [44] Trotzdem wurde keiner der simplicianischen Schwänke aus dem Volksbuch übernommen. Wir kennen die Quellen für den Schinkendiebstahl und die Eheschließung im Bett. Die Geschichte vom „Speckdieb” ist oft wiedererzählt worden, unter anderem von Hans Sachs. Grimmelshausens vermutliche Quelle ist, wie Josef Trostler gezeigt hat, Erasmus Franciscis Die lustige Schaubühne von allerhand Curiositäten. [45]  In Franciscis Schwank verstellt sich ebenfalls der Dieb als Teufel und kommt auf diese Weise mit der Beute davon. Aber des Pfarrers Prophezeiung, dass ihn „vermuthlich gleicher Lohn/ wie dem Teufel würde zutheil werden”[46] ängstigt ihn dann so, dass er sich sofort bekehrt. Simplicissimus dagegen geht realistischer vor; er zahlt dem Pfarrer reichlich für die Schinken und den ausgestandenen Schrecken und gewinnt auf diese Weise einen Freund und Verehrer. Man empfindet bei ihm weder mit dem Dieb noch mit dem Pfarrer Schadenfreude – die Schadenfreude, die im Eulenspiegel immer den Ton bestimmt – sondern es herrscht ein überlegener Humor. Auch die Eheschließung im Bett lässt die Schadenfreude, die die Erzählung Franciscis hervorruft, vermissen. [47] Es handelt sich im Simplicissimus nicht um einen gewissenlosen Buhler, der durch die Ränke einer schlauen Frau in seinem eigenen Netz gefangen wird, sondern um die komisch-ernste Situation, in die ein durchaus anständiges Mädchen geraten kann. Und der Kalbsaugendiebstahl, der wie viele Streiche Eulenspiegels auf dem Wörtlichnehmen eines Befehls beruht, wird in wirklicher Naivität begangen. Der deutsche Abenteurer des Spätmittelalters, dessen Prototyp Eulenspiegel ist, ist durch seine lustigen Streiche, unter denen unweigerlich andere zu leiden haben, und die die Überlegenheit des mit Mutterwitz begabten einfachen Mannes demonstrieren, gekennzeichnet. Simplicissimus will es sich hingegen zum Prinzip machen, dass er die Geschädigten auch wieder entschädigt. Im Dreißigjährigen Krieg kann der Soldat es sich nicht leisten, die, die ihm helfen könnten, zu verfeinden; er wird durch seine eigene Not zu einem ethischen Verhalten gedrängt.

Für den Vergleich mit dem Abenteurer des Mittlealters zieht Grimmelshausen Wolfram von Eschenbachs Epos Parzival, die große mittelalterliche Darstellung des gottsuchenden Menschen heran. Mehr als einem Forscher sind Entsprechungen zwischen den beiden Werken aufgefallen.[48] Beide Kinder, Parzival und Simplicissimus, wachsen als Halbwaisen, die jeweils Vater oder Mutter durch Krieg verloren haben, in der Einöde auf, mit geringen Gotteskenntnissen und einer besonderen Art von Naivität. Beide haben in ihrem frühesten Stadium noch keinen Namen, erhalten ihn dann von verwandten Einsiedlern im Wald. Beide Kinder begegnen der Welt zuerst in Form von Rittern oder Reitern. Beide beginnen ihr Leben in der Welt im Narrenkostüm, das teilweise oder ganz aus einer Kalbshaut geschneidert ist. Beide machen Lehrzeiten bei Einsiedlern im Wald, die ihre nahen Verwandten sind, durch. Beide durchziehen jahrelang die Welt auf Abenteuer. Beide verharren längere Zeit in trotziger Gottferne. Die Entsprechungen genügen, um dem Leser, der es kennt, das Parzivalepos vor Augen zu führen. Die Verschiedenheiten sind ebenso auffallend. Simplicissimus hat keine Geliebte, die auf ihn wartet, bis er sie heimführen kann. Seine Frau stirbt, bevor er zurückfindet. Der Kampf, in den er verstrickt ist, ist unedel. Ihn erwartet keine Gemeinschaft der Heiligen; er bleibt in seiner Beziehung zu Gott allein, wenn auch auf seiner Insel ebenso wunderbar erhalten, wie die Gralsgemeinschaft durch den heiligen Gral. In der Welt des Simplicissimus sind Liebe, Ehe und Gemeinschaft durch den Krieg unmöglich gemacht, obwohl seine Eltern noch einer Generation angehörten, die die Liebe kannte. Durch die Heranziehung des Parzival wird der Gottsucher des Mittelalters gegen den des siebzehnten Jahrhunderts abgesetzt.

Mit dem bekanntesten deutschen Dichter des unmittelbar vorhergegangenen sechzehnten Jahrhunderts, Hans Sachs, den er ausdrücklich erwähnt, setzt sich Grimmelshausen ausführlicher auseinander. Da ist zunächst die auf einer seiner Erzählungen fußende allegorische Gestalt des Baldanders, die Sachs selbst aus einem spätmittelalterlichen Gedicht übernahm. Bei ihm gehört die Gestalt in die Gefolgschaft des wankelmütigen Glücks. Den ständigen Veränderungen, die sie hervorruft, liegt keinerlei Notwendigkeit zugrunde und die Tendenz ist durchweg negativ (obwohl ein Anfügsel am Ende des Spruchgedichtes andeutet, dass Baldanders angeblich “dergleichen auch herwiederum” bewirken kann):

Den Fried veränder ich in Streit,
Fruchtbare Jahr in teure Zeit,
Stoß die Gewalting von Leut und Land,
Die Ehrlichen in Spott und Schand,
Die Glückhaftigen in Unglück,
Die Sanftmütigen in Zorens Tück,
Die Großmütigen in Verzagung,
Die Mild-Gabreichen in Versagung, …

So verabschiedet Hans Sachs Baldanderst als einen „wüsten Gast” und lässt sich von ihm auf den frommen Gedanken bringen:

Also sind all ding unbständig.
Derhalben du Mensch dich darein schick
Von diesem Irdischen, Gebrechlichen,
Zu dem Himmlischen, Unaussprechlichen,
Ohnwandelbar alls Ungemachs!
Das wünschet von Nürnberg Hans Sachs.
31. Juli, 1534.                                         (195) [49]

Man würde meinen, dass es Grimmelshausen nicht schwer fallen dürfte, diesen Gedanken, die die ganze barocke Dichtung so sehr beherrschten, beizupflichten. Aber wieder kommt die parodistische Umkehr. Der Baldanders, dem Simplicissimus begegnet, ist kein Verwandter der Fortuna. Er ist nichts anderes, als der Prozess natürlicher Verwandlung und sagt infolgedessen von sich selbst mit recht, dass auch er im Paradies erschaffen wurde.

Als er diß geschriben/ wurde er zu einem grossen Aichbaum/ bald darauff zu einer Sau/ geschwind zu einer Bratwurst/ und unversehens zu einem grossen Baurendreck (mit Gunst) er machte sich zu einem schönen Kleewasen/ und ehe ich mich versahe/ zu einem Kühefladen; item zu einer schönen Blum oder Zweig/ zu einem Maulbeerbaum/ und darauff in einem schönen seidenen Teppich etc. biß er sich end-[C3 b]lich wider in menschliche Gestalten verändert/ und dieselbe öffter verwechselt/ als solche gedachter Hanß Sachs von ihm beschriben; ST ([41] 507)

Wenn Simplicius in ihm den Teufel vermutet, so ist dies reiner Aberglauben. Sein Baldanders fliegt als Vogel davon, nachdem er ihn die hohle Kunst mit toten Dingen zu reden gelehrt hat, „als mit Stühlen und Bäncken/ Kesseln und Häffen” ST ([40]506), wie er sie einst Hans Sachs lehrte.

Simplicius lässt sich daraufhin die Geschichte vom Schermesser (dem Toilettenpapier) erzählen, dieses schon lange toten Gegenstandes, das nun weiter den Weg aller irdischen Verwandlung zurück zur Erde gehen soll und sich mit lächerlichem Dünkel dagegen auflehnt.

ach warumb hat mich nit gleich in meiner Jugend ein Funck oder Goll auffgefressen/ und alsobald Dreck auß mir gemacht/ so hette ich doch meiner Mutter der Erden gleich widerumb dienen: und durch meine angeborne Feistigkeit ihro ein liebliches Waldblümlein oder Kräutlein herfür bringen helffen können/ ehe daß ich einem solchen Landfahrer den Hindern hett wischen: und meinen endlichen Undergang im Scheißhauß nehmen müssen; ST ([47] 513)

Nur wenn man das Tote befragt, wird man zu der banalen Weltanschauung verführt, die in Dreck, Staub und Asche das Ziel aller Dinge sieht. In der Geheimschrift, die er ihm hinterlässt, macht sich Baldanders über Simplicissimus lustig. Entschlüsselt bedeutet sie: „Magst dir selbst ein Bild enwie es einem jeden Ding ergangen, danach einen Discurs daraus formirn; und davon glauben was der Wahrheit ähnlich ist, so hastu was dein närrischer Vorwitz begehret.” Das was das Schermesser berichtet ist der Wahrheit nur ähnlich und wenn auch die angeblichen Zauberworte dem, der sie nicht versteht und sich infolgedessen nicht von ihnen warnen lässt, eine teuflische Versuchung bedeuten können: „villeicht ist dieser Baldanders der Sathan gewest/ der dich hierdurch verführen will” ST ([42] 508), so lässt sich doch Simplicius nicht erschüttern. Der Fluch, mit dem das Schermesser dahinfährt, klingt wie ein Witz:

gleich wie du jetzunder mit mir procedirest/ also wird auch der Todt mit dir verfahren/ wenn er dich nemblich wider zur Erden machen wird/ davon du genommen worden bist; und darvor wird dich nichts fristen mögen/ wie du mich für dißmahl hettest erhalten können. ST ([55-56]521-522)

So erweist sich die Vergänglichkeitsklage, die in dem langen „Ade Welt” Zitat aus Guevara enthalten ist und derzufolge sich Simplicius als Einsiedler in den Schwarzwald zurückzieht, als eine Banalität, die der Autor selbst, der alte Simplicissimus, nicht gelten lässt. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass sie zu einem falschen und unfrommen Einsiedlertum führt.

Die aus allen natürlichen Bereichen grotesk zusammengeflickte Frau Welt des Spätmittelalters, die als Verhöhnung aller göttlicher Kreaturen auftritt, verwandelt sich in Grimmelshausens Titelbild, das er vermutlich selbst zeichnete, zu einem Wesen, das trotz aller Scheckigkeit einheitlich wirkt. [50] Grimmelshausens Frau Welt ist, wie Scholte aufgewiesen hat, im Grunde ein Satyr, eine Zwittergestalt zwischen Mensch und Naturwesen, die als weiser naturkundiger Eremit im Walde lebt. [51] Der Dichter spielt auf seine eigene Schrift Der Satyrische Pilgram an. Dieser Pilgram seinerseits bezieht sich wieder auf ein Hans Sachs Gedicht: „Von dem Waltprüder mit dem Satirus”. [52] Im Gegensatz zum Waldbruder des Sachs kommt es dem Grimmelshausenschen Satyrus durchaus nicht anstößig vor, wenn man seinen Atem einmal zum Wärmen der Hände, dann zum Kühlen der Suppe braucht.

Kundt und zu wissen seye hiemit der ganzen Welt/ daß sich ein neuer – Scribent freventlich herfürthut/ und sich unterstehet/ durch sein elende Feder zugleich Schwartz und Weiß/ Kalt und Warm/ Tag und Nacht/ und dergleichen widerwärtige Dinge mehr/ uff einmahl zuschreiben; [53]

Das Leben verlangt Wendigkeit vom Menschen, nicht jene allzu simple teutsche Redlichkeit, die Hans Sachs verkörpert.

In diesem Sinne deutet auch Grimmelshausen in dem schon zitierten Vers sein eigenes Titelbild: der Mensch sollte sich in allen Elementen der Welt, als da sind Feuer, Wasser, Luft und Erde, zurechtfinden. Der Satyr trägt Buch und Degen. Er tritt auf die Masken, er durchschaut die Verkleidungen und den Schein, er weiß um das Böse „was oft mich betrübet und selten ergetzt”. Aus diesem Wissen und diesem Abstand entsteht das Buch der Welt, das den Mitmenschen dienen soll, dass sie sich „entfernen der Torheit und leben in Ruhe”. ST (2) Durch die Auseinandersetzung mit Hans Sachs setzt sich Grimmelshausen von dessen Zeit ab, einer Zeit, die sich von der Unbeständigkeit der Welt verwirren ließ. Er gehört einer Generation an, die die Unbeständigkeit so durchweg erlebt hat, dass sie dadurch nicht mehr geängstigt wird. Die böse Frau Welt, die bei Sachs und Guevara eins war mit dem Fürsten dieser Welt, dem Satan, trägt bei ihm das heilbringende Buch der Welt.


Der Teufel und die Religion im Siebzehnten Jahrhundert

Mit den oben beschriebenen Parodien hat Grimmelshausen seine Epoche und sein Land gegen andere abgegrenzt. Nun ist es Zeit die Lösungen, die seine eigenen Zeitgenossen vorschlagen, zu untersuchen. Wieder bedient er sich der Parodie als Mittel. Für Moscherosch, den Autor der Gesichte Philanders von Sittewald, ist eine strenge, national-christlich orientierte Moral das Allheilmittel. [54] Eine Reihe von Szenen im Simplicissimus spielen auf Moscherosch, den Grimmelshausen vielleicht sogar persönlich kennenlernte, an. Auch Moscheroschs Philander beginnt damit, dass ein einfältiger, im reinen Christentum erzogener Knabe beim Eintritt in die Welt sieht, dass dort alles verkehrt zu sein scheint:

Nach dem von meinen Aelteren ich zeits der ersten Jugend in dem Christenthumb einfältig als ein Kind underwiesen, […] befande ich endlichen und im auskehren, daß alles dasjenige, so ich daselbsten in den Büchern von der Welt und ihrem Wesen gelesen, auch under und bey den Mänschen auß ihrem Thun und Leben, Handel und Wandel absehen und vermercken können, mir dergestalt vorkame, daß ich, ein einfältiger, mich darein nicht wohl richten konte. [55]

Er macht sich auf den Weg, um ein Land zu finden, wo die Dinge besser stehen. Das erste Erlebnis auf dem Wege ist die Heilung eines Besessenen, ganz ähnlich der Heilung, deren Zeuge Simplicius in Einsiedeln wird. [56] Auch Moscheroschs Teufel verdreht die Wahrheit, hier indem er behauptet, nicht die Menschen seien von Teufeln besessen, sondern die Teufel von Menschen und deshalb an ihrer Statt zu bemitleiden. Diese Aussage, so falsch sie auch sein mag, gibt dennoch Anlass, über den Grad menschlicher Verworfenheit nachzudenken. Grimmelshausens Teufel ist dagegen unberechenbarer in seiner Vermischung von Lüge und Wahrheit und insofern teuflischer, als er Verwirrung stiften will.[57]

Des Teufels harmonisierender Bericht von der höllischen Unterwelt spiegelt sich bei Grimmelshausen in dem beschönigenden Bericht über die Zustände der Welt, den Simplicius in der wässerigen Unterwelt dem Mummelseekönig gibt. Das Thema des missbrauchten Teufels, auf den die Menschen alle Schuld abwälzen, das bei Moscherosch angeschnitten wird, erweitert Grimmelshausen zu der viel allgemeineren Frage: wo ist der Teufel eigentlich in der Welt zu finden? Ist er bei denen, die gedankenlos in des Teufels Namen fluchen? Der junge Simplicissimus teilt oft fast wörtlich Philanders Entsetzen hierüber. Ist er bei den verkleideten Teufeln und all denen, die die Menschen foltern und an den Rand des Wahnsinns treiben? Simplicius reift durch sein Teufelserlebnis zum Hofnarren heran. Ist er bei denen, die für Teufel gehalten werden, wie Simplicius im Wald, und anschließend aus Versehen zum Hexensabbat auf den Blocksberg fliegen? Ist er in der Höhe zu suchen statt in der Unterwelt?

Eine wichtige Quelle für Grimmelshausens Beschreibung des Hexensabbats ist Remigius, den er namentlich erwähnt.[58] Die Geschichte von dem Mann/Sohn einer Hexe, der sich mit auf den Hexensabbat nehmen lässt, unbedachterweise den Namen Gottes nennt, damit den ganzen Spektakel verschwinden lässt, und schließlich weit von zu Hause wieder zu Bewusstsein kommt, für die Grimmelshausen als Quelle Ghirlandus (Grillandus) angibt, und die ihm das Gerüst für seine Episode bietet, ist auch bei Remigius zu finden. [59] Was für unseren Zusammenhang wichtig ist, ist dass in keinem der von Grimmelshausen nacherzählten Zusammenhänge vom Teufel die Rede ist, sondern nur von Hexen und Zauberern, während die ursprünglichen Geschichten den Teufel als Mittelpunkt darstellten. Der junge Simplicius kann nicht erkennen, um welchen Mittelpunkt sich der kreisende Tanz auf dem Blocksberg bewegt. Wohl stehen am Rande Teufel, die durch die Nase trompeten, aber die Spielleute mit ihren ekelhaften Instrumenten, darunter auch der, der Simplicius vor die Brust stößt, werden „Kerle” genannt. Es ist jedenfalls kein Fest, das ausdrücklich vom Teufel beherrscht wird; die trompetenden Teufel scheinen noch die harmlosesten Gäste. [60]

Bei Grimmelshausens Beschreibung der grotesken tierischen Instrumente wird man unwillkürlich an die Gemälde von Bosch, Breugel und Grünewald erinnert, besonders die zu dem Thema „Die Versuchung des Heiligen Antonius”, das alle drei Maler bearbeiteten. Es ist durchaus möglich, dass Grimmelshausen den Isenheimer Altar von Grünewald, in dem nicht sehr entfernten Antoniterkloster, kannte. Hier wird der Heilige dreimal dargestellt: als abgeklärter, freundlich dreinschauender Mensch, als Jünger, der zu Paulus in die Wüste kommt, und als von Unholden Versuchter. Die Versucher und Peiniger sind grotesk zusammengestückelte Tiere. Die eigentlichen Teufel halten sich im Hintergrund, wo sie zum Teil mit Engeln kämpfen. Ein der Gattung der Hühner verwandtes Tier trägt einen Knüppel, mit dem es offensichtlich dem Einsiedler vor die Brust schlagen will. Man wird an die Zeilen des Simplicius erinnert: „ […] der mit der Krott aber/ den ich steiff ansahe/ zog seine Nasen auß und ein/ wie ein Calecutscher Han/und stieß mich endlich auff die Brust/ daß ich bald darvon erstickte.“ ST (145)

Trotz des nachfolgenden, vermutlich ironisch zu verstehenden Kapitels – Grimmelshausen gibt zu, dass er seinen Helden ja irgendwie von Fulda nach Magdeburg verfrachten muss, wobei zeitlich ein gutes Jahr verloren geht – deutet Grimmelshausen (wie übrigens auch Remigius) die Möglichkeit an, dass es sich nur um einen Traum gehandelt habe. „[I]n solchem Schrecken verstummte ich gar/ und bildete mir ein/ ich lege in einem so schweren Traum”. ST (145) Da die Gestalt des Antonius im Roman Bedeutung hat, wird möglicherweise auf die Versuchungen des Heiligen angespielt, nur dass die Versuchungen bei Grimmelshausen gezielt auf solche, denen Simplicius ausgesetzt ist, hindeuten. Von den teuflischen Instrumenten wird ihm, dem Lautenspieler, die Laute, die aus einer Kröte und deren Gedärmen gebastelt ist, angeboten. Der Hexentanz erinnert ihn an den Tanz der Grazien, die auch „mit zusamm gekehrten Rucken” ST (145) (also nicht ihren Mittanzenden zugewandt) tanzen. [61] Vielleicht wird hier auf die Versuchung, die die Pariser Oper mit ihrem Ballett bringen wird, hingewiesen. Auch die aus tierischen Körperteilen zusammengestückelte Figur, wie sie Grünewald malt, findet sich, wie wir sahen, im Roman. Aber die Gestalt des Titelbildes ist bei Grimmelshausen nicht teuflisch. Es scheint fast, als wäre auch Grünewalds Bild in den parodistischen Zusammenhang des Romanes aufgenommen, und zwar um die Unfassbarkeit des Teuflischen zu betonen.

Noch andere Anklänge an Ereignisse im Roman finden sich. Man bekommt den Eindruck, dass der Hexentanz, sogar bis zur chaotischen Auflösung, geordneter und züchtiger ist, als der von Unzucht, Trunkenheit und Völlerei verunreinigte Tanz in Hanau. Die Huldigung Luzifers auf dem Blocksberg, die im allgemeinen darin bestand, dass dem Fürsten der Welt der Hintern geküsst wurde, bleibt unerwähnt. [62] Stattdessen müssen in der Szene vor Gelnhausen Soldaten den Bauern und dann Bauern den Soldaten den Hintern lecken, bevor weitere Torturen vorgenommen werden. Das Teufelsmahl, bei dem es Fleisch vom Schindanger gab, und das meist karg ausfiel, bleibt auch unerwähnt; stattdessen werden die Gastmahle in Hanau umso genauer geschildert und können, trotz ihrer guten Speisen, infolge der widerlichen Auswirkungen der Völlerei im Leser nur Ekel erwecken. Die grausam-unappetitlichen Instrumente der Teufelsmusik können sich kaum mit den Verstümmelungen, die die Soldaten an ihren Mitmenschen vornehmen, messen. Für Grimmelshausens Zeitgenossen, die gewiss alle die Sagen um den Blocksberg wenigstens aus mündlicher Überlieferung kannten, wird die Frage, ob der Teufel wirklich aktiver auf dem Blocksberg als in der Ebene sei, nahegelegen haben.Hühner  

Als Verwirrung Stiftender aber auch Wahrheit Offenbarender wird, wie schon erwähnt, der Teufel in Einsiedeln geschildert. In der allegorischen Erzählung von Julus und Avarus bedient er sich dann der bösen Eigenschaften Geiz und Verschwendung, um sein Reich zu erweitern. Man hat zwar kaum den Eindruck, dass die Verschwendungssucht des Gubernators von Hanau, der Freund und Schwager des alten Einsiedlers war, ganz und gar böse ist. Es drückt sich in ihr auch Großzügigkeit und Lebenslust aus. Eher noch findet man den Teufel bei den von Geistern bewachten Schätzen, wo es sich meistens um Geiz gehandelt hatte. Aber das Geld als solches, sobald es wieder im Umlauf ist, scheint nicht böse zu sein. Den geraubten Schätzen Oliviers haftet kein Fluch an. Am offensichtlichsten begegnet der Teufel in der Frau, die auf die Insel kommt. Aber auch das heißt nicht, dass alle Frauen schlecht sind. Die erste Frau des Simplicius war es nicht. Die Frau, die auf die Insel kommt, ist eine schwarze Abessinierin und schwarze Menschen werden, wie der Speckdiebstahl beweist, für Teufel gehalten. Aber der Moor, den Simplicius damals in einem Trog fand, war ein braver, in die Fremde verschlagener Mensch. Die, die sich am meisten vor Teufeln fürchten, sind der Bösewicht Olivier, von dem man annimmt, dass er den Teufel zum Bruder habe, und der Pfarrer vom Speckdiebstahl, der sich zutraute, den Teufel zu bannen. [63]

Um auf Moscherosch zurückzukommen. Wenn das Böse in der Welt so schwer zu fassen und erkennen ist, hat auch die Moralpredigt eines Moscherosch nur einen begrenzten Wert. Der junge Philander kennt das Leben nur aus Träumen, er erfährt es nicht, und deshalb kommt kein Buch der Welt, das den Menschen wirklich helfen kann, zustande. Er betritt im Venus-Narren Kapitel, das wie bei Grimmelshausen im verruchten Paris stattfindet, das innerste Gemach der lüsternen Liebe, aber er verlässt es schnell, ohne sie zu erleben. Simplicius erlebt sie.

Auch Moscheroschs übertriebener Nationalismus kann bedenklich stimmen. Simplicius gleicht in seinem Kalbsfell den fellbekleideten Germanen des A la Mode Kehraus, diesen Germanen, die in Erwartung eines teutschen Helden, eines wiedererstandenen Barbarossas, stehen. Nur rein Germanisches lassen sie gelten. Dabei vergisst Moscherosch offensichtlich, dass Armimius bei den Römern erzogen wurde. Grimmelshausen macht darauf aufmerksam:

ICh spatzierte einsmahls im Wald herumber meinen eitelen Gedancken Gehör zugeben/ da fande ich ein steinerne Bildnuß ligen in Lebens Grösse/ die hatte das Ansehen als wann sie irgends eine Statua eines alten teutschen Helden gewesen wär/ dann sie hatte ein Altfränckische Tracht von Romanischer Soldaten Kleydung … ST ([39] 505)

Die Statue gibt sich dann als Baldanders zu erkennen. Auch Moscheroschs Philander hatte sich den alten Germanen als einen Baldanders vorgestellt:

1. Mein Name, Philander  2. Bin ein geborner Teutscher von Sittewaldt   3. Weiß zwar selbst schier nicht, was ich sonst bin: Ich bin, was man will; hab mich in diesen Ellenden Zeiten müssen in allerley Leut köpfe schicken und wie Hans Wursts Hut auff allerley weise winden, trähen, drücken, ziehen, zerren und bögeln lassen; viel leiden, viel sehen, viel hören, und mich doch nicht annehmen müssen; Lachen, da es mir nicht umbs Herz war; Gute wort geben denen, die mir böses thaten; mich müssen gebrauchen lassen wie das kalte Gebratens; bald für ein Ambtmann, und nach dem ich von den Wüterichen etlichmahl außgeplündert, geängstigt, geschätzt, tribulirt, verjagt und vertrieben worden, für ein Hoffmeister, Rentmeister, Vorsprech, Advocaten; bald für ein Jäger, Vorschneider, Stallmeister; bald widerumb für ein Ambtmann, für ein Baumeister, für einen Schultzen, Bittul, Bauernartzt, für einen Roß= und Kühehirten, für einen Schützen, Soldaten, für einen Bauren. Und in meinem Ampt offt die Arbeit thun müssen, deren vor diesem ein Schultz, Bittul, Roß- oder Kühehirt, Schütz, Soldat unnd Bauer sich geschämet hätte. [64]

Wenn Grimmelshausen hier nicht einen modernen Germanen sondern einen alten Germanen Baldanders sein lässt, gibt er damit zu verstehen, dass es nie eine Welt ohne Wandel gegeben hat, ebensowenig wie die berühmten alten Germanen sich von römischem Einfluss frei halten konnten oder wollten. Deutschland war und ist, wie es in der Gestalt des Jupiter Teutsch zum Ausdruck kommt, ein Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, ein europäisches Reich. Sowohl Grimmelshausen wie sein Held bekehren sich schließlich zum katholischen (d.h. allgemeinen) römischen Glauben, obwohl man Simplicius auch danach nie in einer Messe sieht.

Nicht nur die christliche Moral, die für Moscherosch und die Satiriker vor ihm noch etwas Selbstverständliches war, auch die christlichen Kirchen mit ihren verschiedenen Bekenntnissen, um die es im Dreißigjährigen Krieg zunächst ging, sind in ihrem Wert und ihrer Abgrenzung gegeneinander nicht mehr klar zu unterscheiden. Nach der Schlacht von Höchst, die 1622 eine vernichtende Niederlage der protestantischen Armee brachte und das Ende der ersten, religiös begeisterten Etappe des Dreißigjährigen Krieges bedeutete, zieht sich der Vater des Simplicissimus als Einsiedler in den Wald zurück. Religion wird nicht durch Krieg gefördert. Der alte Einsiedler ist offensichtlich Protestant, obwohl der Gelnhauser Pfarrer ihn papistischer Neigungen verdächtigt.

Der lügnerische Teufel in Einsiedeln, dem niemand glaubt, obwohl er ein gut Teil Wahrheit spricht, behauptet seinerseits, dass die Eltern des Simplicius mehr wiedertäuferisch denn calvinistisch gewesen seien. Wiedertäuferisch war zu der Zeit der Rückzug des Christen aus dem aktiven und politischen Leben, der auf der Erkenntnis beruhte, dass eine Gesellschaft immer nur zum geringsten Teil aus wirklichen Christen bestehen könne. Der Protestantismus, der mit so siegesfrohen Liedern ausgezogen war, war bei den Wiedertäufern zu einer stillen, trostsuchenden Religion der Nacht geworden. Auch im Simplicissimus sind die Morgenlieder Nicolais und Stegmanns dem Nachtlied des Einsiedlers, das auch in der Nacht gesungen wird, gewichen. Grimmelshausen selbst macht auf die Beziehung aufmerksam, wenn er Simplicius sagen lässt: “und wann ich den Morgenstern jemals gehört/ oder dessen Melodey auff meiner Sackpfeiffen aufzumachen vermöcht/ so wäre ich auß der Hütten gewischt/ meine Karten mit einzuwerffen …” ST ( 24) Günther Weydt wies darauf hin, dass das Gegenstück zu Grimmelshausens Lied weniger in dem in mystische Liebessprache gekleideten Gesang Nicolais, als in dem naturnahen Lied Stegmanns zu suchen sei. Hier lautet die erste Strophe:

Wie schön leuchtet der Morgenstern
Vom Firmament des Himmels fern,
Die Nacht hat sich verloren.
All Kreaturen freuen sich,
Dass wieder kommt des Lebens Liecht,
Der Tag wird neu geboren,
Die klein Vöglein
Quintelieren, solmesieren,
Ehrn und loben
Ihren Schöpfer hoch dort oben. [65]

Aber noch ein anderes Gedicht klingt an und es ist unwahrscheinlich, dass Grimmelshausen als Kenner von Hans Sachs es nicht gelesen hatte. Es ist sein Lobgedicht auf Luther, “Die Wittembergsche Nachtigall”:

Wacht auf! Es nahet gen dem Tag.
Ich hör singen im grünen Hag
Ein wunigliche Nachtigall.
Ir Stimm durchklinget Berg und Tal.
Die Nacht neigt sich gen Occident,
Der Tag geht auf von Orient.
Die rotbrünstige Morgenröt
Her durch die trüben Wolken geht,
Daraus die liechte Sonn tut blicken.

Hier ist die Nachtigall, die der Tradition, wenn auch nicht unbedingt der Realität, nach der Nacht angehört, in den anbrechenden Morgen versetzt worden. Hans Sachs fährt fort:
           
Nun daß ir klärer möcht verstan,
Wer die lieblich Nachtigall sei,
Die uns den hellen Tag ausschrei:
Ist Doctor Martinus Luther, …  [66]

Wenn also Grimmelshausen die Morgenlieder in Nachtlieder umkehrt und die Nachtigall der Nacht zurückgibt, geschieht es wohl aus ähnlicher Gesinnung wie etwa Schwenckfelds enttäuschte Abkehr von Luther, um in abwartender Stille eine Lösung der protestantischen Konflikte herbeizuhoffen.

Das katholische Gegenstück des protestantischen Kirchenliedes kommt am Ende des fünften Buches, mit dem von Grimmelshausen nur ganz wenig überarbeiteten langen Zitat aus Guevara in der recht freien Übertragung von Albertinus: „ADjeu Welt/ dann auff dich ist nicht zu trauen/ noch von dir nichts zu hoffen …” ST (457) [67] Diese Prosa ist ganz von der mittelalterlichen Idee der Hure Frau Welt, die jedermann verführt, beherrscht. Sie treibt den nunmehr zum Katholizismus bekehrten Simplicissimus erneut zum Einsiedlertum. Aber wie diese Prosa ganz aus rhetorisch-aesthetischem Geiste entsprungen ist, so ist auch das schwarzwälder Eremitentum des Simplicius von Müßiggang und Träumerei unterhöhlt. Simplicissimus sieht es selbst ein und macht sich erneut auf den Weg. Grimmelshausen hat zwar das Mönchtum nirgendwo besprochen, aber Aspekte des Mönchtums, nämlich die unvollkommene Abgeschiedenheit von der Welt, welche sich immer noch durch Verehrung und Unterstützung des heiligen Mannes, der so zu Faulheit, Überheblichkeit und Selbstzufriedenheit verleitet wird, bemerkbar macht, werden hier angedeutet. Rückblickend ist es kein Zufall, dass Grimmelshausen das „Adieu Welt” als direktes, von „Quevarae“ stammendes Zitat einfügt. ST (457) Auf diese Weise distanziert er sich von den ausgesprochenen Gedanken. Sie sind, wie so vieles, was im Buch herangezogen wird, nur halb richtig.

Ein drittes Mal zieht sich Simplicius als Eremit zurück und auch hierzu gibt es eine Dichtung. Es ist ein Verspaar im Stil der Aphorismen von Czepko und Silesius, das auf dem grundlegenden Paradox der Mystik, dem lichten Dunkel, beruht. [68]

Ach allerhöchstes Gut! du wohnest so im Finstern Liecht!
Daß man vor Klarheit groß/ den grossen Glantz kann sehen nicht. ST ([107] 573)

Scholte meint bewiesen zu haben, dass Grimmelshausen hier Zeilen eines Gedichtes von Vittoria Colonna, die er in Garzonis Der allgemeine Schauplatz fand, umgedichtet hat. Sie lauten auf Deutsch:

Herr der du droben wohnst, in unerforschlichem Liecht,
Unnd finsternuß so dick, daß man dich kennet nicht. [69]

Wenn tatsächlich das Colonna Epigramm hier zugrunde liegt, so hat Grimmelshausen auch diese Zeilen völlig umgestaltet. Im italienischen Gedicht heißt es eindeutig, dass man Gott nicht erkennen kann. Bei Grimmelshausen ist die Klarheit übergroß, so dass man nicht mehr auf den Glanz achtet.

Doch auch Gedichte der Schlesier, etwa das Weihnachtssonett Gryphs, werden für den gebildeten Leser hier angeklungen sein:

Nacht, mehr denn lichte Nacht! Nacht, lichter als der Tag!
Nacht, heller als die Sonn! In der das Licht geboren,
Das Gott, der Licht in Licht wohnhaftig, ihm erkoren!
O Nacht, die alle Nächt und Tage trotzen mag! [70]

Die Metaphern des natürlichen wie des übernatürlichen Lichts sind auch bei Paracelsus zu finden:

Dann die Natur gibt ein Liecht/ dordurch sie mag erkannt werden/ aus jrem eignen Schein: Aber im Menschen ist auch ein Liecht/ dordurch der Mensch vbernatürlich dinge erfart/ lehrnt/ vnd ergründt. [71]

Offensichtlich ist mit dem Sinn- und Schlussreim des Simplicius die ganze Richtung barocker Mystik charakterisiert. Der Siechentröster des holländischen Schiffes „welcher ein überaus gelehrter Mann war” sagt dazu: „So weit kombt ein Mensch auff dieser Welt und nicht höher/ es wolle ihm dann Gott das Höchste Gut auß Gnaden mehr offenbaren.” ST ([107] 573) In dieser, im Grunde genommen überkonfessionellen, begnadeten Mystik sieht Grimmelshausen, wieder im Sinne seiner Zeit, die höchste religöse Möglichkeit. [72] Es ist die barocke Entsprechung der Gralsmystik im Parzival, denn auch sie steht jenseits der kirchlichen Religiosität.

Mystik und Gesang sind jedoch jeweils nur Augenblicke, wenn auch Höhepunkte, in der Einsiedlerexistenz. Das Einsiedlertum ist daneben in den Fällen, wo es erfolgreich ist, also bei Gelnhausen und auf der Insel, ein gottgefälliges Leben ganz in der Natur und aus der Natur. Nur ist im ersten Falle die Natur karg und winterlich und ihr angemessen der Einsiedler ein Asket, im zweiten Falle die Natur reich und sommerlich, ein Garten Edens. Hier endlich haben wir das Paradies, nach dem der Roman zaghaft und ironisch immer wieder gesucht hatte, verwirklicht. Die Holländer berichten: “Da fanden wir mehr ein Irrdisch Paradeiß als einen öden unbekanndten Orth!” ST ([106] 572) und: “halte ich dise Insul vor den allergesündesten Ort in der Welt.” ST ([121] 587)

Ein Paradies wird es jedoch erst nachdem Eva und der Teufel, verbunden in der Gestalt der Abessinierin, wie auch der trunksüchtige Tischler und sein Geist, die Insel verlassen haben und Simplicius dort wirklich wie der erste Mensch leben kann.[73] Wieder haben wir in der Genesis-Parodie die verkehrte Welt: was dort Beginn ist, ist hier Ende, was dort Gottesakt ist, nämlich die Erschaffung der Frau, ist hier Teufelswerk. Da es aber ein Zurückgehen in der Zeit und eine Korrektur des göttlichen Schöpfungsaktes im Ernst nicht als Lösung geben kann, liegt eine gewisse Notwendigkeit darin, wenn Simplicius in einer weiteren Continuatio in die Menschenwelt zurückgeraubt wird und sich dort von neuem behaupten muss.

Hierzu passt, dass das Werk, welches Grimmelshausen zu diesem Schluss anregte, und dessen Lösung auch dem Tischler und der Abessinierin vorgeschwebt hatte, ebenfalls eine Parodie des biblischen Paradieses ist. Auf Henry Nevilles Isle of Pines werden jedoch ein Mann und gleich vier Frauen verschlagen. Im gesunden Inselklima vermehren sie sich, so dass im 59. Jahre ihres Aufenthaltes ein Volk von eintausendsiebenhundertundneunundachtzig aus der Zeugungskraft eines Mannes entstanden ist.[74] Hier wird der biblische Anfang in ein besinnungsloses „seid fruchtbar und mehret euch” umgedeutet; der Name des Stammvaters ist nur ein Anagram für sein Geschlecht. Lars Kaminski hat herausgehoben, dass Nevilles Text auf ein Zurück-zur-Natur im positiven Sinne hinausläuft: „Die Wollust auf der Insel ist kein unmoralisches Fehlverhalten, sondern die von der Natur vorgesehene Lebensform, welche allein dem Zwecke dient, die natürliche Ordnung zu erhalten und zu mehren.“ [75] Dazu müssen die Schiffsbrüchigen sich aber der europäischen Ängste und Konventionen entledigen und das geschieht erst, als sie lernen ganz auf Kleidung und mit ihr auf sexuelle Hemmungen zu verzichten. In Grimmelshausens Darstellung dagegen bleibt bei Simplicius wie Meron die Scham und mit ihr die Notwendigkeit der Bekleidung, auch wenn es wie einstmals bei Adam und Eva hierfür nur Blätter gibt, erhalten und mit ihr das Bewusstsein der Sündigkeit des Menschen vor Gott. „Ein paradiesischer Naturzustand, in dem er seinen tierischen Gelüsten nachkommen kann, ohne sie Sünde nennen zu müssen, kann sich nach der Vertreibung aus dem Garten Eden eben nicht mehr einstellen. Dieser Gedanke ist es, den der Christ Grimmelshausen der Religionssatire Nevilles engegenhält.“ [76]


Der Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung im siebzehnten Jahrhundert

Wie die Religion, kann auch die alte Ordnung der ständischen Gesellschaft dem Menschen des Barock keinen Halt mehr geben. Sie hat sich aufgelöst, und wieder stellt Grimmelshausen den Verfall parodistisch dar. Dem gebildeten Zeitgenossen Grimmelshausens wird vermutlich aufgefallen sein, dass der erste Abschnitt des Romans, wie auch manche andere, ein fast wörtliches Zitat aus der großen Enzyklopädie der Zeit, Garzonis Allgemeinem Schauplatz ist. [77] Garzoni führt seine Leser durch alle gesellschaftlichen Stände. Grimmelshausen beginnt seinen Roman mit Garzonis Klage darüber, dass sich in heutigen Zeiten die Menschen nicht mehr in den ihnen zugewiesenen sozialen Schranken aufhalten wollen:

Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubt/ daß es die letzte seye) unter geringen Leuten eine Sucht/ in deren die Patienten/ wann sie daran kranck ligen/ und so viel zusammen geraspelt und erschachert haben/ daß sie neben ein paar Hellern im Beutel/ ein närrisches [7] Kleid auf die neue Mode/ mit tausenderley seidenen Banden/ antragen können/ oder sonst etwan durch Glücksfall mannhafft und bekant worden/ gleich Rittermässige Herren/ und Adeliche Personen von uhraltem Geschlecht/ seyn wollen; da sich doch offt befindet/  daß ihre Vor-Eltern Taglöhner […] ST ( 9)

Simplicissimus selbst mag sich mit „solchen närrischen Leuten […] nicht gleich stellen/ ob zwar…” und nun bekennt er, dass er sich oft eingebildet, „ich müsse ohnfehlbar auch von einem grossen Herrn/ oder wenigst einem gemeinen Edelmann/ meinen Uhrsprung haben”, weil er von Natur geneigt ist zu faulenzen, „das Junckern-Handwerck zu treiben”. ST (9) Da der alte Simplicissimus, der diesen Roman erzählt, weiß, dass er tatsächlich von Adel ist, wirkt dieser Anfang umso ironischer. Der Erzähler fährt fort und schildert den Bauernhof des Knans als Palast, und wieder mit Hilfe von Garzoni-Zitaten bemüht er den Topos vom Hirtendasein als einem anderen Paradies, während in Wirklichkeit überall die rauhe Armut durchscheint. Im Laufe des Romans erfahren wir, dass das Adelsprädikat das Leben des Simplicius auch nicht im geringsten ändern wird, ja dass das ganze ständische Wesen nicht weniger unwirklich ist, als die Darstellung des Schäferdaseins in der Literatur der Zeit. Wieder hat Grimmelshausen Zitate eingeflochten, um so von den zum Schein vertretenen Meinungen Abstand zu nehmen. Auch der Leser, der Garzoni nicht kennt, wird jene einleitende Verteidigung des Ständewesens  befremdend finden.

Deutlicher wird Grimmelshausens Auffassung dann in der Parodie des Ständebaums. [78] Auf dem Stich, den der Dichter wohl vor Augen hatte, sitzen die Stände ruhig und friedlich auf ihren verschiedenen Astetagen. Zwar halten sich auch hier die Bauern und Tagelöhner zwischen den Wurzeln auf, aber wir finden sie dann zu unserem Erstaunen Dudelsack pfeifend und schlafend auf dem Wipfel des Baumes wieder, erhaben über Papst und Kaiser, aller Logik, nach der der Mensch nicht gleichzeitig an zwei Orten sein kann, zum Trotze ein Zeichen, dass der Hirtenmythos auch im Ernst geglaubt wurde. In der Traumvision des jungen Simplicissimus wandelt sich das Bild. Die Bauern zwischen den Wurzeln werden von der Last des Baumes erdrückt. Aller Besitz wird ihnen entpresst. Auf dem Baum selbst herrscht große Unordnung: einige fallen herab, während andere versuchen, höher zu klettern an einem mit Seifen der Missgunst geschmierten Stamm. Die normale ständische Ordnung ist hier in eine soldatische Rangordnung verkehrt. Dann wachsen die verschiedenen Bäume zu einem einzigen, ganz Europa überschattenden Baum zusammen, auf dessen Wipfel der Kriegsgott Mars nunmehr sitzt. Der Baum wird von den Leidenschaften „gleichwie von scharfen Nordwinden angeweht”: Neid, Hass, Argwohn, Missgunst, Hoffahrt, Hochmut, Geiz. Auf seinem Stamm findet sich folgender Reim:

Die Stein-Eych durch den Wind getrieben und verletzet/
Ihr eigen Aest abbricht/ sich ins Verderben setzet:
                Durch innerliche Krieg/ und brüderlichen Streit/
                Wird alles umbgekehrt/ und folget lauter Leid.  ST (51)

Im Deutschland des Dreißigjährigen Krieges waltet das Chaos.

Utopien

Der Krieg hat den Zusammenbruch der alten Ordnung verursacht. Dies ruft die Frage nach neuen gesellschaftlichen Ordnungen hervor. Es ist das Zeitalter der Utopien. Drei Utopien wurden andeutungsweise im Zuge der großen parodistischen Entsprechungen abgewiesen.[79] Die heilige Gralsgemeinschaft (Parzival), das Glück des zufriedenen Ehemanns (Françion) und die aus der Zelle der Familie erwachsende, patriarchalische Staatsordnung, auf die Henry Neville in seinem Isle of Pines unter anderem verweist, sind nicht möglich in einer Welt, in der die Keuschheit der Frau nicht mehr gewährleistet werden kann.[80]

Zwei weitere Möglichkeiten werden vorgeschlagen und innerhalb des Romans selbst wieder parodiert. Die erste wird von dem Narren Jupiter vorgetragen, die zweite ist im Mummelseereich verkörpert. Diese beiden Erzählkomplexe sind andeutungsweise verbunden. In beide Bereiche ist der Bericht über der Welt Laster gedrungen. Jupiter sagt, „daß ein groß Geschrey über der Welt Laster zu mir durch die Wolcken gedrungen” ST (209), zeigt sich aber milde gesinnt: „obwol ich alles ärger finde/ als mirs vorkommen/ so bin ich doch nicht gesinnt/ alle Menschen zugleich und ohne Unterscheid außzureuten/ sondern nur die jenige zu straffen/ die zu straffen sind/ und hernach die übrige nach meinem Willen zu ziehen.” ST (210)  Der König des Mummelsees sagt: „es ist mir referirt worden/ daß sich die irdische Menschen/ und sonderlich ihr Christen deß
jüngsten Tags ehistes versehen/ weilen nicht allein alle Weissagung/ sonderlich was die Sybillen hinterlassen/ erfüllt/ sondern auch alles was auff Erden lebt/ den Lastern so schröcklich ergeben seye ”. ST (425) Jupiter gegenüber gibt sich Simplicissimus als Silvanus aus „von den Faunis und Nimphis geboren” ST (209) (hier wird auch auf das Titelblatt angespielt), während ja die echten „Silvani” den Mummelsee bevölkern und da ein ganz anderes Leben als der Jäger von Soest führen. Vor Jupiter brüstet sich Simplicissimus mit der Unschuld des Naturwesens, vor dem König der Naturwesen mit der Unschuld des Christen. Beides ist vorläufig Betrug.

Jupiter vertritt was man eine bürgerlich-nationale Utopie nennen könnte.[81] Er will einen teutschen Helden erwecken, der mittels seiner physischen und geistigen Gaben und mit Hilfe eines Wunderschwertes ohne Armee und Krieg die Welt besiegen wird. Nicht mehr die Fürsten, sondern die Städte sollen das sie umgebende Land regieren; zwei Delegierte aus jeder Stadt, die vom Helden erwählt werden, bilden zusammen ein Parlament, das das Land vereinigen soll. Die Leibeigenschaft wird abgeschafft und alle christlichen Könige empfangen vom deutschen Kaiser ihre Länder zu Lehen. Die Fürsten haben die Wahl, entweder im Land zu bleiben und als Privatmenschen zu leben, oder das Land zu verlassen und in der Ferne ihren Herrschaftsgelüsten zu frönen. Zuletzt soll noch der Türke unterworfen und bekehrt werden, und die Christen sollen dazu gezwungen werden, sich zu vereinigen. Der deutsche Held wird Herr über ein friedvoll vereinigtes Europa sein, ein heiliges Reich aus der deutschen Nation, wie es sich die Patrioten erträumten, nach modernem absolutistischen Muster. Und Jupiter schildert das Paradies, das auf diese Weise entstehen wird: „das Privatleben der Teutschen wird alsdann viel vergnügsamer und glückseeliger seyn/ als jetzund das Leben und der Stand eines Königs”. ST (213) Der Held wird:

eine Statt mitten in Teutschland bauen/ welche viel grösser seyn wird/ als Manoah in Amerika, [238] und goldreicher als Jerusalem zu Salomons Zeiten gewesen/ deren Wäll sich dem Tyrolischen Gebürg/ und ihre Wassergräben der Breite deß Meers zwischen Hispania und Afrika vergleichen soll/ er wird einen Tempel hineinbauen von lauter Diamanten,/Rubinen/ Smaragden und Saphiren; und in der Kunst-Kammer, die er auffrichten wird/ werden sich alle Raritäten in der gantzen Welt versambeln/ von den reichen Geschencken/ die ihm die Könige in China/ in Persia/ der Grosse Mogor in den Orientalischen Indien/ der Grosse Tartar Cham/ Priester Johann in Afrika, und der Grosse Czar in der Moscau schicken; ST (213-14)

Das letzte Glied der Aufzählung schafft die Verbindung zu der Parodie dieser Utopie, die auf Adam Olearius’ Reisebericht fußende Beschreibung des damaligen russischen Reiches. [82] Beim Leser wird hier die Kenntnis des Reisebuches vorausgesetzt. Dort werden zum Teil umständlich die kostbaren Gegenstände, die als Geschenke und Gegengeschenke zwischen den Fürsten gehandelt werden, beschrieben und aufgezählt. Der Zar lässt ihren Geldwert schätzen, bevor er sich zufrieden erklärt, ein Detail, das Olearius sachlich berichtet. Man bekommt immer wieder von dem Kleiderverleih des Zaren zu hören, der im Handumdrehen aus einfachen Bürgern große Fürsten macht, auch davon, dass die Landbevölkerung aufgefordert wird, sich Fremden in Sonntagstracht zu zeigen, um ihnen vorzuspiegeln, es seien hier alle Menschen gleich und reich. Der sanfte Druck, mit dem Fremde genötigt werden, die Landesreligion anzunehmen – ganz im Sinne Jupiters –, wird wiederholt geschildert. Kaufleute, gosti genannt, gehören mit zu dem imposanten Gefolge des Herrschers; das Bürgertum ist sozusagen in den Fürstenstand erhoben. Tartaren und Kosakenfürsten erhalten ihre Länder als freie Lehen vom Zaren (sind aber deshalb nicht immer höflich gegen ihren Herrn). Die milde Gewaltherrschaft Russlands ist wohl die nächste Entsprechung in der Wirklichkeit, die Jupiters Vision fände. Simplicissimus wird in diesem Lande zwar niemals schlecht oder unehrenvoll behandelt; aber er wird ausgenützt, für seine Dienste nicht belohnt und ist, trotz aller gegenteilgen Beteurungen, im Grunde ein Gefangener. Freiheit von dieser Fron erlangt er erst wieder, als ein kriegerischer Tartarentrupp ihn raubt. Das Reich Jupiters kann vermutlich auch nur ein potemkinsches Scheinreich sein. Als Simplicius Jupiter zum zweiten Male begegnet, hat auch dieser begriffen, dass es den Menschen gar nicht um sein Friedensreich zu tun ist. Viele leben im Krieg nicht anders als im Frieden, und während einige aus beruflichen Gründen den Frieden herbeisehnen, ziehen andere aus eben denselben Gründen den Krieg vor.

Die Mummelsee Episode geht auf des Traktat Liber de Nymphis, Sylphis, Pygmaeis et Salamandris des Paracelsus zurück. [83] Dieser Text wird heute für unecht gehalten und es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich Grimmelshausen zu Berichtigungen genötigt fühlte. Die Naturwesen des Paracelsus haben menschliche Schwächen: „Sie seind Witzig/ Reich/ Verstendig/ Arm/ Dorechtig/ wie wir auß Adam”. [84] Wie die Menschen leiden sie unter Krankheiten: „dass sie Pestilentz/ Febres, Pleureses, und all Kranckheiten des Himmels haben/ als wol als wir sie haben/”. [85] Bei Paracelsus heißt es: „Dann wiewol sie Vich sind/ so haben sie doch all Menschen Vernunfft/ allein die Seel nicht: sie haben drumb das urtheyl nicht/ Gott zudienen/ zuwandeln in seinem Weg/ dann sie hand der Seel nicht.” [86] Die Wasserleute Grimmelshausens, dagegen, kennen weder Sünde noch Krankheit und ihr Leben ist Dienst des Schöpfers in der Welt und in der Zeitlichkeit:

ich rede und verstehe hier nichts von der Ewigkeit/ weil wir deren zu geniessen nicht fähig seyn/ sondern allein von dieser Zeitlichkeit/ in welcher der Allergütigste Schöpffer uns genugsam beseeligt/ als mit einer guten gesunden Vernunfft/ mit Erkantnus deß Allerheiligsten Willens Gottes/ so viel uns vonnöthen/ mit gesunden Leibern/  mit langem Leben/ mit der edlen Freyheit/ mit genugsamer Wissenschafft/ Kunst und Verstand aller natürlichen Dinge/ und endlich/ so das allermeiste ist/ sind wir keiner Sünd/ und dannenhero auch keiner Straff/ noch dem Zorn Gottes/ ja nicht einmal der geringsten Kranckheit unterworffen:” ST  (417)

Mit Paracelsus stimmt Grimmelshausen überein, wenn er die Ordnung des natürlichen Staatswesens mit der eines Immenschwarmes vergleicht. Paracelsus schreibt: „Dann do ist Zucht unnd dergleichen/ wie bei den Menschen sein soll/ Orden und dergleichen/ jhr Oberkeyt/ wie die Jmmen/ die jhren König haben/ unnd die Schneegänß die jhren Vorflieger haben.“ [87] Bei Grimmelshausen erzählt das Prinzlein dem Simplicius: „sie hätten ihren König nicht/ daß er Justitiam administriren/ noch daß sie ihm dienen solten/ sondern daß er wie der König oder  Weissel in einem Immenstock/ ihre Geschäfte dirigire;” ST (418) Beide Schriftsteller behaupten, dass die Wasserleute mit der Landessprache der Menschen, bei denen sie sich etwa aufhalten mögen, sprechen können. Beide betonen, dass diese Unterwelt keine Teufelswelt ist. Paracelsus meint jedoch, dass die Wasserleute, ebenso wie die Menschen, von bösen Geistern besessen sein können. Bei Grimmelshausen finden wir nichts dergleichen. Seine Geister kennen die Sünde nicht, ihre Weiber empfinden, wie die Tiere, „in coitu keine Wollust” ST (418) So liegt bei ihm der Venusberg, den Paracelsus in die Sphäre der Naturgeister rückt, in der Menschenwelt. Bei Paracelsus brauchen die Naturgeister nur zu wünschen und das, was sie begehren, fliegt ihnen zu. „Unter allen Creaturen ist der Mensch der hertt gebundenst/ was er haben muss und will/ das muß er jm machen/ und kan mit Wünschen und Begeren nichts erlangen: Aber die Leut/ sie haben was not ist […] ohn Arbeit haben sies.” [88] (IX, 63) Die Geister Grimmelshausens dagegen arbeiten, aber die Arbeit ist ihnen keine Last. Sie sind frei und können zu nichts „unbeliebigem genötiget“ werden. ST (418) Bei Paracelsus können die Naturgeister sich mit Menschen vermählen und auf diese Weise eine unsterbliche Seele erlangen. Den Geistern Grimmelshausens ist dieser Ausweg versagt. Obwohl ihre Weltordnung beneidenswert besser als die der Menschen zu sein scheint, wissen die Naturgeister selbst, dass der Mensch ihnen übergeordnet ist. Simplicissimus sagt: „Wenn es mit euch so beschaffen/ so ist euer Geschlecht von unserm Schöpffer weit höher geadelt und beseeligt/ als das unserige.” Aber der Wasserfürst antwortet: „Ach Nein [...] ihr sündigt wenn ihr diß glaubt/ in dem ihr die Güte Gottes einer Sach beschuldiget/ die nicht so ist/ denn ihr seyt weit mehrers beseeligt als wir/ in dem ihr zu der seeligen Ewigkeit/ und das Angesicht GOttes unauffhörlich anzuschauen erschaffen.” ST (418) Die Abänderungen der Paracelsus-Schrift sind in sich nicht eigentlich parodistisch; sie bemühen sich, das Paracelsische Naturideal richtigzustellen und von den abergläubischen Ungereimtheiten eines früheren Jahrhunderts zu befreien.

Tief beeindruckt von dieser natürlichen Gesellschaftordnung sucht Simplicius nach vergleichbaren Beispielen in der wirklichen Welt. Er greift zu Büchern und findet dort denn auch die utopische Welt der ungarischen Wiedertäufer geschildert. [89] Dies ist eine Gesellschaftsordnung, in der gemeinsame, streng regulierte Arbeit zu gemeinsamem Reichtum führt, und in der Gefühle und Affekte, soweit nur irgend möglich, ausgeschaltet werden. Frauen und Männer verbringen den Tag getrennt voneinander und treffen sich nur nachts in der einfachen reinlichen Schlafkammer. Die Kinder werden von Anfang an von ihren Eltern getrennt. Die Kindbetterinnen werden von Witwen, als denjenigen, die Erfahrung besitzen und über die Leidenschaften erhaben sind, versorgt. Es wird eine Ordnung angestrebt, in der Eros so vollständig wie möglich durch Caritas ersetzt wird. Aber indem dies geschieht, werden die natürlichen Gesetze des Lebens, die dem Mann die Frau und der Mutter die Kinder zuordnen, verletzt. Diese kommunistische Gemeinschaft, die beweisen will, dass dem Menschen schon in der Zeitlichkeit Vollkommenheit möglich ist, ist ketzerisch. Simplicissimus sagt sich: „Ach/ sagte ich offt/ köntest du doch die Widertäuffer bekehren/ daß sie unsere Glaubensgenossen ihre Manier zu leben lerneten/ wie wärest du doch ein so seeliger Mensch! Oder wenn du nur deine Mit-Christen bereden köntest/ daß sie wie diese Widertäuffer ein solches (dem Schein nach) Christliches und ehrbares Leben führten/ was hättestu nicht außgerichtet?” ST  (442) Dann aber sagt er sich: „du bist morgen nicht wie heut/ und wer weiß/ was du künfftig für Mittel bedörfftig/ den Weg Christi recht zu gehen? heut bistu geneigt zur Keuschheit/ morgen aber kannstu brennen.” ST (442) Der Mensch hat kein Recht den Gang seines Lebens auf diese Weise eigenmächtig festzulegen und zu beschränken. Im übrigen geht diese Lebensweise so gegen die menschliche Natur, dass der Knan seinem Pflegesohn „stracks” prophezeit „daß ich wol nimmermehr solche Bursch zusammen bringen würde.” ST (442)

Es bleibt also die Möglichkeit, die christliche Welt zu bessern und so zu gestalten, wie sie Simplicissimus dem König des Mummelsees darstellt:

die Geistlichen […] seynd gemeiniglich alle/ sie seyen auch gleich was für Religion sie immer wollen/ wie sie Eusebius in einer Sermon beschriben; nemlich rechtschaffene Verächter der Ruhe/ Vermeider der Wollüste/ in ihrem Beruff begierig zur Arbeit/ gedultig in Verachtung/ ungedultig zur Ehr/ arm an Haab und Geld/ reich am Gewissen/ demütig gegen ihren Verdiensten/ und hochmüthig gegen den Lastern […] ST (426)

Selbst den Krieg erklärt dort Simplicius damit, dass jeder „GOtt rechtschaffen dienen möge/ und eben deßwegen sind jetzund so schwäre Krieg auff Erden/ weil je ein Theil vermeynt/ das andere diene GOtt nicht recht.” ST  (427) Dass eine solche Idealordnung die unwahrscheinlichste aller Möglichkeiten ist, steht wohl nach der Lektüre der ersten fünf Bücher des Romanes fest. Erst indem die Utopien alle als unmögliche Scheinlösungen entlarvt worden sind, erscheint der Rückzug aus der Welt gerechtfertigt.


Vorbilder und Autoritäten

Aber auch dieser Rückzug aus der Welt, mit dem das sechste und vorläufig letzte Buch des Romans endet, ist nicht einfach Resignation. An Negativität und der daraus erfolgenden Langeweile und Müßigkeit war Simplicius’ Versuch im Schwarzwald gescheitert. Jupiters absolutistische Republik und der Naturstaat des Mummelsees wirkten zunächst wie bestechend vielverssprechende Utopien; es erwies sich nur, dass beide im wirklichen Leben nicht funktionieren können, weil der Mensch so durch die Erbsünde geprägt und belastet ist, dass er weder fähig ist, als Vernunftwesen gemeinnützig zu handeln noch auch als Naturwesen nach eigenem Plan und ohne ständige göttliche Anleitung zum Wohl der Menschheit und seiner selbst zu leben. Wie kann es hier weitergehen?

Im Einklang mit der quellenorientierten, parodistischen Struktur seines Werkes, sind es auch hier wieder schriftliche Quellen, die den Weg weisen. Nur ist es jetzt nicht mehr die mangelnde Einsicht oder Relevanz der Quellen, auf die aufmerksam gemacht wird. In der Continuatio werden uns endlich verlässliche Autoritäten und richtungweisende Ideenträger vorgestellt.         Paracelsus ist einer; der heilige Antonius ein zweiter; aber auch die Pegnitzschäfer gehören dazu. Mit ihnen sind die Berufe des Arzt-Naturwissenschaftlers, des frommen Einsiedlers und des Gärtners oder Bauern verbunden, alles Berufe, die die Väterfiguren des Romanes schließlich in abgewandelter Form auf den Helden übertragen. Der Einsiedler ist der echte Vater, der Bauer der Pflegevater, und die naturwissenschaftlichen Berufe des Arztes und Astrologen werden vom Gelnhausener Pfarrer und dem alten Herzbruder vertreten, beide väterliche Helfer und Erzieher.

Günther Weydt hat mit seinen Untersuchungen gezeigt, dass der Simplicissimusroman an mehreren Stellen Georg Philipp Harsdörffer verpflichtet ist, nicht nur für die Erzählstoffe, welche er zugänglich machte, sondern auch für seine ins Pegnesische Schäfergedicht eingefügte Lyrik, die als wichtige Inspiration für das Einsiedlerlied gelten kann. [90] Weydt ordnet das Pegnesische Schäfergedicht, das Harsdörffer, Sigmund von Birken und Johann Klaj zusammen komponierten, unter die nachweislichen Quellen Grimmelshausens ein. [91] Ich möchte hier vorschlagen, dass auch über Weydts Anregungen hinaus, auf dieses Werk im Simplicissimus angespielt wird. Der gebildete Leser des 17. Jahrhunderts, jener Leser von dem erwartet wird, dass er hellhörig Zitate zur Kenntnis nimmt, hätte die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten gewiss bemerkt.

Harsdörffer, Klaj, Birken und die anderen Mitglieder ihrer Gesellschaft nennen sich Schäfer. Aber der Ort ihres Wirkens ist nicht ein fernes, unwirkliches Arkadien, sondern Nürnberg an der Pegnitz, und in der Landschaft, die beschrieben wird, gibt es unter anderem auch so moderne Errungenschaften wie Papier- und Drahtmühlen. In einer Zeit grausamer Kriegswirren – Nürnberg hatte mehr als hundert Truppendurchmärsche zu bestehen – taten sich Nürnberger Bürger und Flüchtlinge zusammen und bauten ihre Hütten in einem Irrgarten außerhalb der Stadt, wo sie die Ruhe fanden, ihre Naturliebe und Naturfrömmigkeit in Dichtung auszudrücken. Sie gehören zu den Vorläufern jener Naturbegeisterung, die auf Jahrhunderte ein wichtiger Antrieb der deutschen Dichtung sein sollte. [92] Ihre Stimme dringt in ihrem eigenen Zeitalter, das ganz von der Grausamkeit des Krieges einerseits und der Pracht der Fürstenhöfe andrerseits beherrscht war, noch kaum durch.

Die Naturliebe, die sich im Pegnesischen Schäfergedicht äußert, hat verschiedene Aspekte. Da ist zunächst die ästhetische Freude an der Schönheit der Natur. Sie drückt sich in Landschaftsbeschreibungen aus, die zu dieser Zeit noch keineswegs zum gebräuchlichen Repertoire des Dichters gehörten. So im Schäfergedicht:

Dieser und etliche andere alldar befindliche Bäume wässerte der nechstanstehende See/ welchen die Pegnitz mit einem Arm anzuschwemmen pflegte dessen Crystalline Silberhelle zeigte als in einem klaren Spiegel die überschattende Stämme/ ja die flammende Mittagssonne und der heitere Himmel selbsten hatten sich bildungsweise dergestalt herabgelassen/ daß solcher Gegenschein wegen Stralwerffenden Glantzes die Augen lieblichen weidete.[93]

Der Simplicissimus gibt uns seinerseits eine der frühesten und schönsten Landschaftsbeschreibungen der Zeit:

ich wohnete auff einem hohen Gebürg die Moos genant/ so ein Stück vom Schwartzwald: und überal mit einem finstern Tannenwald überwachsen ist/ von demselben hatte ich ein schönes Außsehen gegen Auffgang in das Oppenauer Thal und dessen Neben-Zincken; gegen Mittag in das Kintziger Thal und die Grafschafft Geroltzeck/ alwo dasselbe hohe Schloß zwischen seinen benachbarten Bergen das Ansehen hat/ wie der König in einem auffgesetzten Kegel-Spill; gegen Nidergang kondte ich das Ober- und UnterElsaß übersehen/ und gegen Mitternacht der Nidern [A 5] Marggraffschafft Baaden zu/ den Rheinstrom hinunter; in welcher Gegend die Statt Straßburg mit ihrem hohen Münster-Thum gleichsamb wie das Hertz mitten mit einem Leib beschlossen hervor pranget; mit solchem Außsehen und Betrachtungen so schöner Lands-Gegend delectirte ich mich mehr als ich eyferig bettete […]  ST ([8] 474)

Auch die erquickende Ruhe der Natur preisen die Schäfer:

            Hellgläntzendes Silber/ mit welchem sich gatten
                Der astigen Linden weitstreifende Schatten/
Deine sanftkühlend-beruhige Lust
                                                                Ist jedem bewusst. [94]

Es ist die Ruhe, die Simplicissimus dann als Einsiedler auf seiner Insel findet:

            damit sich der Leser gleich, wie ich itzt thue,
                entferne der Thorheit und lebe in Rhue. ST (2)

       Der Reichtum der Natur, die den Menschen erhält, wird ebenfalls von den Schäfern gepriesen:
„Diese Felder/ sprach Strefon/ füllen nicht nur die Augen/ sondern tragen zu unsern Tischen Spargen/ Endivien/ Melonen/ Artischoken/ Käsöhl/ Peterlein/ und viel andere Gartengewächse.“[95]
Die Insel, auf die Simplicissimus im sechsten Buch verschlagen wird, ist mit ähnlichem Reichtum gesegnet. Sie gleicht dem Schlaraffenland wie Hans Sachs es beschreibt. Die Vögel lassen sich mit den Händen fangen, die Fische treiben „wie eine grosse Härdt Schwein” die Flüsse hinauf, und die Bäume tragen eine Fülle von Früchten. ST ([98] 555) Wie Strefon (Harsdörffer) im Pegnesischen Schäfergedicht ritzt auch Simplicissimus Verse in die Bäume seiner Insel, unter anderem den Vers vom finsteren Licht. So wird die Natur zu einem Buche, dessen Seiten der Mensch beschreiben kann, wie Simplicissimus dann Palmblätter beschreibt. Aus dem Pegnesischen Schäfergedicht stammen folgende Verszeilen:     

                    Schöne Linde
                     Deine Rinde
                Nehm den Wunsch von meiner Hand:
                    Kröne mit dem sanfften Schatten
                    Diese stets begrasten Matten/
                Stehe sicher vor dem Brand;
                    Reist die graue Zeit hier nieder
                        Deine Brüder/
                Sol der Lentzen diese Aest’
                    Jedes Jahr belauben wieder
                Und dich hegen Wurtzelfest. [96]

Die sich stets erneuernde Natur kann auch die Zerstörungswut der Menschen, den Kriegs-Brand den sie entfacht haben, überdauern. Das Buch der Natur ist dauerhafter als das von Papier.

Noch auf andere Weise ist die Natur bei den Schäfern und Simplicius ein Buch. In allegorisch-sinnbildlicher Sprache stellt sie das göttliche Heilsgeschehen dar. Die Pegnitzschäfer unter Birken wählen das Sinnbild ihres Ordens auf Grund seiner emblematischen Bedeutung:

Mitten in der Blume erhebt sich eine kleine runde Seule, an welcher unten fünf runde und rote Blättlein, rings herum hervorgehen. Aus der Seule oben wachsen empor, drey Spizen, denen Nägeln gleich, um welche sich eine Kron von Dornen herumschlinget. O Wundergewächse! Rief Rosidan; hier haben wir die Bildnisse der Martersäule, daran unser Erlöser gegeisselt worden, derer heiligen fünf Wunden, als unserer Heil- und Reinigungs-Quellen, der Nägel, die seine Hände und Füsse durchgraben, und an das Creutz gehefftet, und der Dornen-Kron, die sein heiliges Haupt zerrissen und verwundet. Ists möglich, daß die Natur vom Leiden ihres Schöpffers gleichsam ein Schau-Spiel aufstellen können? [97]

Im Simplicissimus heisst es:

O wie offt wünschte ich mir/ wann ich meinen Leib abgemattet hatte und demselben seine Ruhe geben muste/ geistliche Bücher/ mich selbst darinn zutrösten/ zuergötzen und auffzubauen/ aber ich hatte solche drumb nit; Demnach ich aber vor diesem von einem heiligen Mann gelesen/ daß er gesagt/ die gantze weite Welt sey ihm ein grosses Buch/ darinnen er die Wunderwerke GOttes erkennen: und zu dessen Lob angefrischt werden möchte; Alß gedachte ich demselbigen nachzufolgen/ wiewol ich/ so zusagen/ nit mehr in der Welt war; die kleine Insul muste mir die gantze Welt seyn/ und in derselbigen ein jedes Ding/ ja ein jeder Baum! ein Antrieb [F 9] zur Gottseligkeit: und eine Erinnerung zu denen Gedancken die ein rechter Christ haben soll; also! sah ich ein stachelecht Gewächs/ so erinnerte ich mich der dörnen Cron Christi/ sahe ich einen Apffel oder Granat/ so gedachte ich an den Fall unserer ersten Eltern und bejammert denselbigen […] ST ([102]568) 

Solch allegorisch-moralische Naturbetrachtung ist natürlich im siebzehnten Jahrhundert nichts Neues. (Der heilige Mann, von dem Simplicissimus spricht, ist im übrigen der Einsiedler Antonius; auch er soll uns im letzten Buch des Romans als Beispiel vor Augen stehen.) Was die Pegnitzschäfer auszeichnet ist der Realismus and die Vielseitigkeit ihrer Naturschau, welche Schönheit, Ruhe, Fruchtbarkeit, Modernität und moralisch wirksame Heilsoffenbarung verbindet, Dinge, die für sich genommen – wie etwa die Naturästhetik im Schwarzwald, oder das reine Nutzbauerntum des Knan – in die Irre führen können.

Die Idee des Schäferideals durchzieht den ganzen Simplicissimusroman. Schon auf den ersten Seiten wird sie mit Garzoni-Zitaten ironisch eingeführt. Etwas später ist das Leben im Kloster Paradies wie ein früher, aber nicht ehrfürchtig gewürdigter Anklang an den Naturreichtum der Insel. Der abgewandelte Ständebaum, in dem die genießenden Bauern an der Spitze der Pyramide fehlen, stellt uns das Schäferideal als scheinbar verloren dar. Dass das Schäferdasein als Möglichkeit Grimmelshausen immer wieder beschäftigt hat, zeigen auch seine ernsten Romane Dietwald und Amelinde und Proximus und Lympida, die beide versuchen, es neu auf realistische Grundlage zu stellen und mit dem Ideal des religösen Einsiedlertums zu verquicken.

Auch zu dieser positiven Möglichkeit gibt es eine parodistische Folie. Das Werk, das Grimmelshausen dazu wählt – Holzinger  und Geulen  haben in Artikeln darauf hingewiesen – [98] ist Sir Philip Sidneys Roman Arcadia, den Martin Opitz durch seine Überarbeitung der deutschen Übersetzung seinen Landsleuten als Beispiel der Schäferdichtung übergab. Die Pegnitzschäfer Harsdörffer und Klaj verdankten auch der Arcadia ihre Schäfernamen, Strefon und Clajus. Der Name der Pamela ist ebenfalls diesem Roman entlehnt. Die Arcadia beginnt damit, dass zwei Schäfer, Strefon und Clajus, am Ufer des Meeres spazierengehen und den Verlust der gemeinsam geliebten Urania beklagen. Plötzlich erblicken sie in den Wellen einen menschlichen Körper, dessen Hände an die Handhaben einer Truhe geklammert sind. Sie ziehen ihn aus dem Wasser und beleben ihn. Der Angeschwemmte ist Musidorus, eine der beiden männlichen Hauptfiguren des Romans. Es geht hier zu Beginn der Arcadia darum, auf den veredelnden Wert der auf grobe Leidenschaft verzichtenden Liebe und auf Männerfreundschaft, die über Liebeseifersucht erhaben ist, aufmerksam zu machen. Diesen Abschnitt, der die Werte, um die es in der Arcadia geht, gleich zu Beginn anschaulich machen will, übernimmt Grimmelshausen fast wörtlich in seinen Roman. In der „Continuatio” gehen Simplicius und der Zimmermann am Strand spazieren und unterhalten sich darüber, wie sie Palmwein – das Mittel zur Berauschung der Sinne, an dem der Zimmermann schließlich zugrunde geht – herstellen wollen, als sie plötzlich “auff der weitte des Meers etwas daher treiben” sehen. „Nach dem es sich nähret und an unserer Insel gestrandet/ war es ein halb todtes Weibsbilde/ welches auff einer Kisten lag/ und beyde Hände in die Handhaben an der Kisten eingeschlossen hatte” ST ([89] 555). Diese Frau ist jedoch keine göttliche Urania, sondern eine teuflische Blendung, die Feindschaft zwischen den Kameraden sät und beinahe die Ursache einer Gewalttat wird. Weit davon entfernt göttlich zu sein, ist im Simplicissimus die Frau im allgemeinen ein gefährlicher Einfluss, der gebannt werden muss. Sie ist die Helena, um die die Männer Kriege beginnen, so der Krieg, den in der Arcadia der von Leidenschaft zu Philoclea/Helena getriebene Amphialus führt. Auch der Schilderung dieses Kampfes begegnen wir im Simplicissimus: der Bericht über die Schlacht von Wittstock ist, wie schon erwähnt, weitgehend aus der Arcadia übernommen. Aber Grimmelshausen streicht die heldischen Zweikämpfe Sidneys und schildert diese Schlacht ganz unheroisch als ein chaotisches, blutiges Gemetzel.[99] Simplicius ist in ihr nur Beobachter, da er sich zu dieser Zeit unter Verdacht, Spion zu sein, in Gefangenschaft befindet. Ursache hierfür war seine Verkleidung als Frau, zu der er sich herabließ, um sein Narrenkostüm loszuwerden. Auch diese Szene findet ihre Entsprechung in der Arcadia, in der einer der Helden sich als Frau verkleidet, um seiner Geliebten nahe sein zu können, und sich plötzlich von den in Liebe entflammten Eltern der Jungfrau umworben sieht, wie Simplicius dann vom Rittmeister und seiner Frau. Weit davon entfernt eine veredelnde Macht zu sein, schafft die Liebesleidenschaft im Simplicissimus (wie letzten Endes auch in der Arcadia) Gewalttat und Feindschaft zwischen Freunden, selbst Eheleuten. Und bei Grimmelshausen ist der Liebende keiner, von dem im petrarchischen Sinne Verzicht gefordert wird; nein, die Frauen bieten sich ihm an.  

Auch zum Thema der Unkeuschheit finden wir einen Abschnitt, der sich an die Arcadia anlehnt, sie sogar erwähnt. In Lippstadt, als Simplicius vom Jäger zum Buhler wird, weist die Arcadia ihm den Weg.
           
Die unvergleichliche Arcadia, auß deren ich die Wolredenheit lernen wolte/ war das erste Stück/ das mich von den rechten Historien zu den Liebes-Büchern/ und von den warhafften Geschichten zu Helden-Gedichten zoge: Solcherley Gattungen brachte ich zu wegen wo ich konte/ und wann mir eins zu theil wurde/ hörte ich nit auff/ biß ichs durchgelesen/ und sollte ich Tag und Nacht darüber gesessen seyn; diese lerneten mich vor das Wol-reden mit der Leimstangen lauffen. Doch wurde dieser Mangel damals bey mir nicht so hefftig und starck/ daß man ihn mit Seneca ein göttliches Rasen/ oder wie er in Thomae Thomaj Wald-Gärtlein beschrieben wird/ eine beschwerliche Kranckheit hätte nennen können; dann wo meine Lieb hinfiel/ da erhielte ich leichtlich und ohne sonderbare Mühe/ was ich begehrte/ also daß ich keine Ursach zu klagen bekam/ wie andere Buhler und Leimstängler/ die voller [349] phantastischer Gedancken/ Mühe/ Begierden/ heimlich Leiden/ Zorn/ Eyfer/ Rachgier/ Rasen/ Weynen/ Protzen/ Drohen/ und dergleichen tausendfältigen Thorheiten stecken/ und ihnen vor Ungedult den Todt wünschen. ST (262)

In Sidneys petrarchischer Liebesauffassung zwingt die keusche Zurückhaltung der Frau, ihre Unerreichbarkeit, den Mann dazu, seine Leidenschaft in eine geistige Liebe zu sublimieren. Wo die Frau, wie im Jahrhundert des Dreißigjährigen Krieges, ungeschützt den Kriegswirren ausgesetzt ist, kann es auch keine veredelnde Liebe geben. Arcadia ist ein Land des Friedens. Der Kontrast zum kriegsverödeten Nachbarland wird hervorgehoben. So ist auch bei den Pegnitzschäfern nicht die Frauenliebe, sondern die Naturliebe die veredelnde Macht, und Grimmelshausen stimmt hier ganz mit ihnen überein. Die ins Religiöse gesteigerte Liebe, die auch die Arcadia anstrebt, wird bei ihm auf dem Wege des Eremitentums in der Natur erreicht.

Die Bedeutung der im Roman erwähnten Einsiedlergestalten hat Ilse-Lore Konopatzki  eingehend behandelt.[100] Mehrere Eremiten werden von Grimmelshausen zum Vergleich herangezogen. Sowohl der alte Einsiedler, wie sein Schüler Simplicius, nachdem er des Alten Kleidung übernommen hat, gleichen Sankt Wilhelmus mit seinen schweren Ketten. Im 26. Kapitel des sechsten Buches wird der Heilige Onuphrius mit seinem Kleid von Blättern erwähnt. Wie der Einsiedler Paulus sich vor dem jüngeren Antonius in eine dunkle Höhle zurückzog, so zieht sich Simplicissimus vor den Holländern, die seine Hilfe brauchen, zunächst in seine dunkle Höhle zurück.[101]Aber schon bei der ersten Einführung wird der Vater des Simplicius, der alte Einsiedel mit dem „großen Antonio” verglichen und dieser bleibt der wichtigste Bezugspunkt. Auch über den Heiligen Antonius erzählt die Legende, dass er einen kindlichen Versucher verspottete. Auch er wurde von teuflischem Blendwerk gequält, wie später Simplicius auf seiner Insel. Antonius konnte weder lesen noch schreiben noch fremde Sprachen sprechen. Aber er kannte die ganze Bibel auswendig und die Welt war ihm ein Buch, das von den Wunderwerken Gottes handelte. Er hielt den Menschen für grundsätzlich gut und liebte die Freude, die er trotz aller Strenge seinen Schülern gönnte. Und einer dieser Schüler hieß der Legende nach Paulus Simplex oder auch Simplicissimus. [102] Wie Antonius ist Grimmelshausens Simplicissimus kein gelehrter sondern ein einfacher Mann, auch er genießt auf seiner Insel die Natur, obwohl er sich daneben, um den Müßiggang zu vermeiden, wie einst sein Vater einen strengen Arbeitsplan aufgibt. Auch Simplicius, wie sein Dichter, glaubt letzten Endes an das durch die Gnade Gottes gestützte Gute in sich und den Menschen und es ist dieser Glaube, der ihm immer wieder aufhilft, bis er zuletzt aus seinen bösen Erfahrungen das heilbringende und warnende Buch zusammenstellen kann.[103] Die parodistische Folie für das wahre Einsiedlertum ist das müßige, ästhetisierende, vorwitzige Einsiedlerleben im Schwarzwald.

Das dritte Vorbild, das Grimmelshausen heraufbeschwört, ist das des Arztes Paracelsus. Auch er hat von der Natur samt dem Menschentum als göttlichem Buch, das dem Menschen vorliegt, gesprochen. [104] Er ist derjenige, der wie kein anderer den alten Einsiedler in seiner Mahnung „erkenne dich selbst” unterstützt. Der Mensch soll wissen „wer er sei und was er sei, warum er sei, auf das er trachte aus Gott alle seine Macht zu nehmen”. [105] Wie der große Antonius, und natürlich wie Grimmelshausen selbst, ist auch Paracelsus einer, der in der Volkssprache spricht und schreibt. Als Theologe und Naturwissenschaftler hat er den kaum zu überschätzenden Verdienst, dass er die Natur entdämonisierte und damit einerseits eine unbefangene, wissenschaftlich-beobachtende Haltung ihr gegenüber ermöglichte, Empirie in der Medizin und den Naturwissenschaften, andererseits der Naturfrömmigkeit den Weg bahnte.[106] Grimmelshausen stellt sich ganz hinter Paracelsus, indem er die Unterwelt des Mummelsees mit guten, weil von Gott geschaffenen, Naturwesen bevölkert. Die Änderungen, die er vornimmt, wirken, wie schon gesagt, als Bestärkungen der Ansichten seines Vorgängers.[107] Wie dieser sieht auch Grimmelshausen in der Chemie und Physik durchaus erlaubte Mittel, menschliche Möglichkeiten zu erweitern. Simplicissimus erfindet ein Hörrohr mit dem man ferne, sonst nicht wahrnehmbare Geräusche hören kann, er braucht ein Perspektiv, er weiß ein chemisches Mittel Pulver zu entschärfen. Als Arzt sieht er, genau wie der Gelnhauser Pfarrer, Leib und Geist des Menschen als untrennbare Einheit; Medizinen können, wie auch Paracelsus erkannt hatte, vor geistigen Leiden schützen. Auch die Erkenntnis, dass in der Natur im allgemeinen das Gift auf sein eigenes Gegengift verweist, ist paracelsisch. Auf der Insel heilt Simplicissimus die Matrosen, die durch eine gewisse Sorte Pflaumen in den Wahnsinn getrieben wurden, mit dem Kern derselben Pflaumen, der das Gegengift enthält. Nur das Unvollständige ist schlecht und gefährlich.[108]

Paracelsus weiß, wie schon erwähnt, von zwei Quellen menschlicher Erkenntnis: dem Licht des Menschen und dem Licht der Natur, Offenbarung und Empirie. Auch hier folgt ihm Grimmelshausen. Simplicissimus kennt das „finstere Licht” Gottes in seiner überirdischen Klarheit, aber er kennt auch und braucht die Leuchtkäfer, die ihm das Dunkel der Erde, die tiefe Höhle, erleuchten. Und der Mensch, der in die unterirdischen Geheimnisse eindringt, ist so mächtig Verwandlungen zu schaffen, dass seine bloße Stimme Erdbeben verursacht. Dieses seltsame und scheinbar beziehungslose Detail des Romanes muss symbolisch verstanden werden, wie auch der Genuss der gefährlichen verbotenen Frucht der paradiesischen Insel, der die gierigen Schiffsleute in den Wahnsinn stürzt und dadurch in Streitsucht und allerhand Unflätigkeit und Unsinn. Der naturkundige Heilige kann diese Menschen mit dem Kern der Frucht heilen, er kann, so darf man vielleicht am Ende dieses Kriegsromans ergänzen, vielleicht die Welt vor Kriegen schützen, aber er muss die Menschen aus dem für sie gefährlichen Paradies verweisen. Simplicissimus macht es zur Bedingung, daß keiner der Mannschaft auf der Insel zurückbleibt. Die Göttin der Glückseligkeit macht den Menschen unfromm. Nur der ganz Beherrschte und in Gott Gegründete ist ihr gewachsen. Selbst Simplicissimus erliegt auf die Dauer der Versuchung der Unmäßigkeit. Er wird in einer weiteren Continuatio in einem Augenblick der Trägheit nach zu ausgiebigem Genuss zurück in die Welt verstoßen und muss sich als Kalenderschreiber, gelegentlich auch als Arzt, seinen Unterhalt so ehrlich und nützlich, wie es eben geht, verdienen. Der Beruf, in dem Können, Berufung und Gelegenheit zusammenfallen und der den neuerdings unvermeidlichen Gelderwerb zum Lebensunterhalt ermöglicht, ist letzten Endes das, was in den weiteren Continuatios zukunftsweisend ist.
 Selbst dieser fromme Mann wird dann aber immer wieder, wie in der dritten Continuatio, zur Gaunerei verleitet, denn in der modernen europäischen Welt, die leider kein Garten Eden ist, braucht man eben neben Frömmigkeit auch Geld um zu überleben; das darf nicht unterschlagen werden. Worum es Grimmelshausen als Philosoph geht, ist eine natürliche, naturwissenschaftlich orientierte, praktische, humorvolle, fromme und realistische Weltanschauung, die seinem frühmodernen Jahrhundert, dem Jahrhundert des Barock, gemäß ist und die doch die christliche Religiosität, auf der die europäische Kultur beruht, trotzdem sie im siebzehnten Jahrhundert so verheerend pervertiert wurde, nicht preisgibt.

Zusammenfassung

       Zu Beginn dieses Aufsatzes wurde darauf hingewiesen, wie sehr es Grimmelshausen darum ging, sowohl seinen Helden wie seinen Autor als Jedermann darzustellen. Die literatur-parodistische Ebene, der die vorliegende Untersuchung gilt, muss als Beitrag in gleicher Sache gesehen werden. Auch hier wird der Versuch gemacht, einen enzyklopädischen Überblick zu gewinnen, in diesem Fall über die gesamte europäische Gedankenwelt, aus der die Vorstellungen und Meinungen des siebzehnten Jahrhunderts hervorgegangen waren. Denn in solchem Schrifttum lagen, wie Grimmelshausen begriff, weitgehend die Wurzeln aber auch die diagnostischen Erklärungen des furchtbaren Krieges, der sich auf deutschem Boden abgespielt hatte und unter dem die Deutschen, wie kein anderes Volk, gelitten hatten. Und dort gab es auch die verschiedensten Vorschläge für eine bessere Welt. Nur der breiteste Überblick konnte vor übereilten Schlussfolgerungen schützen. Grimmelshausen untersucht die Probleme systematisch, wie ein moderner Sozialwissenschaftler.

       Weil die Deutschen unmittelbare Erfahrungen der Folgen von Religionsstreit und Krieg haben, sind sie vor anderen Völkern berufen, aus ihrem Wissen allgemeingültige Lehren zu ziehen. So kommt es, dass Grimmelshausens vielerfahrener und weitgereister plebäischer Held und Erzähler ein Simplicissimus Teutsch ist; aber auch sein mehrschichtiger, belesener, adliger Autor bemüht sich durchweg um das spezifisch Deutsche. Die Einsicht in das Wesen der Dinge kann aus diesem Land mit den bitteren Erfahrungen zum Heil der Welt hervorgehen, denn für die, die den Krieg erlebt haben, hat sich die grundsätzliche sündige Verworfenheit der Menschheit überdeutlich erwiesen.[109] Grimmelshausens deutsche Orientierung hat nichts mit deutschem Nationalismus oder Territorialismus zu tun, sondern mit dem tiefen religiösen Ernst schwergeprüfter Menschen. Bezeichnenderweise ist der Ort, an dem Simplicissimus Erkenntnis, Ruhe, paradiesische Natur und echte Frömmigkeit findet, geografisch so weit wie nur möglich von Deutschland, dem allseitig bedrohten Land der Mitte, entfernt. Es ist nicht verwunderlich, dass es deutsche Stimmen sind, die der Roman als vorbildlich gelten lässt; sowohl die Pegnitzschäfer wie Paracelsus schrieben ihre Texte in deutscher Sprache. Der Kirchenvater Antonius seinerseits schrieb wie Grimmelshausen in der Umgangssprache.  

       Zurückzukommen wäre noch auf die Vorbehalte moderner Übersetzer und Verlage gegen die vielen irrealen, phantastischen und stilfremden Einschübe, die ganz besonders in der Continuatio modernem Empfinden zufolge die realistische Glaubwürdigkeit des Simplicissimus-Romans untergraben und die künstlerischen und stilistischen Instinkte des Autors in Frage stellen. Hier wäre zunächst daran zu erinnern, dass im siebzehnten Jahrhundert die doppelte Realität des Natürlichen und des Übernatürlichen, die Existenz eines Buches der Natur neben dem biblischen Buch der Offenbarung, noch als selbstverständlich und unproblematisch galt. Darüberhinaus ist es wohl auch Grimmelshausens Intention gewesen, das Zusammenspiel von Erlebniswelt und Buchweisheit, für den belesenen aber nicht gelehrten Durchschnittsbürger eine oft schwer zu erkennende Beziehung, formal zu unterstreichen. Denn gerade im ideologisch-konfessionellen siebzehnten Jahrhundert gab es nie eine Realität die nicht durch Ideen und Vorstellungen aller Art geformt und geleitet wurde.



[1] Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen: An Unabridged Translation of Simplicius         Simplicissimus. Translated by Monte Adair with an introduction and notes. University Press of America: Lanham, New York, London, 1986. Dies ist die erste englische Übersetzung mit Continuatio. Trotz des Separatdrucks, gibt es Hinweise, dass die erste Continuatio gleichzeitig mit dem Roman verfasst wurde und deshalb als wesentlicher Teil dieses anzusehen ist. Vgl. Hans Peter Erlhoff: Groteske Satire und simplicianische Leidenschaft. Eine Untersuchung zur Literaturtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts.  Frankfurt a. Main, 1988,  S. 116.
[2] Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen: The Adventures of Simplicius Simplicissimus. Translated and with an introduction by Mike Mitchell. Dedalus: Langford Lodge, 1999, S. 12.
[3] Carl August von Bloedau: Grimmelshausens „Simplicissimus“ und seine Vorgänger. Berlin 1908. (Beiträge zur Romantechnik des 17. Jahrhunderts = Palaestra LI). Hier S. 49. Arthur Bechtold stimmt wörtlich mit ihm überein. In: Zur Quellengeschichte des Simplicissimus. In: Euphorion 19 (1912),  S. 19-66  u.  S. 491-546, hier S. 548.
[4] Hierzu Volker Meid: Grimmelshausen. Epoche – Werk – Wirkung. München 1984 (Arbeitsbücher für den literaturgeschichtlichen  Unterricht) (Beck’sche Elementarbücher): „An der allegorischen Darstellungsweise und der Notwendigkeit ihrer Deutung kann kein Zweifel bestehen. Ihre Bedeutung erschöpft sich jedoch nicht in überzeitlichen Wahrheiten und Allgemeinheiten. [...] Die allegorische Darstellungsweise im Simplicissimus führt gerade nicht von der konkreten Erfahrungswelt ab [...] sondern wird zum Mittel, die Mechanismen der Gesellschafts- und Wirtschaftsprozesse schlaglichtartig zu erhellen.“  S. 129.
[5] Vgl. Hubert Gersch: Literarisches Monstrum und Buch der Welt. Grimmelshausens Titelbild zum ‚Simplicissimus Teutsch’.  Tübingen  2004. Gersch interpretiert das Titelbild des Romans folgendermaßen: „Mit seinem Simplicissimus-Roman wendet er [Grimmelshausen] sich erklärtermaßen zugleich, wenn auch in verschiedener Hinsicht, an zweierlei Leserkreise, mit der äußeren ‚Histori’ auch an die Bildungslosen, mit dem Sensus allegoricus zudem an das gelehrte Publikum.“ S. 67.
[6] J. H. Scholte: Der Simplicissimus und sein Dichter. Gesammelte Aufsätze. Tübingen 1950 und Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm.3).
[7] Hierzu Günther Weydt: „Grimmelshausen ist im Sprachlichen und Literarischen offensichtlich besser bewandert, als man heute im allgemeinen annimmt, weit besser jedenfalls als die Maske des schlauen, aber primiv erzogenen, nur durch Abenteuer geprägten ehemaligen Bauernburschen Simplex suggerieren sollte und hat annehmen lassen; freilich auch weit schlechter, als die zahllosen Zitate aus gelehrten Büchern glauben machen möchten.“ In: Nachahmung und Schöpfung im Barock. Studien um Grimmelshausen. Bern u. München 1968, S. 36. Genauere Ausführungen auf S. 20-43.
[8] Erlhoff: Groteske Satire (wie Anm. 1), S. 109.
[9] Clemens Lugowski: Literarische Formen und lebendiger Gehalt im Simplicissimus In: Der Simplicissimusdichter und sein Werk. Hrsg. von Günther Weydt. Darmstadt 1969, S. 161-178, hier S. 161.
[10] Theodor Echtermeyer hatte schon früh die Möglichkeit einer parodistischen Behandlung in Erwägung gezogen: „Diese Bücher des Simplicissimus persifflieren und parodieren das abstracteste und auf die Spitze getriebene Rittergedicht, den Parzival, in seinem ganzen Verlaufe.“ In: Rezension: ‚Die Abentheuer des Simplicissimus’. Hrsg. von Eduard von Bülow (1838). In: Der Simplicissimusdichter und sein Werk (wie Anm. 8) S. 1-16, hier S. 14.
[11] Siehe Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 22. Siehe auch Dieter Martin: Grimmelshausen und die gelehrten Diskurse seiner Zeit. In: TEXT + KRITIK. Sonderband. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 2008, S. 32-50. Martin fasst Grimmelshausens Einstellung zu den gelehrten Diskursen seiner Zeit folgendermaßen zusammen: „Von akademischer Erudition ausgeschlossen, richtet er seinen Ehrgeiz darauf, biografisch bedingte Bildungsdefizite mithilfe volkssprachlich-kompilatorischer Literatur zu kompensieren und seine Schriften gelehrten Debatten zu öffnen. Zugleich bewahrt er sich die mit seinem unkonventionellen Bildungsweg verbundene und durchaus auch selbstkritisch gewendete Freiheit, gelehrte Eitelkeiten zu ironisieren und selbstzweckhafte Wissensakkumulationen zu parodieren, am ‚Nebenmenschen’ vorbeizielende Spekulationen satirisch aufzuspießen und das überbordende Buchwissen seiner Epoche korrektiv an seiner reichen Lebenserfahrung zu messen.“ S. 46.
[12] Weydt: Nachahmung (wie Anm.6), S. 42.
[13] Zu diesem Thema Friedrich Gundolf : „Simplex ist kein Vorbild, sondern ein Abbild und ein Urbild [...] Vielleicht hat dem Dichter eine sinnbildliche, ja allegorische Geschichte des Menschenlebens schlechthin vorgeschwebt [...]“ In: Grimmelshausen und der Simplicissimus (1923). In: Weydt: Der Simplicissimusdichter. (Wie Anm. 8), S. 111-132, hier S. 130. Siehe auch Arthur Bechtold: „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Simplicissimus ursprünglich als Selbstbiographie geplant war und erst nach und nach, unter dem Einfluss der Lektüre der spanischen Schelmenromane, Moscheroschs und seiner Nachfolger und einer Menge zeitgenössischer Schwankbücher, unter Zurücktreten des Persönlichen, die Gestalt eines Romanes mit stark moralisierendem Einschlag erhielt, wie er heute vor uns liegt. Grimmelshausen gab sich aus leicht verständlichen Gründen später den Anschein, als wolle er die satirische Tendenz in den Vordergrund gestellt wissen; er betont diese Absicht in fast allen seinen Werken.“ In: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 491. Die Betonung von Moralisieren und Satire werden Grimmelshausens kritischerAuseinandersetzung mit seiner Zeit nicht gerecht.
[14] Grimmelshausen: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio des abentheuerlichen Simplicissimi. Hrsg. von Rolf Tarot. Tübingen 1967 (Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Unter Mitarbeit von Wolfgang Bender un d Franz Günter Sieveke hrsg. von Rolf Tarot), S. 2. – Der Text wird im Folgenden nach der Edition von Tarot mit Sigle ST (kursiv) und Seitenangabe in runden Klammern zitiert.
[15] Weydt: Nachahmung (wie Anm. 6), S. 243-279.
[16] J. H. Scholte: Der Simplicissimus und sein Dichter, hier S. 253-263. Vgl. auch die ausführliche Analyse des Titelbildes von Gersch in Literarisches Monstrum (wie Anm. 5).
[17] Die Untersuchung Strellers, die zahlenmystisch beweisen will, dass die fünf Bücher des Simplicissimus, das sechste Buch (die Continuatio), das 7. Courage, das 8. Springinsfeld, das 9. Vogelnest I, und das 10. Vogelnest II als Zyklus aufzufassen sind, macht noch deutlicher, dass es Grimmelshausen um das Phänomen ‚Jedermann’ zu tun war. Wo dies nicht mehr in der einen Person und ihren Verwandlungen zu fassen war, muss er das noch nicht Erfasste durch neue Helden darstellen. Siegfried Streller: Grimmelshausens Simplicianische Schriften.  Allegorie, Zahl und Wirklichkeitsdarstellung. Berlin, 1957.
[18] Dazu Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3): „Grimmelshausen [hat es] in der Beschreibung und geschickten Verwendung von Dialektformen zur Meisterschaft gebracht, wie im Simplicissimus die in gutem wetterauischem und westfälischen Idiom, im Teutschen Michel und in andern Schriften die in schwäbischem, schweizerischem und österreichischem Dialekt gegebenen Sätze beweisen.“ S. 29.
[19] Paulus Simplex, auch Simplicissimus genannt. Vgl. Werner Welzig: Beispielhafte Figuren. Tor, Abenteurer und Einsiedler bei Grimmelshausen. Graz/Köln 1963, S. 51. Die Quelle ist Heribert Rosweyde: Vitae patrum etc., seit 1615 mehrmals aufgelegt.
[20] Clemens Heselhaus: Grimmelshausen. ‚Der abenteuerliche Simplicissimus’. In: Benno von Wiese: Der deutsche Roman, Bd.I, Düsseldorf 1963,  S. 15-63, hier S. 15.
[21] Zu den anagrammatischen Pseudonymen vgl.  Scholte: Zonagri Discurs von Waarsagern, Wiesbaden 1921, S. 69-79 und ders. Der Simplicissimus (wie Anm.15), S. 6-9; Echtermeyer: Rezension (wie Anm.9), S. 3; Weydt: Nachahmung (wie Anm. 6), S. 191; und Erlhoff: Groteske Satire (wie Anm. 1), S. 106.
[22] Zur wechselnden Perspektive vgl. Gerhard Kühl: Untersuchungen zur Romankunst Grimmelshausens im Simplicissimus. Diss. Frankfurt a. M., 1961, S. 30 ff.. Vgl. auch Meid: Epoche – Werk – Wirkung, (wie Anm. 4),  S. 134-137. 
[23] Hierzu Scholte: Der Simplicissimus (wie Anm. 15), S.17-24. Die dort besprochene Gestalt Berneggers ist in diesem Zusammenhang interessant.
[24] Weydt: Nachahmung (wie Anm.6), S. 138-154: „Im VII. Teil der Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 1647 (Nr. CCL vii, S. 139 ff.) wird unter dem Titel Der Wahnwitzige Schäfer der Roman Le berger extravagant des Charles Sorel (Harsdörffer kennt nur das Pseudonym:Jean de la Lande) nacherzählt [...] Harsdörffer kennt also den [...] Roman des Sorel, der nun völlig und seiner Substanz nach von einem in der Poeterei Verstiegenen handelt, und weist auf dessen Abkunft vom Don Quijote.“  S. 142-143. Vgl. auch S. 319-325, auf denen Harsdörffers Der Wahnwitzige Schäfer abgedruckt ist.
[25] Weydt: Nachahmung, (wie Anm. 6),  S. 144.
[26] Hierzu Manfred Koschlig: Das Lob des Françion bei Grimmelshausen. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft I (1957), S. 30-73. „Während Hortensius aber ausschließlich die Hauptfigur eines Narrenpossens darstellt, wenn auch in satirischer, auf Kritik an den zeitgenössischen Scribenten abzielender Tendenz, gedenkt Simplicissimus‚ diesen Kerl zu stimmen/ und mir seine Gaben zu nutz zu machen.“ S. 53.
[27] Julius Petersen: Grimmelshausens ‚Teutscher Held’. In Euphorion, Ergänzungsheft 17, S. 1-30. Hier S.10.
[28] Hierzu auch Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 514.
[29] Julius Petersen: Hans Christoffel von Grimmelshausen 1622-1676. In: Weydt: Der Simplicissimusdichter (wie Anm. 8). Petersen sagt von den Schelmenromanen: „Grimmelshausen hat sie alle gelesen: den dreiteiligen Gusman, den Lazarillo de Tormes, den Françion des Sorel, die von Niklas Ulenhart in Prag lokalisierte und mit dem Lazarillo eines anderen Übersetzers in Buchform vereinigte Novela picaresca des Cervantes, wie die Picara Justina des Ubeda, die zu einer deutschen Landstörzerin Justina Dietzin geworden war.“ S. 70. Nicht alle Forscher stimmen mit Petersen überein, dass Grimmelshausen diese spanischen Romane gelesen habe. Koschlig (wie Anm. 25), S. 32, bezieht sich auf einen Aufsatz von Fritz Ernst in Merkur 7, 1953, S. 753-764: „Auch die Studie von Fritz Ernst über ‚Grimmelshausens Simplicissimus und seine spanischen Verwandten’ enthält keinen einzigen echten genealogischen Nachweis [...]  [Es] fehlt jedoch noch immer der Nachweis, welche spanischen Vorbilder Grimmelshausen tatsächlich gekannt und benutzt hat.“ S. 32. Für Grimmelshausens Kenntnis des Gusman sprechen jedoch so viele Parallelstellen, dass sie kaum anzuzweifeln ist. Alfred Kelletat nimmt in den Anmerkungen zu seiner Simplicissimusausgabe von 1956 im Winkler-Verlag, München auch die Kenntnis des Lazarillo als gesichert an. Zu S. 564 kommentiert er: „Wie Simplicissimus hier als wilder Mann auf den Märkten gezeigt wird, so wird auch der Held des spanischen Schelmenromans Lazarillo de Tormes (1564) aus einem Schiffbruch als Meerungeheuer gerettet und ‚als Triton vemummt’ durch ganz Spanien geführt (cap.5 ff.)“ S.664. Eine wirkliche Parodie des Lazarillo, die für unseren Zusammenhang bedeutsam wäre, scheint jedoch nicht vorzuliegen. Den Gusman dagegen sieht auch Bloedau (wie Anm. 3), als wichtige Quelle an.
[30] Vgl. Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 62.
[31] Auf die Ähnlichkeit dieses Geschehens mit einem Initiationsritus macht Werner Welzig aufmerksam in: Beispielhafte Figuren (wie Anm.18), S. 74.
[32] Vgl. Bechtold: Zur Quellengeschiche (wie Anm. 3), S. 32 ff.. Es wird hier aufgewiesen, dass die dem Gusman und Simplicissimus gemeinsamen Zitate auf Garzonis Allgemeinen Schauplatz zurückzuführen sind. J.H. Scholte behandelt dieses Thema ausführlich in Zonagri Discurs (Anm. 20), S. 11-65.
[33] Vgl. Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 42-43.
[34] Vgl. ders. (wie Anm. 3), S. 41.
[35] Vgl. ders. (wie Anm.3), S. 517-18.
[36] Zu diesem dritten, von Freudenhold verfassten Teil des Gusman bemerkt Bloedau: „Wenden wir uns [...] dem dritten Teil des Gusman zu. Ein Recht auf diesen Titel kann man dem Buch kaum zugestehen. Die Hauptperson führt zwar den Namen Gusman, hat aber mit dem Gusman der Albertinischen Bearbeitung, geschweige denn mit dem Alemans, nichts gemein. Der industrielle Autor zeigt in der ersten Hälfte seinen Helden auf einer Reise nach dem Orient, Japan und Amerika, deren Beschreibung er ohne Skrupel wörtlich aus dem Reyßbuch des Heyligen Landes abdruckt. Die zweite Hälfte enthält eine Reihe von Diskursen über Gusmans jeweiligen Berufswechsel, und unvermittlet schließt das Buch mit einer Bekehrung.“ (wie Anm. 3), S. 13.
[37] Den grundsätzlichen Unterschied zwischen picarischer und simplicianischer Lebenshaltung hat Clemens Heselhaus hervorgehoben in: Grimmelshausen. Der abenteuerliche Simplicissimus (wie. Anm.19), S. 62-63.
[38]  Hierzu die sehr ausführliche Studie Koschligs: Lob des Françion (wie Anm. 25). Koschlig hat beweisen können, dass Grimmelshausen von den zwei zur Verfügung stehenden zeitgenössischen Übersetzungen die von 1662 benutzte.
[39] Ders. (wie Anm. 25) erwähnt, dass Grimmelshausen die Figur des Olivier von Sorel übernahm. Er schreibt: “Olivier – ein Räuber und Muster der Verkommenheit, wie im Simplicissimus”, S. 57. Im französischen Original ist jedoch Olivier der, der schon gleich im ersten Kapitel Reue empfindet. Die deutsche Übersetzung folgt dieser Version. Wieder gibt es bei Grimmelshausen eine parodistische Umkehr, denn sein Olivier ist von klein auf ein Bösewicht.
[40] Schon Bloedau machte auf die Ähnlichkeit der Träume aufmerksam: „Wohl aber enthielt Françion, realistischer Stoff bei idealistischer Form, einen langen phantastischen Traum, und von ihm stammt Simplicius Vision her.“ In: GrimmelshausensSimplicissimus’ (wie Anm.3), S. 58.
[41] Martin Erich Schmid: Orpheus. Grimmelshausen – Anton Ulrich – Francesco Buti. Die Quelle zum Pariser Opernkapitel im Simplicissimus. Argenis 1 (1977), S. 279-299.
[42]  Grimmelshausen: Des Vortrefflich Keuschen Josephs in Egypten Lebensbeschreibung samt des Musai Lebens-Lauff. Hrsg. von Wolfgang Bender. Tübingen 1968. (Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Unter Mitarbeit von Wolfgang Bender und Franz Günter Sieveke hrsg. von Rolf Tarot) S. viii.
[43]. Ders.: Des Vortrefflich etc. (wie Anm. 41), S. 59.
[44] Welzig macht auf die Beziehungen zur Eulenspiegelfigur aufmerksam und setzt den deutschen Schalk gegen den spanischen Picaro ab: “Eulenspiegel hintergeht die Menschen oft aus reinem Übermut. Lazaril dagegen muss zur List greifen um sich durchzusetzen [...] Die Geschichte des Eulenspiegel will den Leser zum Lachen bringen, nur allein ‚umb ein fröhlich gemüt zu machen in schweren zeiten’ (Vorrede), die des Lazaril von Tormes soll zeigen, waß derselbe für unglück und widerwertigkeitt außgestanden hat’ (Titel).“ In: Beispielhafte Figuren (wie Anm. 18), S. 109. Wenn wir hier von Eulenspiegel sprechen, ist es nicht das Volksbuch, als literarisches Artefakt, sondern die Figur, die Schwänke aller Art um sich sammelte, von der die Rede ist.
[45] Josef Trostler: Zur Quellengeschichte des Simplicissimus. In: Euphorion 21 (1914), S. 695-702. Das Werk aus dem Grimmelshausen die Episode entlehnte ist Erasmus Francisci: Die lustige Schaubühne von allerhand Curiositäten.  Nürnberg, 1563.
[46] Trostler: Quellengeschichte (wie Anm. 44), S. 698.
[47] Ders.: Quellengeschiche (wie Anm. 44) zitiert die Erzählung Franciscis auf S. 697-698.
[48] Auf die Ähnlichkeiten zwischen Parzival und Simplicius machte schon Gervinus aufmerksam. Melitta Gerhard führt die Parzivalparallele weiter aus. Sie bemerkt: „Der religiöse Dienst steht bei Wolfram nicht in Widerspruch mit dem Weltleben [...] Jene Synthese, die der Schluss des Parzival feiert [...] ist im Rahmen des simplicianischen Kriegslebens undenkbar. Hier gibt es nur die Entscheidung zwischen Welt und Gott.“  Melitta Gerhard: Grimmelshausens Simplicissimus als Entwicklungsroman. In: Weydt: Der Simplicissimusdichter (wie Anm. 8), S. 133-160. Weydt widmet diesem Vergleich ebenfalls ein Kapitel in Nachahmung (wie Anm. 6), S. 202-216. Auch seine genaue Untersuchung liefert keinen sicheren Beweis dafür, dass Grimmelshausen das Werk kannte, stellt es aber als sehr wahrscheinlich dar, dass er die Mentelin-Inkunabel von 1477 gelesen hatte, da das Kloster Ettenheimmünster und vielleicht auch andere in der Gegend von Strassburg, wo der Parzival auch im 16. und 17. Jahrhundert weiter gelesen wurde, sie besaß und die vielen nicht zu übersehenden Parallelstellen sonst kaum zu erklären sind. Grimmelshausen hat offensichtlich bei seinen Lesern auch die Kenntnis des Artusepos, das zum selben Erzählkomplex gehört, vorausgesetzt, da er das Schwert Oliviers mit dem des Artur [Artus] vergleicht. ST (362).
[49] Hans Sachs: Baldanderst bin ich genannt, der ganzen Welte wohlbekannt. In: Werke in zwei Bänden. Bd. I, Gedichte. Ausgewählt, sprachlich bearbeitet und eingeleitet von Karl Martin Schiller. Volksverlag: Weimar, 1960. S. 192-195.
[50] Vgl. Hubert Gersch: Literarisches Monstrum (wie Anm. 5), S. 36.
[51] Scholte: Der Simplicissimus (wie Anm. 15), S. 253-262.
[52] Ders. (wie Anm. 13), S. 256-259.
[53] Grimmelshausen: Satyrischer Pilgram. Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1970. Herausgegeben von Hans Bender (Gesammelte Werke, wie Anm. 41), S. 5.
[54] Bechtold: Zur Quellengeschichte, bemerkt: “Der Einfluß Moscheroschs auf Grimmelshausen ist ebenfalls längst bekannt, aber leider noch nicht im Einzelnen untersucht worden; auch v. Bloedau gleitet ziemlich flüchtig darüber hinweg.“ (wie Anm. 3), S. 23. Er selbst führte die Untersuchung erheblich weiter.
[55] Hans Michael Moscherosch: Schergenteufel, 1. Gesicht. In: Gesichte Philanders von Sittewald. Hrsg. von Felix Bobertag. Berlin und Stuttgart, 1883. (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe hrsg. von Joseph Kürschner), S. 7.
[56] Bechtold glaubt nicht, dass Moscheroschs Werk sondern das Somnium die unmittelbare Quelle für die Bessessenenszene sei. Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 29.
[57] Welzig vergleicht die beiden Dichter folgendermaßen: “Der Unterschiend zwischen Moscherosch und Grimmelshausen ist, daß bei letzterem eine stärkere Betonung auf dem Christlichen liegt. Philander muß erkennen, daß die Welt nicht so ist, wie sie Lehrer und Bücher beschrieben haben [...] Simplicissimus [...] misst das Treiben der Welt an den Geboten Gottes, die er beim Einsiedler kennengelernt hatte.“ Welzig: Beispielhafte Figuren (wie Anm. 18), S. 68.
[58] Hierzu auch Hans Heinrich Borcherdt: Miszellen zu Grimmelshausens Simplicissimus. Euphorion Bd.23, 1921, S. 288-298 : „Diese Gegenüberstellung dürfte die Benützung des Remigius unzweifelhaft machen.“ S.293. Grimmelshausen erwähnt Remigius auf ST (145) folgendermaßen: „Nicolaus Remigius, welcher ein tapferer, gelehrter und verständiger Mann gewesen und im Herzogtum Lothringen nicht nur ein halb Dutzend Hexen verbrennen lassen, erzählet von Johanne von Hembach [...]“
[59] G. C. Horst Dämonomagie,  Frankfurt a. M. 1818, S. 212-213.
[60] Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3) ist der Meinung, dass Grimmelshausen die Hexenverfolgung befürwortete: „Wie fest er an Hexerei und Zauberei glaubte, ersehen wir aus den Hexengeschichten, die er [...] erzählt. Hätte Grimmelshausen zu entscheiden gehabt – die unglücklichen, im Verdacht der Hexerei stehenden Weiber hätten an ihm keinen milden Richter gefunden.“ (S. 498-499) Aber Bechtolds Einstellung zu Quellen ist durchweg naiv realistisch; er gebraucht sie vorwiegend zu biografischen Zwecken. Dagegen hat Italo Michele Battafarano in seinem ausführlichen Aufsatz: Hexenwahn und Teufelsglaube im Simplicissimus. In: Argenis I (1977), S. 301-372, gezeigt, dass Grimmelshausen in einer Zeit in der „Hexenwahn und Teufelsglaube ein tabuisiertes Thema“ (S. 301) war, sich durch die Art wie er darüber schrieb, als Skeptiker auswies.
[61] Bei Nicolaus Remigius: Daemonolotria das ist von Unholden und Zauber Geistern des ... Nicolai Remigii. Aus dem Latein in Hoch Teutsch übersetzt durch Teucridem Annaeum Prinatum. Frankfurt 1598, heißt es zur Teufelsmusik: „Der eine macht etwas her auff einer Zwerg Pfeiffen/welche doch viel mehr in Warheit etwann ein Pfal oder Hirten stecken ist[...] Ein anderer hatte einen todten Roß Kopff an statt einer Cyther/ darauff schlägt er[...]“ S. 145. Zum Tanz: „Ferner/ daß sie ihre Täntze in einem ronden Kreiß ringes herumbher führen/ unnd die Rücke zusammen gekehret haben/ wie eine under den dreyen Gratiis pflegt für gerissen zuwerden/ unnd also zusammen tantzen [...]“ S. 133.
[62]: Ebenfalls bei Remigius (wie Anm. 60): „Nun ist es mit dem nicht genug/ daß sie sich vor dem Obersten verneigen/ Item für ihm auff die Knie fallen/ unnd umb die Hüfte umbfangen/ sondern (pfü der großen Schand) sie werden auch wider jhren Willen gezwungen das sie jhm müssen auff das Arßloch küssen/ Nemlich wenn er sich zuvor in einem zottelichten Bock verwandelt hat [...]“ S. 150.  Vgl. auch Horst: Daemonomagie (wie Anm. 58), S. 198 -9.
[63] Dazu Battafarano: Hexenwahn (wie Anm. 59). Zur Fragwürdigkeit der Kategorie des Bösen bei Grimmelshausen siehe auch Silke Beinssen-Hesse: Des Abentheuerlichen Simplicii Verkehrte Welt. Ein Topos wird fragwürdig. In Antipodische Aufklärungen. Unter Mitwirkung von M. Clyne, S. Beinssen-Hesse, E. Keller, A. Pawels, P.Petr, D. Roberts, P. Thomson und E. M. Wilkinson Hrsg. von Walter Veit. Frankfurt am Main, Bern, New York 1987 (Festschrift für Leslie Bodi), S. 63-75.
[64] Moscherosch: A la Mode Kehrauß (wie Anm.54), S. 139-40.
[65] Weydt: Nachahmung (wie Anm. 6), S. 163-187, hier S. 171.
[66] Sachs (wie Anm. 48), S. 123-124.
[67] Zur Beziehung Grimmelshausen-Guevara vgl. Weydt: Nachahmung (wie Anm. 6), S. 216-240.
[68] Vgl. Max Wehrli: Das finstere Licht. Grimmelshausens Lichtspruch im Simplicissimus. In: Deutsche Barocklyrik. Gedichtinterpretationen von Spee bis Haller. Hrsg. von M. Bircher u. A. M. Haas, Bern u. München 1973, S. 167-173.
[69] Scholte:Der Simplicissimus (wie Anm.15), S.104.
[70] Andreas Gryphius: Werke, Bd.III. Lyrische Gedichte. Hrsg. von Hermann Palm. Darmstadt, 1961, S. 99.
[71] Paracelsus (Theophrastus Bombast von Hohenheim): Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris, et de caeteris spiritibus. Originalausgabe von Johannes Huser, Basel 1591.  Prolog , IX, S. 28-33, hier S. 30.
[72] Bechtold rechnet Grimmelshausen zu den Synkretikern. „Der Gedanke an die Aussöhnung der Konfessionen unter Zurücktretenlassen der Unterscheidungslehren lag in der Luft, er keimte in den besten und edelsten Gemütern auf; ich erinnere an den ‚Synkretismus’ des Helmstädter Professors Calixtus (gest. 1656) [...] Auch Grimmelshausen ist durch dieses Stadium hindurch am Ende in die Arme der alten Kirche gelangt; aber obwohl er sich schließlich zur katholischen Konfession bekannte, tragen seine Schriften doch mehr synkretistischen als ausgesprochen katholischen Charakter.“ In: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3), S. 516.
[73] Sich auf Hans Gerd Rötzer: Picaro – Landtstörtzer – Simplicius. Studien zum niederen Roman in Spanien und Deutschland . Darmstadt 1972 (Impulse der Forschung; 4) beziehend, macht Lars Kaminski darauf aufmerksam, dass Vor- und Nachame des Tischlers, Simon Meron, Beziehungen zur jüdischen Kabbala aufweisen. Relevant wäre hier die kabbalistische Lehre von den in der Natur verstreuten Funken Gottes, die sich subtil von der christlichen Lehre der Natur als unverdorbener Schöpfung Gottes unterscheidet. Es ist jedoch hier nicht möglich, näher darauf einzugehen. Lars Kaminski: Vita Simplicii. Einsiedlerleben und Antoniusverehrung bei Grimmelshausen. Frankfurt am Main [u. a.] 2010, S. 188-189.
[74] J.H. Scholte behandelt Nevilles Schrift als Quelle für den Simplicissimus. In: Der Simplicissimus (wie Anm.15), S. 57-60.
[75] Lars Kaminski: Die Kultivierung des Paradieses. Grimmelshausens „Creutz Jnsul“ vor dem Hintergrund des „PINESER Eylands“ von Henry Neville. In: TEXT + KRITIK. Zeitschrift für Literatur. Sonderband. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 2008. Hier S. 139.
[76] Kaminski: Die Kultivierung des Paradieses. S. 146.
[77] Hierzu ders.: Zonagri Discurs (wie Anm. 20 ), S. 11.
[78] Der erste, der erkannt hat, dass es sich hier um die Allegorie des Ständebaums handelt, war Paul Böckmann. Er schreibt, dass man beachten muss „dass der Ständebaum ein häufig dargestelltes Motiv der Bildkunst ist und dass auch Grimmelshausen offensichtlich ein solches Bild vorgeschwebt hat und zwar möglicherweise eine Zeichnung von Hans Weiditz zu dem ins Deutsche übersetzte Gücksbuch des Petrarca, die um 1520 wahrscheinlich auf Anregung von Sebastian Brant entstanden ist und noch im siebzehnten Jahrhundert wieder aufgelegt wurde.“ Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. I: Von der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache, Darmstadt 1973, S. 459. In: Nachahmung (wie Anm. 6), S. 391, druckt Weydt das Bild ab. Die Quellen, die Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3) angibt, sind weniger überzeugend: „Die große Kriegsallegorie, welche vom Waldidyll zu dem Hanauer Aufenthalt des Simplicius hinüberführt, ist zweifellos eine bewusste und beabsichte Nachahmung Moscheroschs; auch v. Bloedau führt die satirische Tendenz des Traumes auf seinen Einfluss zurück. Es mag ihm zugegeben werden, dass in dem Traumgesicht die Vorstellung des Weinstocks der Cyrusgeschichte mitspielt, welcher aus dem Schoße der Mandane wächst und sich über ganz Asien ausbreitet. Die Hauptsache aber hat Grimmelshausen wieder eine Stelle des Zauberbecher gegeben, in welcher nicht das Kriegs- sondern das Hofleben mit einem Baume verglichen wird.“ (Bechtold zitiert auf  S. 241 aus diesem Werk.) „Dazu gesellen sich Gedanken aus Moscheroschs Soldatenleben.“  S. 43.
[79] Vgl. Joël Lefebvre: Das Utopische in Grimmelshausens Simplicissimus. Ein Vortrag. In Daphnis 7 (1978), S. 267-285.
[80] Zu den Utopien im Simplicissimus vgl. auch Erlhoff: Groteske Satire (wie Anm. 1), S. 78-88.
[81] Vgl. Eberhard Mannack „Politische und verfassungsgeschichtliche Aspekte im Werk von Grimmelshausen“. In: Daphnis 5 (1976), S. 333-341 und  Stephen C. Jaeger: Grimmelshausen’s Jupiter and the Figure of the learned Madman in the 17th Century. In: Simpliciana 3 (1981), S. 39-64. Auf die Beziehung der Ideen Jupiters zu Flugschriften der Zeit hat Böckmann (wie Anm.74) auf  S. 461-462 aufmerksam gemacht
[82] Bechtold: Zur Quellengeschichte (wie Anm. 3) beweist Grimmelshausens Kenntnis des Olearius. S. 543.
[83] Weydt macht darauf aufmerksam, dass Grimmelshausen, wie Prätorius, die Nymphen Sylphen nennt und sich deshalb wohl primär und vielleicht ausschließlich auf diese Schrift bezog. In Nachahmung (wie Anm. 6), S. 435. Dies könnte jedoch dadurch erklärt werden, dass Grimmelshausen die Beziehung zur Jupiterepisode, in der sich Simplex richtigerweise Sylph nennt, herstellen will. Es scheint mir unwahrscheinlich, dass Paracelsus als Ideenträger Grimmelshausen fremd war. Wie Harry Mielert darlegt, erschien in den Jahren 1589-1591 die Husersche Ausgabe der Werke von Paracelsus in Basel, also nicht weit von Grimmelshausens Wahlheimat, und es ist kaum anzunehmen, dass Grimmelshausen sie nicht neben anderen pseudoparacelsischen Werken, wie des Prätorius, benutzte. Harry Mielert: Der paracelsische Anteil an der Mummelsee-Allegorie in Grimmelshausens Simplicissimus. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 20 (1942), S. 435-451.
[84] Paracelsus: Liber (wie Anm. 70), S. 52.
[85] Ders. : Liber (wie Anm. 70), S. 58.
[86] Ders. : Liber (wie Anm. 70), S. 53.
[87] Ders. : Liber (wie Anm. 70), S. 57.
[88] Ders. : Liber (wie Anm. 70), S. 63.
[89] Hierzu  A. J. F. Zieglschmid: Die ungarischen Wiedertäufer bei Grimmelshausen. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte, 59 (1940), S. 352-387.
[90] Vgl.Weydt: Nachahmung (wie Anm.6), S. 47-187 und S. 319-325.
[91] Ders. : Nachahmung (wie Anm. 6), S. 399.
[92] Welzig: Beispielhafte Figuren (wie Anm. 18), hat die Beziehungen zwischen Einsiedlertum, Naturfrömmigkeit und Schäfertum genauer untersucht. „Vor allem Opitz hat mit seiner idyllischen Verklärung des Bauerntums in dieser Hinsicht wegweisend gewirkt. Neben ihm ist es besonders Harsdörffer, der die Einsamkeit in der Natur als Voraussetzung für die Ruhe des Gemüts verkündet. [...] Im Trichter gibt Harsdörffer eine Begriffsbestimmung der Einsamkeit, in der er dem ‚Weltling’ den Eremiten gegenüberstellt, der sich von den Mitmenschen abgewandt hat, um auf die Stimme seines Inneren hören zu können.“ S. 157. „Zum Einsiedlertum tritt jetzt das Naturerlebnis [...] die ‚Natur’ dieser Einsidelei ist kein Ausschnitt aus der insgesamt von Gott abgefallenen Schöpfung, sondern eine Stätte harmonischen Lebens.“ S. 164. Welzig macht auch auf die Verwandtschaft mit stoischen Ideen aufmerksam: „Beständigkeit in all ihren Ausformungen, bester Vorsatz, unveränderlicher Wille, ‚ohnverbrüchliche Treue und Freundschaft’, ist die vielgerühmte Tugend derer, die nicht dem Gesetz der Welt folgen.“ S. 176. – Der stoische Philosoph Lipsius schloss in seine Schrift De Constantia ein Lob des Gartens ein. Die deutsche Übersetzung hiervon war, laut Welzig, das einflussreichste philosophische Werk der Zeit. Hierzu auch Friedrich Gundolf: Grimmelshausen und der ‚Simplicissimus’ (wie Anm. 12): „Seine [Grimmelshausens] Weltflucht wegen der Flüchtigkeit der Welt kommt nicht aus Genußunfähigkeit oder Nervenschwäche: sie ist nur das Gegengefühl zu seiner mächtigen Empfänglichkeit [...] Ihm eignete nach Art und Farbe der deutschen Mystik von Sebastian Franck bis Angelus Silesius, eine alldurchspürende Frommheit, die, wie in den Naturereignissen und Geschichtserscheinungen so auch in den Glaubensformen gleichwertige Äußerungen der Gottheit ehrte oder wenigstens ahnte oder suchte.“  S. 127.
[93] Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj, Sigmund von Birken: Pegnesisches Schäfergedicht. (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 8). Hrsg. Klaus Garber. Tübingen, Niemeyer 1966. (Erstdruck: Nürnberg: Wolfgang Endter, 1644). www.contumax.de/ebooks, loc. 163.
[94] Pegnesisches Schäfergedicht (wie Anm. 89), loc. 316
[95] Pegnesisches Schäfergedicht (wie Anm. 89), loc. 324

[96] Pegnesisches Schäfergedicht (wie Anm. 89), loc.163
[97] Die Pegnitz-Schäfer. Nürnberger Barockdichtung. Hrsg. von Eberhard Mannack. Reclam: Stuttgart, 1968. S. 14.
[98] Hans Geulen: ‘Arcadische’ Simpliciana. Zu einer Quelle Grimmelshausens und ihrer strukturellen Bedeutung für seinen Roman. In: Euphorion 63 (1969), S. 426-437. Siehe auch Walter Holzinger: Der abentheuerliche Simplicissimus und Sir Philip Sidneys Arcadia. In: Colloquia Germanica (1969), S. 184-198.
[99] Dazu Rosemarie Zeller: Rhetorik der Schlachtbeschreibung. Lucan, Tasso, Sidney und Grimmelshausen. In: Simpliciana.  Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft,  XXXIII (2011), S. 159-180. Auf S. 178 druckt sie die deutsche Übersetzung von Sidneys Schlachtbeschreibung ab.
[100] Ilse-Lore Konopatzki: Grimmelshausens Legendenvorlagen. Berlin, 1965.
[101] Wie oben S. 52.  Auch Lars Kaminski erwähnt diese Episode in: Vita Simplicii, S. 203. Kaminski betont in seiner Abhandlung die Doppelgesichtigkeit der Antoniusfigur, die im Osten als Einsiedler und Mönch, im Westen dagegen vor allem als Nothelfer, Arzt, Wundertäter und Richter verehrt wurde. Wie Kaminski darlegt, kommt bei Grimmelshausen die zweite Funktion erst zur Geltung, als Simplicissimus, zunächst durch die Holländer, erneut Kontakt mit der europäischen Welt bekommt. S. 260-262.  
[102] Vgl.Welzig: Beispielhafte Figuren (wie Anm.18), S. 51.
[103] Lars Kaminski in: Vita Simplicii (Anm. 73) sieht den Simplicissimus-Roman als Generalbeichte des alten Simplicissimus (S. 173) und weist darauf hin, dass hier vermulich  nicht nur die Confessiones des Augustinus sondern auch die Anweisungen des Antonius an seine Mönche: „Ein jeder von uns soll die Handlungen und Regungen der Seele bemerken und aufzeichnen, als ob wir sie einander mitteilen wollten“ Anregung gaben.
[104] Heinz Heimsoeth: Paracelsus als Philosoph. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 19 (1941) H 4, S. 369-378: „Natur samt Menschentum als göttliches Buch vor Menschen.“ S. 371.
[105] Ders. (wie Anm. 98), S.370
[106] Hierzu W.E. Peuckert: Pansophie. Berlin, 1956.
[107] Vgl. Meid: Epoche – Werk – Wirkung (wie Anm. 4): „Der ,curiöse’ Simplicius spürt nicht den Bezügen zwischen den Erscheinungen der Natur und der verborgenen göttlichen Ordnung nach, ihn interessiert, wenn er in ihrem Buche liest, die Natur selbst.“ S.144.
[108] Lars Kaminski: Vita Simplicii (wie Anm. 73) macht auf die Circe Episode in Homers Odyssee, die Grimmelshausen auch erwähnt, als Quelle aufmerksam, deutet sie aber theologisch  konventionell, nicht parodistisch. S. 219.
[109]  Hierzu Gerhard Lauer: Grimmelshausen oder die Kunst des Erzählens vor Gott. In: TEXT + KRITIK. Sonderband. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 2008. S. 22-31. Lauer ist der Meinung, dass Grimmelshausens komplizierte Erzähltechnik mit „poetologischen Einschübe[n] und wechselnde[n] Erzählinstanzen“ (S. 24) die „negative Anthropologie des 17. Jahrhunderts“ (S. 25) und die Sündenverfallenheit des Menschen ausdrücken soll. Er erklärt dies ohne eingehende Analyse theologisch. Die Kriegsumstände, die den Stoff des Romanes bilden, berücksichtigt er nicht und schlussfolgert: „Darum seine verwirrende Modernität, die in Wahrheit nichts als die Einsicht in die Sünde des Erzählens sein kann und der nichts bleiben will als die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes.“ (S. 30). Auch wenn man die Theologie der Zeit berücksichtigen muss, darf man meiner Ansicht nach nicht von vorne herein davon ausgehen, dass ein so kreativer Schriftsteller wie Grimmelshausen konform denken muss.

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